Eine Glosse von Alexander Schuller

Provisorien, die aus Kostengründen dauerhaft im Mund getragen werden müssen, halten häufig viel länger als vom Zahnarzt vorhergesagt. Der Eiffelturm sollte spätestens 20 Jahre nach der Pariser Weltausstellung abgerissen werden, aber der Bursche steht nach wie vor wie eine Eins. Und selbst unser Grundgesetz war bis zur Wiedervereinigung ebenfalls ein schlagender Beweis dafür, dass so manches Provisorium ganz prima als Dauerlösung funktionieren kann.

Der Steg aus sibirischer Lärche, der während der Arbeiten an der neuen U 4 in die Binnenalster hineinragte, gehört nicht dazu. Dabei war dieser provisorische Anleger ein beliebter Ort zum In-der-Sonne-Sitzen, zum Luftholen, zum Eisschlecken, zum Händchenhalten und zum Füße-ins-Wasser-baumeln-Lassen. Gestört hatten bloß die Alsterdampfer, die sporadisch anlegten (Quetschgefahr) oder notorisch schlecht gelaunte Alsterschwäne. Passiert ist freilich nie etwas.

Jetzt ist er weg, der Steg. Abgerissen. Kein Provisorium soll die schnurgerade Uferästhetik der Binnenalster mit ihren umliegenden Gebäudeensembles unterbrechen. Doch das Prachtufer verbietet das lässige Sitzen-und-die-Füße-ins-Wasser-baumeln-lassen-Sommererlebnis. Nicht einmal die schicken Designer-Sitzbänke können das kompensieren. So empfinden viele Hamburger den Abriss "ihres" Stegs als glatten Anlegerbetrug und fordern ihn zurück. Grund für ein Bürgerbegehren? Davon gibt's mittlerweile so viele, da käme es auf ein weiteres nicht mehr an. Doch das wäre eine andere Geschichte.