Betreuung auch am Nachmittag? Verpflichtend oder freiwillig? Welche erste Klasse ist die richtige? Kinder bis zum 3. Februar anmelden.

Hamburg. Mittlerweile hat sie schlaflose Nächte. Lange Zeit hatte sich Anneli Tomfort gar nicht damit beschäftigt, dass der Senat eine umfangreiche Reform anschiebt und Hamburgs Grundschulen ganztägig sein sollen. Ihre Tochter Marleen ging in die Kita. Das Thema schien weit weg. Bis jetzt. Schließlich wird die Fünfeinhalbjährige im Sommer eingeschult, und Anneli Tomfort aus Eimsbüttel liegt oft wach und grübelt, welche Grundschule die Richtige ist. Die Wahl fällt in Zeiten des Umbruchs besonders schwer.

Der überwiegende Teil der 195 Hamburger Grundschulen ist bislang verlässliche Halbtagsschule. Das heißt, die Kinder haben von acht bis 13 Uhr verbindlich Unterricht und gehen anschließend nach Hause oder, wenn ihre Eltern einen Kita-Gutschein haben, zur Nachmittagsbetreuung in einen Hort. Mit der Einführung der ganztägigen Bildung und Betreuung an Schulen (GBS) sollen alle Eltern, ob sie berufstätig sind oder nicht, die Möglichkeit haben, dass ihre Kinder an einem Angebot teilnehmen, das Betreuung und Bildung kombiniert. Dazu arbeiten entweder die Hortträger mit den Schulen zusammen oder die Schulen realisieren die Nachmittagsbetreuung in eigener Verantwortung. Ziel ist es, dass künftig etwa 60 Prozent, das wären 40 000 Schulkinder, ein kostenloses Nachmittagsangebot bekommen. Bislang sind es etwa 40 Prozent.

+++ Neue Ganztagsgrundschulen ab Sommer 2012 +++

+++ Mehr Mut und Pioniergeist! +++

+++ "Die Kinder haben hier ein Heimatgefühl" +++

Der Ausbau der Ganztagsgrundschulen geht zügig voran. Der Schulbehörde liegen derzeit 42 Anträge von Grundschulen vor, die GBS einführen wollen. 36 dieser Anträge wurden bereits bewilligt, sechs weitere werden noch geprüft. Darüber hinausgehen neun Grundschulen mit einem verpflichtenden Ganztagsangebot, das die Schulen selbst organisieren, an den Start. "Es gab nie so viele neue Ganztagsschulen auf einen Schlag", sagt Peter Albrecht, Sprecher der Schulbehörde. Damit werden ab dem Sommer mehr als 60 Prozent der Grundschulen dazugehören.

Schulsenator Ties Rabe (SPD) will die Ganztagsgrundschule in Hamburg bis zum Sommer 2013/2014 flächendeckend umsetzen. "Das muss gar nicht von oben verordnet werden", versichert er. "Wir haben gemerkt, dass Eltern und Lehrer das Konzept der ganztägigen Bildung und Betreuung mittragen." Denn nur wenn die Schulkonferenz sich einig sei und den Antrag stelle, werde die Schule Ganztagsschule. Standorte, die zum Schuljahr 2013/2014 einsteigen, müssen sich bis Ende März 2012 entscheiden, welche Form der Ganztagsschule sie verwirklichen wollen.

Für viele Eltern ist die neue Schulvielfalt undurchsichtig, denn sie haben inzwischen die Auswahl unter vier Modellen - den neuen GBS-Schulen, dazu den offenen, den gebundenen und den teilgebundenen Ganztagsschulen. "Wir Eltern tappen im Dunkeln. Es gibt viel zu wenig Informationen", sagt Anneli Tomfort. Wie sie müssen auch unzählige andere Mütter und Väter derzeit entscheiden und ihre Kinder bis zum 3. Februar an einer Grundschule anmelden.

Ist die fünfjährige Marleen Tomfort der Typ, der nach fünf Stunden Unterricht gut damit klarkommt, dass die weiteren Angebote des Tages nicht für alle verbindlich festgelegt sind? Dann könnte sie an ihrer Schule bleiben. Dort geht sie im Moment vormittags in die Vorschule und nachmittags in einen Hort. Ab dem Sommer 2013 wird der Standort eine GBS-Schule, das ist die neue offene Ganztagsgrundschule. GBS bedeutet: Marleen geht nicht mehr in den Hort, sondern bleibt den ganzen Tag an ihrer Schule. Dort hätte sie vormittags Unterricht und ergänzende Angebote wie Sport oder Musik nachmittags in der Kernzeit von 13 bis 16 Uhr.

