Familie Trau bewirtschaftet ihren Hof seit mehr als 100 Jahren. Sie tut es aus Überzeugung, trotz aller Widrigkeiten. Ihr Tag beginnt um 5.30 Uhr.

Hamburg. Es wollt ein Bauer früh aufstehn, wollt naus in seinen Acker gehen.

Um 5.30 Uhr beginnt der Tag für Bauer Trau, 55 - mit dem Klingeln des Weckers. Krähende Hähne gibt's bei ihm auf dem Hof nicht. "Brauchen wir nicht, machen nur Lärm", sagt Helmut Trau und lacht. Er isst einen Apfel, zieht seine Stiefel an und tritt aus der Haustür. Die Arbeit beginnt. Es ist 6 Uhr. Von der Haustür bis zum Stall sind es nur ein paar Schritte. Durch den kleinen Raum, in dem Kartoffeln und Eier verkauft werden, vorbei an dem Wohnhaus bis zum Stall. "Moin", sagt Helmut Trau. Nicht zu den Kühen oder den Hühnern. Sondern zu seinem Sohn Sebastian, 29. Er lebt ebenfalls auf dem Hof und bewirtschaftet ihn zusammen mit seinem Vater.

Während der eine die Eier einsammelt, füttert der andere die Kühe. Sie sind ein eingespieltes Team, arbeiten seit Jahren zusammen. Wie lange? Schulterzucken, ratlose Blicke. Vielleicht seit Sebastian mit 15 in die Lehre gegangen ist, erst auf dem elterlichen Hof, dann in zwei Fremdbetrieben. Aber eigentlich ja auch schon davor, als er ein kleiner Junge war. Er hat im Kuhstall laufen gelernt und konnte Traktor fahren, sobald er mit seinen Beinen an die Pedale herankam. Erinnerungen aus einer anderen Zeit, einer anderen Welt. Es ist eine Welt zwischen Tradition und Moderne. Zwischen Romantik und Realität. Es ist die Welt von Bauern im 21. Jahrhundert.

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Was der Bauer nicht kennt, das isst er nicht.

Wenn die Hühner gefüttert und die Kühe versorgt sind und über die nahe gelegene Dorfstraße die ersten Autos fahren, dann ist es Zeit fürs Frühstück. Zünftig. Mit Schwarzbrot, Käse, Milch und Eiern. Es ist 7 Uhr, und die Welt ist noch in Ordnung. Helmut Trau frühstückt gemeinsam mit seiner Frau Anke 67, seinem Sohn Sebastian, dessen Lebensgefährtin Dörte, 28, sowie den Enkeln Stine, 4, und Tjark, 8 Monate. Die Familie lebt in einem Haus, so wie Helmut Trau früher in einem Haus mit seinen Eltern gelebt hat. Inzwischen leben die Altbauern in einem Neubau nebenan. Die Zeiten ändern sich, der familiäre Zusammenhalt nicht. Familie bedeutet für die Traus mehr, als nur den gleichen Nachnamen zu haben. Es bedeutet, zusammenzuhalten, füreinander da zu sein. "Einer allein schafft das nicht", sagt Helmut Trau. Zehn bis zwölf Stunden arbeitet er täglich, mehr als 3600 Stunden im Jahr. Zeit für Urlaub bleibt kaum. Zweimal war er zur Kur, wegen des Rückens. "Aber Abschalten kann man da doch nicht so richtig", sagt Helmut Trau. In Gedanken sei man doch immer auf dem Hof.

Ein Bauer ohne Land, sagt er, ist wie ein Literat ohne Bücher. Das Land ist für die Traus mehr als ein Stück Erde, mehr als ein Grundbesitz. Es ist ein Stück Heimat, ihr Zuhause seit Generationen. 1904 wurde die damals sogenannte Landstelle mit Zubehör in Tangstedt Oberdorf von Johann Diedrich Trau in Augenschein genommen und für den Preis von 31 000 Mark erworben. So steht es in der Familienchronik, die Helmut Traus Vater vor einigen Jahren geschrieben hat. Auf seiner alten Schreibmaschine. Die Schrift ist so verblasst wie die Erinnerung an die Zeit. Eine Zeit, in der das Reich festlegen konnte, dass auf den Höfen Milchwirtschaft betrieben werden soll. Eine Zeit, in der die Milch von den Bauern mit Pferdewagen ausgeliefert wurde. Einer Zeit, in der die älteren Bewohner der Gemeinde bei der Ernte halfen und als Lohn Naturalien erhielten.

Es ist eine Zeit, die Helmut Trau nur aus Erzählungen kennt, denn als er Mitte der 1950er-Jahre geboren wird, vollzieht sich ein Wandel in der Landwirtschaft. Moderne Maschinen ersetzen Arbeitskräfte, der Hof wird fast nur noch von Familienangehörigen betrieben und die Bewirtschaftung auf Milchkühe und Kartoffelanbau reduziert. Die Schweine, Enten und Gänse verschwinden vom Hof. "Hat sich nicht gelohnt", sagt Helmut Trau. Es ist ein Satz, der immer wieder fällt, wenn man mit ihm spricht. Dass es sich nicht lohnt. Nicht lohnt, Schweine oder Gänse unter strengsten Hygienevorschriften zu halten, zu schlachten und zu verkaufen, wenn Schweinefleisch im Supermarkt so billig zu kaufen ist. Oder dass es sich nicht lohnt, den alten Kuhstall umzubauen, neue Melkmaschinen anzuschaffen und 365 Tage morgens und abends zu melken, wenn es für einen Liter 39 Cent gibt.

