Sie denkt und redet schneller als viele andere: Carola Veit über ihre Rollen als Frau, Mutter und Oberhaupt der Bürgerschaft im Parlament.

Der rote Faden zieht sich durch die Stadt: Er verbindet Menschen, die einander schätzen, bewundern, überraschend finden. Sie entscheiden, an wen sie ihn weiterreichen: an andere, die hier arbeiten, die Besonderes für Hamburg leisten, die als Vorbilder gelten. Den Anfang machte Altbürgermeister Henning Voscherau. In der 24. Folge vor einer Woche: Andreas Hieronymus

Eigentlich ist dies eine Geschichte über die junge Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit. Doch beginnen soll sie mit einem älteren Herrn mit langem weißen Bart. Er heißt Jona Metzger, ist Oberrabbiner und seines Zeichens die höchste religiöse Instanz des Landes Israel. Am Dienstag war Metzger in Hamburg zu Gast, er traf die Präsidentin des Parlaments in ihrem prächtigen Amtszimmer im ersten Stock des Rathauses, und von dort ging es weiter auf die andere Seite des Hauses, die des Senats. In einem kleinen Zimmer, in dem Gemälde mit den Porträts früherer Bürgermeister hängen, machte die Präsidentin den Rabbi auf den "jewish mayor" aufmerksam, den früheren Bürgermeister Herbert Weichmann, der jüdischer Herkunft war. Liegt ja nahe, so ein Hinweis.

Interessant war der Dialog, der sich daraufhin entspann. "Nur bei ihm ist seine Frau mit auf dem Bild", bemerkte der Rabbi korrekt und deutete auf Elsbeth Weichmann. "Ja, und sie raucht sogar", wies die Präsidentin auf die ungewöhnlich emanzipatorische Aussage des Gemäldes hin. Worauf der Rabbi mit sonorer Stimme von einem alten Brauch erzählte. Jeden Freitag werde beim Singen auch ein Loblied auf die Frauen angestimmt, in dem ihnen für ihre guten Taten, etwa die Vorbereitung des Wochenendes, gedankt werde.

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Na toll, ich bin Mutter, Abgeordnete und Präsidentin, aber für mich singt nie jemand ein Loblied, dachte Carola Veit. Dabei war der Smalltalk auch eine Art Lob, war er doch ein Beleg für den langsamen, aber sichtbaren Wandel der Hamburger Politik, für den die 38-Jährige steht - zusammen mit anderen jungen Spitzenpolitikerinnen wie Justizsenatorin Jana Schiedek, 37 (SPD) oder FDP-Fraktionschefin Katja Suding, 36. Oder hätte es diesen Dialog des Rabbiners auch mit Lutz Mohaupt gegeben, dem früheren Pastor und Bürgerschaftspräsidenten? Wohl kaum. Oder mit Berndt Röder, Mohaupts Vorgänger? Wohl auch nicht. Wer weiß, worüber die mit einem Rabbi gesprochen hätten, aber wohl kaum über rauchende Frauen.

Auf ihre Rolle als Frau möchte Carola Veit nicht reduziert werden. Verständlich. Man werde nicht etwas, weil man eine Frau ist, sondern weil man gut ist, sagt sie in der ihr eigenen resoluten Art. Aber wurde sie nicht Bürgerschaftspräsidentin, weil der Bürgermeister und SPD-Chef Olaf Scholz es sich so gewünscht hatte, weil er eben eine Frau an der Spitze des Parlaments haben wollte? "Okay, ja, das war Olafs Idee", räumt sie ein. In der SPD duzen sich alle, außer bei offiziellen Anlässen, da sagt sie zu Scholz "Herr Bürgermeister" und er zu ihr "Frau Präsidentin". Wie war das denn, als die überraschende Anfrage kam, offiziell, wegen der Gewaltenteilung, natürlich vom Fraktionschef? "Es dauert schon einen Moment, sich mit so einem Gedanken anzufreunden", sagt die Präsidentin und setzt sich noch etwas aufrechter auf das grüne Ledersofa in ihrem Amtszimmer. "Aber Parlament macht mir Spaß, die Abläufe haben mich schon immer interessiert. Und so einen Laden mit fünf Fraktionen zusammenzuhalten, das klang schon spannend."

