In acht Serienteilen lässt das Abendblatt krönende Momente ihres einmaligen Daseins aufleben und schildert auch unbekannte Erlebnisse.

Hamburg. Ihre geliebten Narzissen blühen längst nicht mehr. Jetzt sind es andere, buntere Blumen, die Augen wie Sinne betören. Wunderbar ruhig ist es in dieser frühen Morgenstunde in dem kleinen Park nahe der Elbchaussee. Die Verkehrsgeräusche aus Richtung Reventlowstraße und Roosens Weg stören kaum. Die Sonne steht schon recht hoch; großteils werden ihre Strahlen von den Baumwipfeln abgeschirmt. Vögel zwitschern. Es ist eine Idylle wie aus dem Bilderbuch - fast zu schön, um wahr zu sein.

Vor allem jedoch ist Kinderlachen zu hören, laut und ansteckend. In Heidi Kabels Ohren war das immer wie Musik. Nur zu gerne lauschte sie, wenn es im Kindergarten und Hort der Christuskirche zu Othmarschen turbulent zur Sache ging. Gar nicht genug kriegen konnte die 95-Jährige von diesem jugendlichen Frohsinn direkt neben ihrem Pflegeheim. Auch in den letzten Wochen nicht. Lächelnd, bisweilen selig versonnen, saß sie dann da, sich des Lebens erfreuend. Bis vorgestern.

Und auch am Tag nach Heidi Kabels Tod befinden sich die Gefühle im Widerstreit. Mal überwiegt Trauer, dass ein großartiges Leben zu Ende ging und Hamburg um eine der namhaftesten und, viel wichtiger noch, sympathischsten Persönlichkeiten ärmer ist. Dann wieder keimt Dankbarkeit, enorme Dankbarkeit.

Wer sonst hat das Glück, fast ein ganzes Jahrhundert überwiegend auf der Sonnenseite zu verbringen, allen zwischenzeitlichen Turbulenzen und Hindernissen zum Trotz? Wer sonst blieb auch im Glanze triumphaler Erfolge und bewegender Emotionen absolut auf dem Boden? Und wer sonst konnte sich frei von Starallüren der höchst seltenen Ehre bewusst sein, für viele als kleine Königin der Hansestadt zu gelten? Ohne sich auch nur einen Hauch darauf einzubilden. Selbst im Süden schätzten sie das Nordlicht mit der faszinierenden Ausstrahlung. Und dat op Platt! Wohl der, die eine Nation lachend vereinen konnte.

1. Der Nachruf des Ohnsorg Theaters

2. "Herz, Humor und Happy End" - Eine fünteiliges Fernsehporträt

3. Liebe Oma Heidi... - Persönlicher Brief des Enkels aus dem vergangenen Jahr

Erinnerungen werden wach. An unvergessene Momente, in denen eine 1,63 Meter große Volksschauspielerin famos auftrumpfte. Immer wieder gab es Überraschungen, dramatische Wirrungen indes kaum. Abgesehen von der Kriegszeit mit Inflation, materiellen Problemen und drei Geburten in höchster Not zwischen 1938 und 1944. Und abgesehen von der schweren Demenz, die sich in den letzten Jahren wie ein grauer Schleier immer intensiver über das Gedächtnis der Pensionärin legte, ihr den natürlichen Frohsinn jedoch nicht rauben konnte.

In acht Serienteilen lässt das Hamburger Abendblatt krönende Momente eines einmaligen Daseins aufleben, schildert Wurzeln und Hintergründe sowie weitgehend unbekannte Erlebnisse. Gespickt mit brüllend komischen Details und jeder Menge Döntjes. "In Hamburg sagt man Tschüs", heißt das Anfang August erscheinende Buch, in dem ein großartiges Stück Hamburg und Deutschland auf sehens- und lesenswerte Art festgehalten wird. Ganz im Sinne der Verstorbenen gilt das Motto: "Holl di fuchtig, Heidi!" Getreu ihrer eigenen Lebensdivise, den Schatten so weit wie möglich zu ignorieren und sich auf die Sonnenstunden zu konzentrieren. Auch auf diesem Gebiet war Heidi Kabel ein Herz-Ass. Wer hat nicht schon als Kind gelacht, wenn es "Tratsch im Treppenhaus" gab, "Otto und die nackte Welle" als Film ablief, "De schönste Mann von de Reeperbahn" fetzte oder als "Seine Majestät Gustav Krause" Hof hielt? Selten war "Suuregurkentiet", umso öfter wurde ein "Kuckucksei" gelegt. Dann wackelte sogar "De Bürgermeisterstohl".

