Der Hamburger Schulsenator Ties Rabe (SPD) ist jetzt Präsident der Kultusministerkonferenz. Leicht wird der neue Job für ihn wohl nicht.

Berlin. Bildungspolitiker ist im Grunde ein undankbarer Job. Entweder man mischt sich möglichst wenig ein und lässt die Schulen einfach mal in Ruhe - dann muss man sich den Vorwurf der Untätigkeit gefallen lassen. Wer aber mit hochgekrempelten Ärmeln und Reformeifer ans Werk geht, bringt sogleich diverse Gruppen gegen sich auf - die Eltern, die Lehrer, die Schüler oder gleich alle zusammen. Denn grundsätzlich gilt: Jeder hat beim Thema Schule etwas zu sagen. Weil jeder einmal eine besucht hat und darüber hinaus durch Kinder, Enkelkinder oder Patenkinder weiterhin direkt und indirekt betroffen ist.

Ties Rabe kennt das natürlich. Zwar ist in Hamburg nach dem Volksentscheid und der Protestwelle gegen die schwarz-grüne Schulreform eine relative Ruhe eingekehrt. Dafür aber gibt es Querelen um Ganztagsgrundschulen, überfüllte Klassen und vor einiger Zeit um die Zukunft die Schreibschrift. Und auch sonst hat der Schulsenator, der jetzt seit rund zehn Monaten im Amt ist, einiges zu tun. Es vergehe kein Tag, berichtet der SPD-Politiker gestern in einem Konferenzraum im Berliner Bundesrat, an dem nicht Interessengruppen Vorschläge an ihn herantrügen. Etwa zum Fächerkanon, zu Themenschwerpunkten im Unterricht, ob es um das Fach Astronomie gehe, Informatik oder Theater. "Das muss man alles im Blick haben", sagt Rabe.

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Dass er bei seinem offiziellen Amtsantritt als Präsident der Kultusministerkonferenz KMK seine Ziele eher vorsichtig formuliert, könnte also vor allem dem Bewusstsein geschuldet sein, dass man als Bildungspolitiker nicht gerade um Aufmerksamkeit betteln muss, sondern sie sowieso durch jeden kleinsten Schritt frei Haus bekommt. Als neuer Chef des höchsten Bildungsgremiums der Bundesrepublik gilt das umso mehr. "Ich will versuchen, dass wir da ein Stück vorankommen", formuliert es Rabe also bescheiden, als er die beiden Schwerpunkte seines Präsidentschaftsjahres erklärt.

Und die sehen so aus: Zum einen will der Schulsenator die Abschlüsse in den 16 Bundesländern durch einheitliche Bildungsstandards weiter angleichen. Die Ansprüche etwa an das Abitur dürften sich "in Sachsen oder in Bremen, in Hamburg oder in Niedersachsen nicht unterscheiden". Dieses Thema hat Rabe allerdings geerbt, denn die KMK befasst sich nun schon seit mehr als zehn Jahren damit. Zum anderen will er den Übergang in den Beruf erleichtern. Netzwerke zwischen Schulen und Betrieben, wie derzeit auch in Hamburg erprobt, sollen deshalb ausgebaut und ineffiziente Angebote umstrukturiert werden. Dagegen kann nun wirklich niemand etwas haben.

Rabe wird sein neues Präsidentenamt für ein Jahr behalten. Er ist turnusgemäß auf diesen Posten gelangt und hat ihn von Niedersachsens Kultusminister Bernd Althusmann (CDU) übernommen, der zuletzt wegen Unzulänglichkeit bei seiner Doktorarbeit in die Kritik geraten war. Eigentlich wäre Hamburg bereits 2010 mit dem Vorsitz an der Reihe gewesen. Doch Niedersachsen sprang wegen des jähen schwarz-grünen Endes und der Neuwahlen vorzeitig ein.

Leicht wird der Job des KMK-Präsidenten für Rabe nicht. Das Gremium, dessen Aufgabe offiziell lautet, "ein Mindestmaß an Gemeinsamkeit und Vergleichbarkeit im Bildungswesen zu gewährleisten", hat einen miserablen Ruf. "Träges Bürokratiemonster" oder "zahnloser Tiger" wird es genannt, weil viele Beschlüsse nur Papier bleiben. Vor einigen Jahren war die Bezeichnung "griechische Landschildkröte" populär, weil es immer recht lange dauert, bis ein Beschluss herbeigeführt wird. Der ehemalige FDP-Chef und heutige Außenminister Guido Westerwelle beschimpfte die KMK einst als "Bremser-Gremium", das sich mit Fragen wie jener beschäftige, "ob man Flanelllappen mit zwei oder drei ,l' schreiben soll".

Was damals der Ärger über Rechtschreibreform und PISA-Studie war, ist heute der Groll gegen das Turbo-Abi G8, der völlig unterschätzte Ansturm auf die Unis im letzten Jahr oder über die Frage, ob das Abitur in einem Vergleichsmodell mehr wert ist als eine abgeschlossene Ausbildung. Ties Rabe, gelernter Gymnasiallehrer für Religion, Deutsch, Geschichte und Gemeinschaftskunde, wird also auch um diese Fragen nicht herumkommen. Ein weiteres wichtiges Projekt ist auch das Aus für das Kooperationsverbot. Es untersagt dem Bund, in die Bildungsfinanzierung einzusteigen, weil allein den Ländern dieses Recht obliegt. Das Problem: Die chronisch klammen Länder haben nicht immer genug Geld für die Bildung übrig. "Das Kooperationsverbot hat keinen Sinn. Bildung ist so wichtig, dass sich Länder und Bund hier gemeinsam engagieren müssen", meint Rabe.

Am Bildungsföderalismus selbst will er aber trotzdem festhalten: "Viele wünschen sich zwar ein einheitliches Schulsystem", doch wünsche sich jeder ein anderes, glaubt er. "Wer ein einheitliches Schulsystem will, der muss vermutlich in 15 der 16 Bundesländer das Schulsystem umkrempeln - mit allen sehr problematischen Auswirkungen für die zurzeit lernenden Schüler, mit scharfen öffentlichen Auseinandersetzungen, aufgeregten Lehrern, Eltern, Schülern und Politikern." Also bleibt Rabe auch hier vorsichtig. Wer die Zusammenarbeit von Bund und Ländern verbessern wolle, müsse zunächst fragen, "welche Aufgaben eigentlich gelöst werden müssen".

Wie in Hamburg wird sich Rabe also auch im Bund eher pragmatisch und gemäßigt präsentieren. Privat ist er mit einer Schulleiterin verheiratet und Vater dreier Kinder, von denen zwei bereits studieren. Er erlebt also hautnah mit, welche Widrigkeiten das System mit sich bringen kann. Das kann ihm auch als KMK-Präsident helfen. Ob es am Ende seiner Amtszeit allerdings für eine Erfolgsbilanz reichen wird, hängt bei dem hart umkämpften Feld der Bildungspolitik längst nicht nur von ihm ab. Erich Thies, bis Herbst 2011 Generalsekretär der KMK, hat es, bezogen auf die Stadt Berlin, einmal so formuliert, dass es eigentlich für ganz Deutschland und damit auch für Rabe gelten kann: "Der Schulsenator kann 95 Prozent der Probleme lösen. Wegen der restlichen fünf Prozent bekommt er so viel Prügel, als hätte er nichts getan."