An der zentralen Warnstreik-Kundgebung vor dem Gewerkschaftshaus am Besenbinderhof nahmen am Dienstag rund 1500 Menschen teil.

Hamburg. Warum sie gestern gestreikt hat? Auf diese Frage hat Gudrun Roth eine klare Antwort: "Weil ich von meinem Beruf leben können möchte." Sicher, sie leide weder Not noch Hunger, sagt die 34 Jahre alte Erzieherin aus Bramfeld. "Aber für jedes kleine Extra muss ich sparen. Und das, obwohl ich eine lange Ausbildung absolviert und heute einen überaus anstrengenden Beruf mit großer Verantwortung habe."

Gestern Morgen, halb neun, vor dem Gewerkschaftshaus am Besenbinderhof: Nach Polizeiangaben protestieren rund 1500 Beschäftigte des öffentlichen Dienstes hier lautstark für mehr Lohn. Neben Beschäftigten der Stadtreinigung, der drei Hamburger Staatsbühnen, Schauspielhaus, Thalia-Theater und Oper, der Hamburg Port Authority und des Flughafens sind es vor allem Erzieher aus den Kitas der städtischen Vereinigung Hamburger Kindertagesstätten. Denn die Kitas stehen im Mittelpunkt dieses Warnstreiks, da ihre Vereinigung der größte Arbeitgeber in der bestreikten Arbeitsrechtlichen Vereinigung Hamburg (AVH) ist. Die Erzieher machen mehr als die Hälfte der Streikenden aus. Daher sind an diesem Morgen 24 von 178 Kitas der Vereinigung komplett geschlossen, andere arbeiten nur mit Notversorgungen.

Viele der Streikenden tragen Leibchen mit der Aufschrift "Ver.di", der Gewerkschaft, die zum Warnstreik aufgerufen hat. Ein Plus von 6,5 Prozent und dabei mindestens 200 Euro mehr verlangt sie für die kommunalen Beschäftigten. Unter dem Beifall der Masse ruft Wolfgang Rose, Ver.di-Landesbezirksleiter: "Alles wird teurer. Die Arbeit wird härter. Nur der Lohn, der soll stehen bleiben. Nein, so läuft das nicht!"

+++ Tausende Teilnehmer bei Warnstreiks im Norden +++

Das kann Gudrun Roth, seit fast 13 Jahren im Berufsleben, unterschreiben. Sie arbeitet 38,5 Stunden pro Woche in der Kita Am Blumenacker in Fuhlsbüttel. 2667,67 Euro im Monat brutto verdient Roth, so steht es auch im gültigen Tarifvertrag. Fünf Lohnerhöhungen um jeweils einen Wert zwischen 0,5 und rund sieben Prozent hat Gudrun Roth in den vergangenen fünf Jahren nach erfolgreichen Tarifverhandlungen zwischen Ver.di und der AVH bekommen, außerdem zwei Einmalzahlungen von je 240 Euro. Trotzdem, sagt die Erzieherin, müssten die Löhne noch weiter steigen. "Denn ich habe zwar fast regelmäßig mehr Geld auf dem Konto. Nur bleibt mir davon wegen ständig steigender Lebenshaltungskosten nichts übrig." In zwei Jahren wird Gudrun Roths Gehalt laut Tarifvertrag erneut angehoben. Grund: Roths steigende Berufserfahrung. 3014,68 Euro soll die Erzieherin dann bekommen. Danach kann der Lohn für Roth nicht mehr steigen, da der Tarifvertrag keine weiteren Entwicklungsstufen vorsieht. Die gut 3000 Euro wären dann ohne neue Lohnerhöhungen Roths "Endgehalt" bis zur Rente.

Im europäischen Vergleich bewegt sich dieses Gehalt, so das Ergebnis einer Studie der Europäischen Union von 2008, im Mittelfeld. So beträgt das Erzieher-Endgehalt etwa in Portugal 1700 und in Griechenland 2100 Euro. Erzieher in Frankreich verdienen so viel wie Gudrun Roth in Hamburg. Mehr Geld erhalten beispielsweise deren Kollegen in England und Österreich - nämlich 3700 und 4300 Euro.

Doch Gudrun Roth streikt nicht nur des Geldes wegen. Sie sagt: "Die Arbeitsbedingungen für Erzieher in Hamburg sind heute schlecht. Das liegt daran, dass die Anforderungen in den vergangenen Jahren stetig gestiegen und die Kindergruppen größer geworden sind, das Personal aber nicht aufgestockt wurde."

Bei Eltern, die vom Kita-Streik betroffen sind, stößt die Kritik auf Verständnis: "Wir unterstützen die Forderungen der Gewerkschaft", sagt etwa Claudia Wackendorff, Vorstandsmitglied des Landeselternausschusses und Mutter von sechsjährigen Zwillingen. Sie ist selbst vom Warnstreik betroffen, bringt ihre Kinder in eine Kita des Arbeiter-Samariter-Bunds, der ebenfalls im AVH organisiert ist. "Wir haben einen Mangel an Erziehern. Wenn man junge Leute für diesen anstrengenden Beruf gewinnen will, müssen die Arbeitsbedingungen und die Bezahlung verbessert werden." Gleichwohl wünscht sich Wackendorff eine bessere Streik-Organisation: "Montagabend beim Abholen hieß es: Wir streiken Dienstag früh!", sagt Wackendorff. In den meisten übrigen Kitas sei der Streik aber rechtzeitig angekündigt worden.

Im Streit um den Tarifvertrag für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst geht es am 12. und 13. März in Potsdam mit der nächsten Verhandlungsrunde zwischen Ver.di und den Arbeitgebern auf Bundesebene weiter. Für den Fall, dass die Arbeitgeber dann kein Angebot machen, droht Ver.di mit neuen Warnstreiks, auch in Hamburg.