Bürger verstehen Formulare nicht. Elterngeldantrag dauert fast vier Stunden. 90 Prozent der Anträge müssen überarbeitet werden.

Vielleicht sollte man am Ende anfangen, also beim Sterben. In der Polizeisprache nennt sich das "Ableben" und ist für Staatsdiener klar geregelt. Denn: "Stirbt ein Bediensteter während der Dienstreise, so ist damit die Dienstreise beendet." Schließlich stellt - wer wüsste es nicht - "der Tod aus versorgungsrechtlicher Sicht die stärkste Form der Dienstunfähigkeit dar".

Ja, die Sprache der Ämter ist bisweilen hinreißend makaber. Doch diese Beispiele bilden nur einen kleinen Teil der Behördengemeinheiten, wie Hans Fluck, Germanistik-Professor an der Ruhr-Universität Bochum, sagt. "Nehmen Sie nur Worte wie Erwerbsobliegenheit oder Empfangsbekenntnis. Damit ist nichts weiter gemeint als die Pflicht, für sein Geld zu arbeiten oder seine Unterschrift unter eine Postsendung zu setzen. Doch es sind Ungetüme der Sprache, die kein Mensch versteht."

Elterngeldanträge, Anträge für Kita-Gutscheine oder Bafög-Unterlagen - hinter der ausgeprägten deutschen Bürokratie lauert fast immer hoheitliches Behördendeutsch. Und Hans Fluck ist ein Pionier im Kampf gegen Bandwurmwörter, Endlossätze und unsinnige Anweisungen aus den Amtsstuben. Seit 1999 streitet der 70-Jährige gegen bizarre Sprachkolosse. Damals versuchte die Stadt Bochum ihre Formulare verständlicher zu verfassen und suchte Hilfe bei Germanisten. Zu lange Sätze, Unmengen an Paragrafen - Fluck und sein Team entrümpelten in den vergangenen zwölf Jahren insgesamt 6000 Amtstexte. Doch nur etwa 300 von 12 000 deutschen Städten und Gemeinden nehmen die Hilfe von Sprachspezialisten wie Fluck in Anspruch. Dabei wünscht sich ein Großteil der Deutschen mehr geschriebene und gesprochene Bürgernähe. In einer Umfrage der Gesellschaft für deutsche Sprache haben 86 Prozent geantwortet, Anträge und Formulare von Behörden sollten verständlicher werden. Gestelztes Behördendeutsch führe zu groben Missverständnissen.

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Ein Indiz dieses Kommunikationsproblems findet sich im Hamburger Bezirksamt Eimsbüttel: "90 Prozent der per Post eingehenden Elterngeldanträge müssen überarbeitet werden oder sind unvollständig", sagt Sozialdezernentin Brigitte Samtleben. Den überwiegenden Teil dieser Irrlichter führt sie auf die schwierigen Formulierungen zurück. 3400 solcher Anträge wurden 2011 in Eimsbüttel gestellt. Die Vordrucke seien kompliziert, die Gesetze komplex. "Einfach ist das für junge Eltern nicht", konstatiert die Amtsleiterin. Denn man müsse sich die Situation ja so vorstellen: Während der Elterngeldantrag halb ausgefüllt auf dem Schreibtisch liegt und angestrengt Verdienstnachweise herausgesucht werden, brüllt nebenan der Säugling, verlangt der Partner nach Entlastung - und einkaufen, ja, einkaufen müsste man eigentlich auch mal wieder. Sich in einer solchen Situation durch spitzfindige Schachtelsätze oder detaillierte Antragsforderungen zu quälen grenzt an einen zweiten Geburtsschmerz. Mitunter verflucht man, was niemand schöner beschrieben hat als die Bundeszentrale für politische Bildung: "Der Geschlechtsunterschied zwischen den Eltern ist Voraussetzung für die Zeugung des Nachwuchses."

