Neue strenge Hygiene-Auflagen der Behörden sorgen bei den 1600 Erzieherinnen für Unmut

Hamburg. Ute Ratzmer soll Lebensmittelunternehmerin werden. Dabei ist die 48-Jährige mit ihrer Arbeit bislang sehr glücklich gewesen - sie kümmert sich in ihrer Doppelhaushälfte in Wilhelmsburg um Mila, Alexander und drei weitere Kinder. Die Tagesmutter wechselt den Kleineren die Windeln, spielt und singt mit ihnen, kocht für sie und hilft dem Schulkind, das sie ebenfalls einmal pro Woche betreut, bei den Hausaufgaben. Vor einigen Tagen hat die ausgebildete Erzieherin Post von der Sozialbehörde bekommen. In dem dicken Umschlag, in dem sie das Fortbildungsprogramm für 2012 vermutete, lag der "Leitfaden für die Lebensmittelhygiene in der Kindertagespflege". Ratzmer fühlt sich, wie wohl die meisten ihrer 1606 Kolleginnen und Kollegen in Hamburg, vor den Kopf gestoßen und empfindet die neuen Vorschriften als massiven Eingriff in ihren privaten Bereich.

Der Hamburger Verein Tagesmütter und -väter wurde völlig davon überrascht, dass die Hygieneverordnung nun ausnahmslos für alle Tagespflegestellen gelten soll. Denn neben den 181 sogenannten Großtagespflegestellen (Stand 31. August 2011), zu denen sich mehrere Tagesmütter und -väter zusammengeschlossen haben und die für ihre Arbeit in der Regel externe Räume angemietet haben, sind es vor allem Privatwohnungen, in denen die knapp 4900 Tageskinder in Hamburg betreut werden. In vielen privaten Küchen und Bädern lassen sich die neuen Vorgaben nur schwer umsetzen.

"Natürlich ist Hygiene ein wichtiges Thema und sollte eine Selbstverständlichkeit sein, aber wenn so in die privaten Räume eingegriffen wird, halte ich das für schwierig", sagt die Tagesmutter Antje Radloff, die seit 1999 in ihrer Wohnung in Winterhude Kinder betreut. "Die Richtlinie bedeutet für viele Tagemütter Umbauten in ihrer Privatwohnung, die mit Kosten verbunden sind." Sie müsste, um den Vorschriften zu genügen, in ihrer Küche ein zusätzliches Handwaschbecken einbauen und die Buchenholzplatte austauschen, weil Holz "aufgrund seiner rauen und porösen Oberfläche ungeeignet ist", wie es im Leitfaden heißt. Radloff sagt, sie begrüße die Qualitätsanstrengungen in der Tagespflege, "aber Einmalhandtücher, Thermometer und Fliegengitter haben damit nichts zu tun".

Und damit allein ist es nicht getan. Jede Tagesmutter muss auch ein "HACCP-Eigenkontrollsystem" entwickeln. Das Kürzel steht für Hazard Analysis and Critical Control Points (auf Deutsch: Gefahrenanalyse und kritische Lenkungspunkte). Das bedeutet, während sich die Tagesmütter um die Kinder kümmern, sollen sie auch noch alle Einkäufe dokumentieren, täglich die Lagerungstemperatur in Kühlschrank und Tiefkühltruhe notieren und genau notieren, wann sie wo in ihrer Wohnung putzen.

Bei der Hamburger Sozialbehörde ist man nicht glücklich über die neuen Vorgaben aus Berlin, man müsse sie aber umsetzen, sagt Behördensprecherin Nicole Serocka. "Wichtig ist, dass allen Tagesmüttern und -vätern bewusst ist beziehungsweise wird, wo typische Gefahrenstellen und Infektionsherde existieren und wie man diesen bestenfalls begegnet. Dabei muss nicht jede Empfehlung eins zu eins, wie sie im Leitfaden formuliert ist, umgesetzt werden. Vielmehr sollte jede Tagespflegeperson selbst sondieren, wie sie die jeweilige Anforderung bei sich zu Hause umsetzt und damit das Risiko minimiert."

Praxisnahe Tipps sollen die Betroffenen in den eigens dafür eingerichteten gut zweistündigen Schulungen bekommen, die sie im Lauf des Jahres absolvieren müssen. Die Behörde werde zusätzlich zu den monatlich angesetzten Veranstaltungen weitere Schulungstermine organisieren, so Serocka.

Augenmaß wünscht sich auch Melanie Leonhard, familienpolitische Sprecherin der SPD, die in den vergangenen Tagen mit vielen besorgten Tagesmüttern gesprochen hat. "Grundsätzlich finde ich aber sinnvoll, dass das Thema Hygiene eine Rolle spielt. Es braucht aber genügend Zeit, um sich umzustellen."

Der Verein Hamburger Tagesmütter und -väter fordert finanzielle Hilfen für die Betroffenen. "Die Anforderungen und der Aufwand werden erhöht, ohne dass Zeit und Kosten vergütet werden", sagt die Vereinsvorsitzende Anja Reinke. Schon jetzt werden Tagesmütter mit ihrer Arbeit nicht reich. Für ein Krippenkind, das beispielsweise 25 Stunden pro Woche betreut wird, bekommt die Tagesmutter je nach Qualifizierung zwischen 146,86 Euro und 253,68 Euro. Dazu bekommt sie eine Sachkostenpauschale von 119,34 (für Spielzeug, Verpflegung etc.) Anja Reinke rechnet damit, dass weitere Tagesmütter aufgeben: "Tagesmutter ist immer noch kein anerkannter Beruf, und die Bedingungen werden immer komplizierter."