Wer vor der Wahl gefragt hätte, was Carola Veit wohl nach der Wahl wird, hätte einen Vorschlag sicher nicht gehört: Bürgerschaftspräsidentin. In sieben Jahren als Abgeordnete hatte sich die Juristin und zweifache Mutter einen Ruf als Familien- und Jugendexpertin aufgebaut, sie galt als kompetent und hartnäckig, aber eben auch als vorlaute Abteilung Attacke der SPD-Fraktion. Das verhehlt sie auch gar nicht.

Wer auf ihrer Homepage den Button "Reden" anklickt, stößt noch heute als Erstes auf einen Auftritt von ihr in der Bürgerschaft, in dem sie Pläne des damaligen Sozialsenators Dietrich Wersich (CDU) als "völlig hirnrissig" abkanzelt. Dokumentiert ist in dem kurzen Film auch der anschließende Tumult, und wie Veit ("Ja, ich nehm das zurück") dem Ordnungsruf des Präsidenten ("Das hirnrissig nehmen Sie zurück!") zuvorkommt. Sie denkt und redet halt schneller als die anderen. Wer so forsch das Parlament aufmischt, muss sich nicht wundern, dass er nicht mit offenen Armen als dessen Präsidentin empfangen wird. Schon in der SPD-Fraktion gab es mit Mathias Petersen einen Gegenkandidaten, der ihr nur hauchdünn unterlag, und bei ihrer Wahl im März in der Bürgerschaft stimmten 46 der 119 Parlamentarier gegen sie - ein Negativrekord. "Spaßig war das nicht", sagt sie heute. "Aber ich nehme das nicht persönlich. Das kommt in der Politik schon mal vor, und dann darf man auch nicht weinen, wenn man selbst betroffen ist. Am nächsten Tag ging schließlich die Arbeit los." Aus dem Kreis der Abgeordneten habe sie auch nie wieder etwas gehört, sagt sie und setzt dann noch hinzu: "Die haben auch keinen Grund, sich zu beschweren."

Zack, da war er wieder, dieser Hang zum letzten Wort, der ihr manchmal das Leben schwer macht. Sich das abzugewöhnen, sei ihr sichtbar schwer gefallen, erzählen Kollegen aus dem Präsidium und der Riege der Fraktionschefs. Von Vorbehalten gegen die Präsidentin Carola Veit, wenn es sie denn gab, ist aber nichts mehr zu hören, im Gegenteil. Sie sei sehr um Ausgleich zwischen den fünf Fraktionen bemüht und zeige auch Rückgrat gegenüber dem Senat, heißt es sogar aus der Opposition. Das darf sie freuen, denn es entspricht ihrem Amtsverständnis: "Es ist meine Aufgabe, die Rechte des Parlaments zu vertreten, insbesondere auch der Opposition. Die haben niemanden außer mir." Schließlich kannte sie ja selbst bislang nur die Rolle des Jägers, der den Senat mit Kleinen Anfragen vor sich hertreibt. "Ich weiß, wie das ist, wenn man keine Antwort bekommt."

Die Bürgerschaftspräsidentin ist protokollarisch die höchste Person im Stadtstaate Hamburg, sie steht noch über dem Bürgermeister. Aber de facto bleibt ihr - vergleichbar dem Bundespräsidenten - nur die Macht des Wortes. Und die Auswahl der mehr als 20 Termine, die sie pro Woche wahrnimmt. Darüber gibt Carola Veit dem Amt durchaus eine sehr persönliche Note. Smalltalks mit norwegischen Prinzen, Schampus auf dem Süllberg oder Häppchen in Blankenese sind nicht so ihr Ding. Macht sie auch, sehr professionell sogar, das gehört dazu. Aber wenn es um die Schule um die Ecke, ein soziales Projekt in Jenfeld oder die Kinderstation im Krankenhaus Altona geht, ist sie in ihrem Element. Gefragt nach ihrem schönsten Erlebnis als Präsidentin, fällt ihr dann auch die Wandsbeker Grundschule Am Eichtalpark ein, deren Viertklässler sich intensiv mit dem Bürgerschafts-Pixi-Buch "Alsterdetektive" beschäftigt hatten. "Als die Schüler mich später hier im Rathaus besucht haben, haben sie mir ein selbst gebasteltes Memory-Spiel geschenkt. Das war ganz süß", erzählt sie. "Und ein tolles Erlebnis, zu sehen, wie engagiert diese Lehrerin ist und was sie ihren Schülern vermittelt."

