Pädagoge muss sich von Montag an vor Gericht verantworten. 63-Jährigem droht eine Haftstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren.

Hamburg. Der Fall liegt mehr als 20 Jahre zurück. Schauplatz ist ein Klassenzimmer in der beschaulichen Grundschule An den Teichwiesen in Volksdorf. Hier soll Lehrer Kai J. in den Jahren 1990 und 1991 zwei Schülerinnen, damals sechs und sieben Jahre alt, in drei Fällen vor der gesamten Klassengemeinschaft zum Zungenkuss mit ihm gezwungen haben. Die Staatsanwaltschaft Hamburg hat Anklage wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern erhoben. Das bestätigte Oberstaatsanwalt Wilhelm Möllers auf Abendblatt-Anfrage. Dem 63-Jährigen droht eine Haftstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren.

Der Musikpädagoge, der seit 1999 an der Albert-Schweitzer-Gesamtschule in Ohlsdorf unterrichtet, muss sich ab Montag vor dem Amtsgericht Barmbek für die ihm vorgeworfenen Taten verantworten. Sein Rechtsanwalt ist Mathias Frommann, ehemaliger Bezirksamtsleiter Nord. Dann wird Kai J. wohl auch seinen vermeintlichen Opfern wieder gegenüberstehen. Die damals sechsjährige Heike (Name geändert) hatte erst im Mai 2010 Anzeige erstattet, die zu dem Zeitpunkt des Vorfalls siebenjährige Claudia (Name geändert) wurde als Zeugin verhört und berichtete ebenfalls von den Zungenküssen des Lehrers. In zwei Fällen soll er Heike zu dieser sexuellen Handlung und in einem Fall Claudia dazu gezwungen haben. Die Vorfälle sollen in der ersten und zweiten Klasse passiert sein: "Wir halten die Schilderungen der Opfer für glaubhaft, deshalb wurde auch Anklage erhoben", sagt Oberstaatsanwalt Wilhelm Möllers.

+++ Der Straftatbestand +++

Aber warum hat Heike ihren Lehrer erst zwei Jahrzehnte später angezeigt? Dazu konnte die Staatsanwaltschaft nichts sagen. Aber es kommt durchaus häufig vor, dass Opfer sich erst nach Jahrzehnten zu einer Anzeige durchringen können. In Kürze wäre der Fall allerdings verjährt gewesen. Bis zur Volljährigkeit des Mädchens, also dem 18. Lebensjahr, ruhte die Verjährung. Danach gilt dann eine Frist von zehn Jahren.

Die vermeintliche Kussattacke ihres Lehrers konnte Heike offensichtlich bis heute nicht vergessen. Nach Abendblatt-Informationen war das Mädchen nach den angeblichen Übergriffen durch den Lehrer traumatisiert und wurde eine schlechte Schülerin. Sofort nach der vermeintlichen Tat vertraute sie sich ihrer Mutter an. Auch eine Therapie habe nicht geholfen. Vielleicht wollte sie mit ihrer Anzeige bei der Polizei das Erlebte besser verarbeiten. Die Frauen Schülerinnen waren für eine Stellungnahme nicht erreichbar.

Auch wenn erst vor Gericht die Frage der Schuld von Kai J. geklärt werden wird, haben die Anschuldigungen bereits Konsequenzen für den Lehrer gehabt.

Nachdem im Januar 2011 durch die Staatsanwaltschaft Hamburg Anklage erhoben wurde, reagierte die Bildungsbehörde und forderte Schulleiter Olaf Pahl auf, seinen Musiklehrer vom Unterricht auszuschließen. "Dieser Aufforderung bin ich umgehend nachgekommen", so Pahl. Der Lehrer sei dann mit einer anderen Aufgabe aus dem Bereich Musik betraut worden, die er von zu Hause aus erledigt. Seit der Pädagoge von einem Tag auf den anderen aus der Schule verschwunden war, gab es viele Gerüchte. Oft hieß es, dass Kai J. erkrankt sei. Erst Anfang dieser Woche beendete Schulleiter Olaf Pahl die Gerüchteküche und informierte die Eltern der 640 Schüler in einem Rundbrief über die Anklage gegen Kai J. und den bevorstehenden Prozess.

Aber warum so spät? "Für mich bestand erst Handlungsbedarf, als es auch einen Prozesstermin gab. Alles andere wäre eine Vorverurteilung gewesen", sagt Pahl.

Da nun Ort und Termin bekannt sind, dürften viele Schüler und Kollegen den Prozess am Montag verfolgen. Auch Schulleiter Olaf Pahl wird dabei sein. Im Gespräch mit dem Abendblatt stärkt er dem Angeklagten demonstrativ den Rücken: "Der erst nach zwei Jahrzehnten aufgekommene Vorwurf erscheint mir aus meiner eigenen Erfahrung als Lehrer und Schulleiter völlig aus der Luft gegriffen." Pahl wird noch konkreter: "Ich halte es für undenkbar, dass sich der Kollege J. zu einer solchen Tat hinreißen lässt, die im vollkommenen Widerspruch zu seinem pädagogischen Ethos steht." Auch Kai J. sei schockiert und getroffen von den Vorwürfen und habe seine Unschuld beteuert. Die Verteidigung von Schulleiter Pahl geht noch weiter: "Herr J. ist ein hervorragender Lehrer, dem es immer wieder gelungen ist, seine Schüler für Musik zu begeistern." Es sei in all den Jahren der Tätigkeit von Herrn J. an der Albert-Schweitzer-Schule nie ein Vorwurf gegen ihn laut geworden.

Dass Lehrer sich vor Gericht wegen Missbrauchs verantworten müssen, kommt immer wieder vor. Das Abendblatt berichtete im Januar von einem Fall an einem Stellinger Gymnasium: Ein 46-jähriger Lehrer sitzt in Untersuchungshaft. Dem Pädagogen wird "sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen vorgeworfen". Das heute 15-jährige Mädchen soll der Mathematiklehrer zwölfmal sexuell missbraucht haben - so die Anklage. Allerdings habe es sich nach Einschätzung der Bildungsbehörde um eine einvernehmliche Beziehung zwischen Schüler und Lehrer gehandelt.