Mehr als jeder achte Landwirt in Niedersachsen hat Klage gegen eine rückwirkende Kürzung der EU-Subventionszahlungen eingereicht.

Winsen. Niedersachsens Landwirte bescheren der Justiz im Land jede Menge Arbeit. Viele von ihnen haben dieser Tage Klage eingereicht gegen eine rückwirkende Kürzung der Agrarsubventionen. Statt um die angekündigten fünf sollen die sogenannten Flächenprämien um neun Prozent heruntergefahren werden. Diese Zahlungen richten sich nach Betriebsgröße, sie stellen für die Bauern einen nicht unwesentlichen Teil ihrer Einkünfte dar. "Das können bis zu 50 Prozent sei", sagt Gabi von der Brelie, Sprecherin des Landvolks in Hannover.

Das Verwaltungsgericht Frankfurt/Oder hat nach der Klage einer ostdeutschen Genossenschaft bereits Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Kürzung angemeldet und den Europäischen Gerichtshof um Klärung gebeten. Ein Urteil der Luxemburger Richter wird nicht vor dem kommenden Jahr erwartet. Sollte es im Sinne der Bauern ausfallen - es werden nur diejenigen davon profitieren, die die Kürzung jetzt nicht klaglos hinnehmen.

Beim Verwaltungsgericht Stade seien in Sachen Subventionskürzungen seit Jahresbeginn rund 1000 Klageschriften eingegangen, schätzt Hans-Joachim Gärtner, Vorsitzender Richter der 6. Kammer. Im Verwaltungsgerichtsbezirk Lüneburg seien es rund 1300, sagt der dortige stellvertretende Gerichtssprecher Gerd Ludolfs. Landesweit beschreiten laut eines Sprechers des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg etwa 6300 Bauern den Weg vor Gericht. Das ist mehr als jeder achte in Niedersachsen.

Allein Werner Maß, stellvertretender Geschäftsführer des Landvolk-Kreisverbands Lüneburger Heide/Harburg/Soltau-Fallingbostel in Winsen, hat für betroffene Bauern 118 Klagen formuliert. "Nur in diesen 118 Fällen geht es um zusammen beinahe 200 000 Euro", sagt er. "Das ist schon eine ganz schöne Hausnummer." Die Kürzungen seien bitter für den Einzelnen, aber auch für die ganze Region. "Das ist Geld, das hier fehlt."

Walter Hollweg, Sprecher der Landwirtschaftskammer, beziffert die aus der neun- statt fünfprozentigen Kürzung der Flächenprämien resultierenden Einbußen mit jährlich etwa 500 bis 2000 Euro pro Landwirt. Im Einzelfall kann der Verlust auch größer sein. Ein Bauer aus dem südlichen Hamburger Umland, der namentlich ungenannt bleiben möchte, rechnet dem Abendblatt vor: Für ihn, der einen Betrieb mit 230 Hektar Ackerland führt, gehe es sogar um 2600 Euro pro Jahr. Auch er hat geklagt, öffentlich dazu bekennen möchte er sich aber nicht. "Subventionen sind ein heikles Thema", sagt der Landwirt. "Dafür hat die Bevölkerung oft kein Verständnis." Und: Er sei in Sorge, dass sich Funktionäre auf den Schlips getreten fühlen könnten.

Die der Landwirtschaftskammer zum Beispiel. Obgleich quasi nur eine Überbringerin der schlechten Nachricht, ist die Kammer Beklagte in allen 6300 Fällen. "Wir sind von der EU beauftragt, die Bewilligungsbescheide über die Direktzahlungen zu verschicken", sagt Sprecher Hollweg. Wer gegen den Inhalt eines Bescheides vorgehen will, der muss sich mit dessen Unterzeichner streiten. In anderen Bundesländern wäre in so einem Fall ein Widerspruch das erste Rechtsmittel; die niedersächsische Verwaltungsgerichtsordnung sieht hingegen den sofortigen Klageweg vor.

Also liegen die Klagen, mit denen die Landwirte Rechtsschutz begehren, nun auf den Schreibtischen der Richter. Im Verwaltungsgericht Stade ist die 6. Kammer zuständig und mit ihr deren Vorsitzender Hans-Joachim Gärtner. Der sagt: "Jeder Vorgang muss einzeln angefasst werden." Er könne sich allerdings vorstellen, dass er vorschlagen werde, die Verfahren auszusetzen, bis der Europäische Gerichtshof zu einem Urteil gekommen ist. Um diese Art des Rechtsschutzes zu erlangen, müssen die klagenden Landwirte erst mal investieren: Gerichtskosten, eventuell Anwaltskosten. Da komme ein dreistelliger Betrag zusammen, sagt der Landwirt mit dem 230-Hektar-Hof. Er spricht von 300 bis 500 Euro. Während er und seine Kollegen diese Summe als Investition verstehen, hält die Mehrzahl den Betrag für verschenkt.

Johann Knabbe, Vorsitzender des Kreisbauernverbands Stade, gehört zu denen, die nicht klagen. Und zwar aus Überzeugung. "Das macht Aufwand ohne Ende", sagt er, "und wenn das Geld am Ende hergeholt werden muss, dann wird es uns an anderer Stelle fehlen." Denn ihm sei nicht bekannt, dass es bei der EU so etwas wie einen "Fonds für rechtsirrige Meinungen" gebe. Knabbe: "Wir würden uns das Geld also nur aus der eigenen Tasche nehmen."