Sie haben ihre Kühe Anfang des Jahres verkauft. Jetzt stehen nur noch 25 Rinder im Stall, wirken fast ein bisschen einsam. "Das sind unsere Mastrinder", sagt Sebastian Trau. Noch bis Anfang Mai bleiben die letzten Rinder im Stall, dann kommen sie bis Herbst auf die Weide, bevor sie geschlachtet werden. Oder "auf die Reise" gehen, wie es bei den Traus heißt. Sie sind Pragmatiker, Realisten. Die Kühe haben keine Namen sondern Nummern. Früher wurden die Tiere in der Waschküche geschlachtet. Heute ist dort das Wohnzimmer der Traus.

Bauer bleibt Bauer, selbst wenn er auf seidenem Kissen schläft.

Auch wenn Außenstehende von glücklichen Kühen auf saftigen Weiden träumen und sich das Landleben romantisch vorstellen - die Realität sieht anders aus. Viele Bauern können längst nicht mehr von der reinen Landwirtschaft leben, sie verdienen mit der Direktvermarktung von Kartoffeln und Eiern ihr Geld. Sie verkaufen Heu und Holz, erledigen Gartenarbeit, nehmen Pferde zur Pflege auf oder räumen im Winter Schnee.

Die Hühner werden nicht mehr im Freien gehalten, sondern im Stall. "Liegt an den Umwelteinflüssen", sagen die Traus und erklären, was das heißt: Dass die Hühner schneller krank werden, wenn sie draußen rumlaufen und abgestandenes Wasser aus Pfützen trinken. Und dass sie gestresst sind und weniger Eier legen, wenn sie im Freien sind und auf potenzielle Feinde wie Vögel achtgeben müssen. Gestresste Hühner? Klingt paradox. Bauer Trau zuckt mit den Schultern. So sei das heute eben.

320 Hühner gibt's auf dem Hof bereits, nach der Umstellung von Kühen auf Hühner im Laufe des Jahres sollen es mehr als 1000 sein. Natürlich Legehennen. Rund 280 Eier legt jede von ihnen während ihres 14-monatigen Lebens. Danach geht's, schön ausgedrückt, auf die große Reise - oder in den Suppentopf.

Schlachtet der Bauer eine Henne, so ist entweder die Henne krank oder der Bauer .

Die Nachfrage nach Suppenhühnern ist fast so groß wie die nach Eiern und Kartoffeln. Das meiste wird von den Traus direkt ab Hof verkauft. Auf dem Boden der Garage stehen Säcke mit Kartoffeln, in den Regalen stehen Eier. Zehn Stück für 1,50 Euro oder 2 Euro. Je nach Größe. Das Geld legen die Kunden in die Kasse, eine kleine Holzschachtel - oder schreiben ihre Schulden auf einen vergilbten Zettel, der daneben liegt. Vertrauen ist gut, Kontrolle nicht nötig. Findet man bei Trau. Romantik statt Realität. Auch das gibt's noch auf dem Hof. Man muss nur genau hinsehen. Wenn alteingesessene Tangstedter auf den Hof kommen, um Eier oder Kartoffeln zu kaufen und schnell noch bei Helmut Traus Vater klingeln, um ein bisschen zu schnacken. Wenn Eltern mit Kindern vorbeischauen, um im Kuhstall die Kälbchen zu streicheln. Oder wenn sich doch einmal ein Huhn vom Stall auf den Hof verirrt und gackernd herumläuft.

Für Sebastian Trau stand immer fest, dass er irgendwann einmal den Hof übernimmt. "Mit Leib und Seele", wie er sagt. Anders gehe das nicht. Denn das Landleben sei kein Job, sondern eine Lebensaufgabe. Nicht nur für ihn als Bauern, sondern für die ganze Familie. Das wusste Helmut Trau, als er Anke geheiratet hat - und Anke ihn. Das wusste Sebastian Trau, als er sich für seine Dörte entschieden hat - und Dörte für ihn. Sie kommt selbst aus einer Familie mit Landwirten und weiß, wie das Leben auf einem Hof läuft. Sie weiß, dass es keinen Feierabend gibt, keine Wochenenden, keinen langen Urlaub.

Eine Liebe zwischen Kuhstall und Computer, Kinderzimmer und Kartoffelernte. Dafür sind die Traus übrigens bekannt: für ihre guten Kartoffeln. Sie haben sich schon vor Jahren auf den Kartoffelanbau spezialisiert. Sie glauben nicht an Zufälle oder Glück. Und an dumme Sprichwörter sowieso nicht. Wie das von den dummen Bauern und den großen Kartoffeln.