Diese Begeisterung für das Engagement von Schülern hat wohl auch mit ihrer Biografie zu tun. Aufgewachsen und bis zum Abitur zur Schule gegangen ist sie in Billstedt, später wohnte sie auf der Veddel und auf St. Pauli, bevor sie mit ihrem Mann, einem Architekten, und den Kindern Paul, 11, und Marie, 6, nach Spadenland zog. Ihr Abgeordnetenbüro hat sie nach wie vor in Rothenburgsort, um die Ecke sitzt die Stadtreinigung. Sie sei nach wie vor viel in der Stadt unterwegs, fahre - trotz Dienstwagen - auch mit dem Bus oder mit dem eigenen Kleinwagen herum. Das sei ihr auch wichtig, sagt sie. "Es nützt den Bürgern nichts, wenn ich nur distanziert repräsentiere. Das Amt ist nicht nur dazu da, dass ich Guten Tag sage." Ohnehin schwer vorstellbar, dass sie nur Guten Tag sagt und sonst nichts.

Obwohl ihr Tagesablauf strukturierter ist als früher als einfache Abgeordnete, als auch am Sonntag oft noch eine Kleine Anfragen zu schreiben war, ist das Familienleben eine große Herausforderung. Zum Glück gehen die Kinder zeitversetzt zur Schule, erzählt sie. "So habe ich mit meinem Sohn und danach mit meiner Tochter morgens jeweils eine knappe Stunde für uns." Nicht viel, aber immerhin. Und klar ist: "Ohne Oma und Opa würde das nicht so gut funktionieren."

Denn als Dienstherrin über die 80 Mitarbeiter der Bürgerschaftskanzlei hat sie mehr als einen Vollzeitjob. Sich über die Bürde des Amtes zu beschweren oder darüber, dass die Arbeitstage oft erst spät am Abend enden, käme ihr aber nicht in den Sinn. "Das ist schließlich einer der tollsten Arbeitsplätze, die man in dieser Stadt haben kann."

Und sie hat noch einiges vor. Die Türen des Rathauses wolle sie noch etwas weiter öffnen, sagt die Präsidentin. Wie meint sie das? "Die Bürger sollen nicht nur denken, schönes Haus', sondern sie sollten denken: ,Unser Rathaus! Das ist der Ort, an dem unsere Interessen vertreten werden.'" Ein Thema werde zum Beispiel das Wahlrecht ab 16 Jahre sein, das die Bürgerschaft vermutlich beschließen wird, darüber müsse die Politik die Menschen informieren und darauf vorbereiten. "Wir brauchen nicht darauf zu warten, dass die Wahlbeteiligung von allein steigt. Dafür müssen wir schon etwas tun."

Ganz oben auf ihrer Agenda stehen die vielen Kinder- und Jugendprojekte des Parlaments. Zu dem lehrreichen Pixi-Buch, dem Hörspiel Alsterdetektive und Veranstaltungen wie Nacht der Jugend oder Jugend im Parlament sollen künftig noch besondere Kinderführungen durchs Rathaus kommen. Die hatte Veit schon als Vorsitzende des Familienausschusses initiiert.

Dass sie von Selbstzweifeln ausgebremst wird, ist nicht zu befürchten. "Es gibt für mich keinen Grund, ängstlich zu sein", sagt sie. Und dann folgt eine Erklärung, der das ganze Sympathisch-Unkonventionelle dieser Parlamentspräsidentin innewohnt: "Wenn man mir nicht zugetraut hätte, dass ich mit Messer und Gabel essen kann, hätte ich das Amt nicht bekommen. Ich gehe davon aus, dass ich gewählt wurde, weil man mir das zutraut. Dann mache ich das jetzt auch."

Carola Veit reicht den roten Faden weiter an den Vize-Präsidenten des FC St. Pauli, Bernd-Georg Spies. "Ich wünsche ihm in dieser schwierigen Situation eine glückliche Hand und hoffe, dass der Verein und die wahren Fans dafür sorgen, dass der Mythos St. Pauli weiterlebt."