Die Schule wird dafür mit einem Kooperationspartner zusammenarbeiten, einem Jugendhilfe- oder Hortträger. Das Nachmittagsangebot ist freiwillig, wer angemeldet ist, muss aber an mindestens drei von fünf möglichen Wochentagen bis 16 Uhr teilnehmen. Wenn ihr Kind länger in der Schule bleiben soll, muss es an mindestens drei Tagen verpflichtend an den Nachmittagsangeboten teilnehmen. Doch Anneli Tomfort zweifelt, ob das für ihre Tochter das richtige Modell ist. "Marleen liebt die Vorschule, aber das System Hort nicht", sagt die 38-Jährige. Dass es einen Unterschied zwischen GBS und der offenen Ganztagsgrundschule nach Rahmenkonzept gibt, davon hat sie noch nichts gehört. Es sind wohl diese bürokratischen Verwaltungsbegriffe, die das ganze System so undurchschaubar machen.

In der offenen Ganztagsschule gibt es am Vormittag Unterricht nach Stundenplan, nachmittags ergänzende Angebote, die die Schule organisiert und verantwortet - und nicht ein Kooperationspartner wie bei der GBS. An vier Tagen können die Kinder von acht bis 16 Uhr bleiben, an einem weiteren bis 13 Uhr. Die Teilnahme ist freiwillig, mit der Anmeldung müssen Kinder das Angebot aber an vier Tagen wahrnehmen.

Für ihre Tochter Marleen, da ist sich die Art-Direktorin Anneli Tomfort nach vielen Überlegungen sicher, sei eine Grundschule in der gebundenen Form wohl geeigneter als die offene. "Marleen sagt ganz klar, dass sie in keinen Hort will. Die gebundene Form ist doch super, vor allem für Eltern, die arbeiten müssen", sagt Frau Tomfort, die 35 Stunden in der Woche in einer Werbeagentur arbeitet, ihr Mann ist Anwalt. Die Familie ist auf die Nachmittagsbetreuung angewiesen. Bei der gebundenen Form sind der Unterricht und die ergänzenden Kurse für alle Schüler verpflichtend. Der Unterricht nach Stundentafel findet auch am Nachmittag statt. An vier Tagen von acht bis 16 Uhr, an einem weitere Tag bis 13 Uhr. Im Idealfall wird der Schultag der Kinder rhythmisiert, das heißt Phasen der Konzentration, der Entspannung, des freien Spiels wechseln sich ab. Hausaufgaben müssen die Kinder zu Hause nicht mehr machen. "Das ist einfach klasse, weil kein Kind um 13 Uhr nach Hause gehen kann, während die Kinder von Berufstätigen länger in der Schule bleiben müssen", findet Frau Tomfort. "Das verhindert eine Zwei-Klassen-Gesellschaft."

Die vierte Form ist die teilgebundene Ganztagsgrundschule, bei der alle Schüler Unterricht haben. Zusätzlich gibt es einen offenen und einen gebundenen Teil, das heißt die ergänzenden Ganztagsangebote sind teilweise verpflichtend, teilweise freiwillig. Egal, für welches Modell sich Anneli Tomfort und ihr Mann entscheiden: Bis auf das Mittagessen, das hamburgweit höchstens 3,50 Euro pro Mahlzeit kostet, sind alle Angebote in der Kernzeit zwischen acht und 16 Uhr kostenlos.

Die Betreuung der Kinder, egal welche Form, ist von sechs Uhr morgens bis acht Uhr gewährleistet sowie von 16 bis 18 Uhr und in den Ferien. Dirk Bange, Leiter der Abteilung Familie und Kindertagesbetreuung in der Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration, verspricht: "Wir garantieren für alle Eltern und Kinder eine Lösung. Alle Kinder werden ganztägig und in den Ferien betreut." Noch vor den Frühjahrsferien wollen die Behörden dazu die neue Gebührentabelle veröffentlichen.

"Es wird eine soziale Staffelung geben ähnlich wie bei den Hortsätzen", so Senator Rabe. Auch eine Geschwisterregelung sei vorgesehen sowie eine soziale Staffelung beim Mittagessen. Der Landeselternausschuss LEA steht der Einführung von Ganztagsschulen im Prinzip positiv gegenüber. "Der Zugang für alle zur Nachmittagsbetreuung ist toll, aber man muss auf die Qualität der Betreuung achten, sonst geht das Ganze nach hinten los", sagt LEA-Sprecherin Claudia Wackendorff.