Die Stadt Hamburg will in den kommenden Jahren etwa 1300 bestehende Verkehrswege fertigstellen. Für die Anlieger wird das teuer werden.

Hamburg. Einfamilienhäuser mit gepflegten Vorgärten säumen den Cord-Dreyer-Weg in Niendorf. Eine gemütliche Wohngegend, in der sich besonders Familien mit Kindern und Rentner wohlfühlen. Statt eines mit Gehwegplatten befestigten Fußwegs gibt es auf der einen Straßenseite einen stets geharkten Sandweg, auf der anderen einen bewachsenen kleinen Graben, der regelmäßig von den Grundstückseigentümern gepflegt wird. "Keiner von uns würde jemals auf die Idee kommen, den Bezirk aufzufordern, unsere Straße umzugestalten", sagt Anwohner Günter Wirth. "Wir sind überaus zufrieden mit unserer derzeitigen Wohnsituation. Es gibt weiß Gott Sinnvolleres zu tun in der Hansestadt, als in unserem Cord-Dreyer-Weg zu bauen."

+++Jede Straße einzeln betrachten+++

Mit dieser Meinung ist Wirth nicht alleine. Die komplette Nachbarschaft ist sich einig: Die vom Bezirk angestrebten Baumaßnahmen zur "endgültigen Herstellung" des Cord-Dreyer-Wegs ist unnötig. Dennoch ist die Straße eine von insgesamt rund 1300 Nebenstraßen in der Hansestadt, die in den kommenden Jahren offiziell fertiggestellt werden sollen. Mit diesem Beschluss folgt der SPD-Senat einer Aufforderung des Rechnungshofs. Dieser beklagt seit Jahren, dass die Stadt auf 120 Millionen Euro verzichte, weil sie die Anliegerbeiträge nicht eintreibe. Denn bis zu 90 Prozent der Kosten für die Baumaßnahmen an kleinen Anliegerstraßen müssen die Grundstückseigentümer übernehmen. Die Entscheidung darüber, welche Straßen das betrifft, trifft der jeweilige Bezirk - nach Vorgabe des Senats in Absprache mit den Anwohnern. "Wir wurden vom Bezirk zu einem Gespräch eingeladen, aber unsere Meinung, dass unsere Straße so bleiben soll, wie sie ist, wurde anscheinend nicht zur Kenntnis genommen. Die Planungen stehen", sagt Wirth. Sollten die Maßnahmen umgesetzt werden, müsse jeder Grundstückseigentümer etwa 10 000 Euro bezahlen.

+++Prioritätenliste+++

Unzufriedenheit regt sich jedoch nicht nur bei Anwohnern, die mit dem Zustand ihrer Straße grundsätzlich zufrieden sind, sondern auch bei einigen, in deren Straßen die Baumaßnahmen bereits abgeschlossen wurden und lediglich die Rechnung noch aussteht. Denn: Ob eine Straße offiziell als fertiggestellt gilt, hängt auch davon ab, ob der Verwaltungsvorgang abgeschlossen ist - platt gesagt: ob er behördenintern den Stempel "fertiggestellt" trägt. Erst dann kann die Finanzbehörde tätig werden und die Anliegerbeiträge eintreiben. Dass die Stadt sich nun auf diese Weise eine Einnahmequelle erschleiche, weist Daniel Stricker, Sprecher der Finanzbehörde, zurück. "Wir verdienen daran gar nichts, weil jeder Forderung ja entsprechende Ausgaben für den Bau der Straße gegenüberstehen." Die Stadt sei quasi in Vorkasse getreten. Stricker: "Wir fordern also nur ein, was der Stadt zusteht - wenn auch zum Teil mit einigen Jahren Verspätung."

Auf eine Rechnung warten auch Brigitte Ketels und ihr Ehemann Werner. Im Sommer 2011 wurde die Große Straße in Harburg, angeblich gegen den Willen der Anwohner, fertiggestellt. Die Straßenführung wurde zum Teil verlegt, es wurden Parkbuchten und ein befestigter Fußweg angelegt. "Seitdem haben wir wirklich extreme Probleme, aus der Garage zu kommen, die Straße ist so wahnsinnig eng geworden", sagt die 62 Jahre alte Rentnerin, die seit 13 Jahren an der Großen Straße wohnt. Zuvor waren die unbefestigten Fußwege zum Parken genutzt. Jetzt sei ein Ausweichen nicht mehr möglich. "Bei einem Unfall vor einigen Wochen war unsere Straße über Stunden dicht. Keiner kam um das Auto herum. Und für dieses Chaos sollen wir nun auch noch zur Kasse gebeten werden." Nach aktuellem Stand müssen im Bezirk Harburg in den kommenden Jahren 69 Straßen fertiggestellt werden.

Im Bezirk Eimsbüttel, zu dem auch der Cord-Dreyer-Weg gehört, sollen in den kommenden Jahren rund 200 Straßen fertiggestellt werden. Ganz oben auf der Prioritätenliste stehen unter anderem die Straßen Am Ziegelteich, Münchhausenweg und Bandkampsweg. "Wichtig ist jedoch, dass die Priorität ständig verschoben werden kann, sollten sich die Rahmenbedingungen für die Bauarbeiten verändern", sagt Stephan Glunz, Sprecher des Bezirksamts Eimsbüttel.

Darauf hoffen die Anwohner des Cord-Dreyer-Wegs. "Wir brauchen hier keine Veränderung, keinen Prachtboulevard", sagt Katja Buhk, Mutter des zweijährigen Fabian. "Wir leben hier friedlich zusammen und nehmen Rücksicht aufeinander. Ein befestigter Fußweg macht das nicht besser."