Eine Gedenkfeier für die Neonazi-Opfer reicht nicht. Es geht um den Kampf um die Köpfe.

Es waren ganz große Worte, ganz ohne falsches Pathos, wie es bei ähnlichen Gelegenheiten nur zu gerne passiert. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat bei der Gedenkfeier für die Opfer des Rechtsterrors die Mordanschläge eine "Schande für unser Land" bezeichnet. Für dieses Land, für diesen Staat, und damit für uns alle, hat sie die Hinterbliebenen um Verzeihung gebeten für die falschen Verdächtigungen, denen sie sich jahrelang ausgesetzt sahen.

Aber reicht das? Gut, Polizei und Justiz ermitteln mittlerweile fieberhaft. Aber hat sich nur die Beweislage geändert oder auch was in den Köpfen - nicht nur in denen der Ermittler?

Denn das ist das eigentliche Problem, das auch nicht durch eine noch so beeindruckende Gedenkfeier gelöst werden kann. Das ist jener alltägliche Rassismus, der immer mehr und immer normaler vorkommt. Zu besichtigen ist er bei den Ewiggestrigen von der NPD und den sogenannten Kameradschaften in ihrem Dunstkreis. Rechtsextremisten, die zum Beispiel in Teilen von Mecklenburg-Vorpommern oder Sachsen in unserer Gesellschaft wie die Fische im Wasser schwimmen und es bis in die Kommunal- und Landesparlamente geschafft haben. Sie engagieren sich in Schulen und Vereinen, um als vermeintlich gute Neonazis akzeptiert zu werden - und um dabei ganz nebenher gezielt Fremdenfeindlichkeit und Ausländerhass zu schüren.

Toleranz, hat die Kanzlerin gesagt, sei fehl am Platze. Null Toleranz kann es da nur heißen. Gab es nicht auch klammheimlichen Beifall, als jenen Teilen der Zivilgesellschaft die Mittel gekürzt wurden, die Neonazis die Stirn bieten wollten? Mancher hat doch insgeheim geseufzt, wenn etwa engagierte Vereine gegen Rechtsextremismus Unterstützung einforderten: Die schon wieder!

Fast 67 Jahre nach dem Ende der Nazi-Herrschaft scheint es in Deutschland immer noch schwer zu sein, aus dem Wissen um die deutsche Vergangenheit politisches Bewusstsein und Verantwortung dauerhaft zu entwickeln. Für seinen Satz, die Deutschen sollten den 8. Mai 1945 nicht als Tag der Kapitulation sehen, sondern als Tag der Befreiung von der Nazi-Herrschaft ist Richard von Weizsäcker berühmt geworden. Der damalige Bundespräsident, ein Konservativer, hat in einem heute weithin unbekannten Teil der Rede die jungen Deutschen aufgefordert, sich nicht in einen Hass gegen Juden oder Türken hineintreiben zu lassen.

Weizsäcker hielt diese Rede 40 Jahre nach dem Ende der Nazi-Herrschaft und damit nur wenige Jahre, bevor in Solingen (1993) und Mölln (1992) türkische Häuser in Flammen aufgingen - und immerhin 15 Jahre, bevor die Zwickauer Neonazi-Zelle mit ihrer Mordserie begann. Damals gab es auch noch keinen Thilo Sarrazin, der die Säle füllte und gegen eine angebliche Überfremdung zu Felde zog.

Es reicht auch nicht, die NPD zu verbieten. Wir müssen den Kampf um die Köpfe gewinnen - und den Ausländern, nicht nur den Türken, jenen Schutz bieten, den sie als unsere Mitbürger verdienen. Das ist die wahre Botschaft der Gedenkfeier von Berlin. Die Angehörigen der Opfer haben das verstanden. Sie sprachen nicht von Entschädigung, sondern von Gemeinsinn und Zugehörigkeit. Hoffentlich haben ihnen viele zugehört.