Nicht ganz überraschend hat der Normenkontrollrat der Bundesregierung, eine Art deutscher Gesetzes-TÜV, im Jahr 2009 festgestellt, dass Eltern durchschnittlich 220 Minuten benötigen, um einen Elterngeldantrag erfolgreich auszufüllen. 60 Minuten brauchten die Probanden allein für das Verständnis der 13 Punkte. Folgerichtig wurde von den bedauernswerten Antragstellern angeregt, den Vordruck übersichtlicher zu gestalten, klarer zu formulieren und Berechnungszeiträume zu vereinfachen. Doch das müsste beim Bund passieren. "Wir würden uns jedenfalls freuen, wenn sich in dieser Hinsicht noch etwas ändern würde", sagt Sozialdezernentin Samtleben. Schließlich müsse das Bezirksamt die Bundesgesetze umsetzen, Sachbearbeiter könnten die Anträge nicht einfach umschreiben.

Die Wurzel des Übels, hier: die Sprachbarriere zwischen Amt und Bürger, liegt in der elitär motivierten Entstehung des bürokratischen Codes begründet: Im 19. Jahrhundert war das Amt oben, der Bürger unten. Und bis heute wird Blähsprache in der Gesetzgebung verwendet, sagt Sprachwissenschaftler Fluck. Weil Gesetze vor Gericht bestehen müssen, dominiert Juristendeutsch. Mit einer Fülle von Bezugsparagrafen entsteht schnell ein Wust aus sprachlicher Brutalität, der ungefiltert in Anträgen und Formularen übernommen wird. Am Ende verstehen selbst Akademiker oft nur Bahnhof. Längst nicht alles ist so schnörkellos wie im "Deutschen Lebensmittelhandbuch": "Gewürzmischungen sind Mischungen von Gewürzen."

Im Bundestag gebe es neben dem Normenkontrollrat zumindest einen interfraktionellen Arbeitskreis, der sich der sprachlichen Einfachheit von Gesetzen widmet, sagt Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit (SPD). In Hamburg werde dagegen auf Selbstkontrolle gesetzt: "Wir sind transparent, haben häufig Anhörungen, und im Prinzip können alle inhaltliche und sprachliche Verbesserungsvorschläge einbringen. Im Stadtstaat ist ja in der Regel abzusehen, wie viel Verwaltungsaufwand entsteht." 121 Abgeordnete würden qua Mandat als Gesetzes- und Sprach-TÜV fungieren. Doch wenn EU- oder Bundesgesetze umgesetzt werden müssten, gerate man an Grenzen. Unvergessen ist das von der EU betriebene Hamburger Seilbahngesetz von 2004. Fast entschuldigend legte der damalige Senat der Bürgerschaft den Gesetzesentwurf vor, hatte er sich doch vorgenommen, weniger regulieren zu wollen. Aber: Deregulierung muss geregelt werden.

In den vergangenen sechs Jahren wurden 108 neue Gesetze in Hamburg erlassen, gleichzeitig 48 abgeschafft, wie aus einer Großen Anfrage der FDP-Fraktion hervorgeht. Insgesamt hatte die Stadt im September 2010 exakt 366 Gesetze - Verordnungen und Vorschriften noch nicht eingerechnet. Normenkontrollen oder eine ständige Bürokratiekostenmessung gibt es in Hamburg nicht. Im Jahr 2008 kam eine Untersuchung lediglich zu dem Schluss, dass das hamburgische Landesrecht nur ein Prozent der bundesweiten Bürokratiekosten verursacht - acht Millionen Euro.

Im Übrigen, sagt Bürgerschaftspräsidentin Veit, gehen einige als kompliziert wahrgenommene Gesetze wie das Wahlrecht oder das Hamburger Kita-Gutschein-System aus Volksinitiativen hervor. Soll heißen: Bürger haben sich komplexe Regeln gewünscht. "Und dann steht man als Gesetzgeber vor dem Problem, dem Volkswillen verständlich nachzukommen", sagt Veit. "Aber ich gebe zu: Rechtssicherheit muss nicht immer auch Umständlichkeit bedeuten." Deshalb hält sie einen ehrenamtlichen Normenkontrollrat - wie von der Handelskammer vorgeschlagen - für "eine charmante Idee". Denn, so Veit, etliche Gesetze brauche man im täglichen Umgang nicht.

