Joachim Gauck wird ein unabhängiger und damit unbequemer Präsident werden

Diesmal sollte alles anders werden: Nach zwei unglücklich beendeten Präsidentschaften wollte Bundeskanzlerin Angela Merkel einen überparteilichen und allgemein anerkannten Kandidaten für das höchste Staatsamt finden. Schnell, ohne Parteiengezänk und langwieriges Taktieren. Das ist beinahe geglückt - oder hat, besser gesagt, zunächst im Zeitraffer stattgefunden, da nach der Absage von Verfassungsgerichtspräsident Andreas Voßkuhle nur noch ein Name übrig blieb, der die genannten Kriterien erfüllte: Joachim Gauck. Es bedurfte nur noch des tollkühnen Schwenks der Liberalen - und der Kanzlerin blieb nichts anderes übrig, als einzulenken.

Vielleicht war sie sogar ganz froh darüber, dass ihr das FDP-Manöver ein schlagendes Argument gegen widerstrebende katholisch-konservative Unionskreise aus Süddeutschland geliefert hat: Gauck oder Koalitionsbruch, Staatskrise samt Neuwahlen oder vorerst weiterregieren.

Allerdings droht nun eine nachgelagerte Debatte über die Deutungshoheit der Personalie Gauck: wer wann schon immer recht gehabt hat, wer wen warum erpresst hat oder welche Bedeutung der künftige Präsident für künftige Regierungskonstellationen haben könnte. Sozialdemokraten und Grüne können ihre Genugtuung nicht verbergen, ihren Kandidaten nun doch zum Ziel gebracht zu haben, und tun alles, um das angespannte Verhältnis von Union und FDP in den allerschwärzesten Farben zu schildern. Die Liberalen dürfen sich vorerst als Sieger fühlen, weil sie die Einigung erst möglich gemacht haben. Die Union ist bemüht, die Entscheidung in einen eigenen Erfolg umzumünzen. Die Linken sind beleidigt, weil als SED-Nachfolger in diesem Fall zu Recht ausgegrenzt. Und die politischen Auguren sehen Große Koalitionen oder Ampeln am Horizont.

Alles andere wäre in einer Parteiendemokratie auch verwunderlich, in der neben der reinen Verfassungslehre auch noch der politische Alltag existiert, in dem die Handelnden um Positionen, deren Erhalt und Ausbau ringen und dem Konkurrenten dabei auch noch möglichst viele Steine in den Weg legen wollen.

Doch die Beteiligten sollten sich nicht allzu lange damit aufhalten, denn dem postulierten Ziel, Vertrauen in die Politik beim Bürger wiederherzustellen und die Würde des Amtes wieder in den Vordergrund zu rücken, dient man damit nicht. Schon gar nicht wird man der Person Joachim Gauck mit derartigem Gezänk gerecht. Dass er integer ist und überparteilich, natürliche Würde ausstrahlt und dem Amt gewachsen sein wird, hat nie jemand ernsthaft bezweifelt. Gegen ihn haben allenfalls machtpolitisches Kalkül oder Proporzfetischismus (à la Osten, Protestant, Mann) gesprochen. Oder das Argument, er habe nur ein Thema: die Freiheit.

Immerhin ist das schon eines mehr, als Christian Wulff hatte, und zweitens ein sehr vielschichtiges. Wenn er Präsident ist, wird Gauck nicht nur über Freiheit und Bürgerrechte reden können, sondern auch über die Rechte von Arbeitslosen, Migranten oder Opfern der Krise. Selbst in seinem ureigenen Thema hat er da noch Entfaltungsmöglichkeiten.

Er wird sie nutzen, so wie er zu anderen gesellschaftlichen Themen wichtige Impulse geben kann. Geschehen wird das aus einer Position der Unabhängigkeit, aus der Haltung eines Mannes, der der SED-Diktatur trotzte, der Versuchungen zu widerstehen vermag und der sich stets der Vereinnahmung entzogen hat. Das macht ihn aus Bürger- und Verfassungssicht zum idealen Kandidaten und sicherlich auch Präsidenten. Ein Liebling der Parteistrategen - gleich welcher Couleur - wird er aber nicht mehr. Er ist eben keiner für alle, und das dürfte der eigentliche Grund gewesen sein, warum er des zweiten Anlaufs ins Schloss Bellevue bedurfte.