Gespannt sei die Bürgerschaftspräsidentin auf die Ergebnisse der im November gestarteten hamburgischen "Offensive: Bürokratieabbau" von Handelskammer und Steuerzahlerbund. Schon jetzt, sagt Marcel Schweitzer, Geschäftsführer beim Bund der Steuerzahler Hamburg, seien 25 ernst zu nehmende Hinweise eingegangen. "Denn oft meckern zwar alle, aber keiner sagt, wo Bürokratie abgebaut werden kann." Bei dem Projekt könne jeder helfen, unnötige Verwaltungsarbeit aufzudecken. Schweitzer sieht Einsparpotenzial von mehreren Millionen Euro.

Beim Antrag für Kita-Gutscheine ist eher an der Verständlichkeit gespart worden. Im Bezirksamt Eimsbüttel, schätzt Dezernentin Samtleben, müssen 80 Prozent der Anträge noch einmal bearbeitet werden. Rund 13 000 sind es im Jahr 2011 gewesen. "Und ich glaube, 50 Prozent der Eltern haben neben der Sprache auch ihre Probleme mit den vielen Wahl- und Anspruchsmöglichkeiten", sagt Samtleben. Wie gut, dass in der Bundesagentur für Arbeit Klarheit herrscht: "Welches Kind erstes, zweites und drittes Kind ist, richtet sich nach dem Alter des Kindes."

Aus den Klagen über Unverständlichkeit oder zu viel Bürokratie dürfe man aber nicht schließen, dass die Verwaltung stehen geblieben sei, sagt Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit. Beschwerden über verkrustete Strukturen oder arrogante Amtshaltung seien in den vergangenen Jahren zurückgegangen. Die 2006 beschlossene Verwaltungsreform mit mehr Kompetenzen in den Bezirksämtern habe gefruchtet. Neue Soziale Dienstleistungszentren, längeren Sprechzeiten und stete Weiterbildungen sprächen für Bürgernähe, sagt Eimsbüttels Dezernentin Samtleben. Und diese beginnt bei der Kommunikation, entsprechende Kurse biete das Zentrum für Aus- und Fortbildung der Hamburger Verwaltung an.

In der Hamburger Gesundheitsbehörde haben 20 Mitarbeiter erst im Dezember einen Sprachkursus bei Peter Berger (siehe Interview rechts) absolviert. Dort gelte nicht erst seitdem die Empfehlung, im Sinne des Bürgers zu schreiben, sagt Sprecher Rico Schmidt: "Grundsätzlich hat es vielen etwas gebracht. E-Mails etwa werden jetzt verständlicher beantwortet." Die 20 geschulten Mitarbeiter sollen nun als Wissensvermittler für die rund 1000 Mitarbeiter der Behörde dienen. "Doch in einigen Bereichen, etwa bei ärztlichen Zulassungen, hat Bürgernähe ihre Grenze." Dort gebe es nicht verhandelbare juristische Texte.

"Bundesweit ist das Behördendeutsch besser geworden", sagt der Bochumer Germanistik-Professor Hans Fluck. "Der Ton ist höflicher, nicht mehr so autoritär." Ein kleines Team um den Hochschullehrer hat das Projekt Idema (Internetdienst für eine moderne Amtssprache) gegründet, es wurde 2008 sogar als "Ausgewählter Ort der Ideen" ausgezeichnet. 300 Textvorlagen stellt das Team seinen Kunden auf der Internetseite zur Verfügung. Dass nur "etwa 20" von rund 700 angeschriebenen Ämtern regelmäßig Rat bei Fachleuten suchen, sei zwar nicht der große Wurf gegen den bürokratischen Code. Aber für Fluck auch kein Grund zum Zweifeln: "Das ist ein langer Prozess."

Am Ende geht es in den Ämtern - wie in einer Vorschrift der Kriegsgräberfürsorge beschrieben - auch nur um das Wohl des Bürgers als Menschen: "Die Fürsorge umfasst den lebenden Menschen einschließlich der Abwicklung des gelebt habenden Menschen."