Einmal gingen beinahe die Pferde durch. Als Heidi Kabel mit dem damaligen Hamburger Bürgermeister Henning Voscherau auf Kutschtörn rund um die Binnenalster ging. Am 27. August 1989 war das, anlässlich des 75. Geburtstages der "Mutter von der Waterkant". Schon damals zog Heidi Kabel eine Zwischenbilanz, die ihrem Wesen entsprach: "Mein Leben ist wunderbar!" In einem Interview formulierte sie ihr weiteres Ziel wesentlich später so: "Ich will 100 Jahre alt werden." Ganz geklappt hat das nicht. Aber fast.

Doch zurück zum 75. Geburtstag, zurück zur Kutsche und dem Bürgermeister und den fast durchdrehenden Pferden. Mit einem spektakulären, ganztägigen Programm verneigte sich Hamburg vor seiner fidelen Deern. Um 9.15 Uhr an jenem verregneten Spätsommertag ließen die Hamburger ihr Geburtstagskind vor dem Rathaus erstmals hochleben. "Hurra, Heidi!", gellte es im Chor durch die Innenstadt. Eine Stunde später fuhr eine gedeckte Kutsche mit der Volksschauspielerin und Henning Voscherau über Ballindamm und Jungfernstieg. Das Gespann schaukelte. Nicht, weil sich der Primus inter pares vor Lachen bog, sondern wegen des strömenden Regens, der applaudierenden Zaungäste und der daher äußerst nervösen Vierbeiner.

Bei der Festgala hinterher vor 360 Ehrengästen im Ohnsorg-Theater machte die Hauptperson kein Hehl aus ihren mulmigen Gefühlen: "Ich bin schon mit Henry Vahl in einer Kutsche gefahren, und da gingen die Pferde durch. Und als jetzt die Autofahrer immer hupten, als wir vorbeifuhren, hab ich gedacht: Nun hupt doch nicht immer. Pferde mögen das gar nicht." In Anbetracht der Schaukelpartie sei sie heilfroh gewesen, den Bürgermeister unbeschadet vor dessen Amtssitz abgeliefert zu haben. Voscherau, so berichten Augenzeugen, habe tapfer gelächelt. Die beiden Kutschpartner verband von jeher ein inniges Band der Sympathie.

Auf der Gala lachten alle. Freund und Kollege Willy Millowitsch überraschte mit dem leibhaftig vorgetragenen Lied "Liebchen spiele, spiele, spiele immer weiter", Ilse Werner pfiff sehr passend von der "Fröhlichen Kutschfahrt", und Carl Bay trug "Das Buddelschiff" vor. Musik und Text stammten übrigens von der Geehrten selbst.

Beeindruckte Heidi Kabel ihre Weggefährten grundsätzlich mit enormer Disziplin und Selbstkontrolle, so wurde sie dann doch noch von ihren Gefühlen übermannt. "Als ihre große Familie auf der Bühne stand und der Oma ein Ständchen brachte, da konnte die sonst so beherrschte Heidi Kabel ein paar Tränen nicht zurückhalten", notierte das Hamburger Abendblatt in seiner Ausgabe vom 28. August 1989. Eine rührende Szene sei es gewesen. Just an der Stätte, an der die Schauspielerin sonst stets die Gefühle der anderen in Wallung versetzte. Nun war es einmal umgekehrt.

Nicht nur Heidi Kabel dachte an diesem Jubiläumsabend an jenen Märztag 67 Jahre zuvor, als alles begann. Frühjahr 1932. Ein blonder Backfisch namens Heidi, schon mit 17 eine Seele von Mensch und auf gutem Wege, den Beruf einer Konzertpianistin zu ergreifen, steht ihrer besten Freundin Eva Stolze zur Seite. Diese machte sich auf zum Schopenstehl in der City, um einem Traum Flügel zu verleihen: Mit Heidi als Verstärkung im Schlepptau läutete Eva an die Bürotür der Niederdeutschen Bühne. Unangemeldet wollte die junge Dame den Boss sprechen: Dr. Richard Ohnsorg.

"Es war Evas sehnlichster Wunsch, Schauspielerin zu werden", erinnerte sich Heidi Kabel später. Erst nach wiederholtem Klopfen öffnete sich die Tür. Rudolf Beiswanger, ein Großer des plattdeutschen Theaters, stand vor den aufgeregten Deerns. "Dr. Ohnsorg ist nicht da", sagte er. "Auf Wiedersehen!" Im zweiten Teil lesen Sie morgen, wie Heidi Kabel mit einer Notlüge alles rettete. Und wie sie so die Weichen für ihr ganzes Leben stellte - beruflich wie privat. Bis zu einem bitteren Ende viel später. Als sie nach dem zweiten Akt auf der Bühne vom Tod ihres Ehemanns Hans Mahler erfuhr. Und dennoch weiterspielte ...

Das Erste und das NDR Fernsehen übertragen die Trauerfeier für Heidi Kabel am Freitag, 25. Juni, live aus der Hauptkirche St. Michaelis in Hamburg. Das Erste sendet von 9.55 Uhr bis 11.30 Uhr, das NDR Fernsehen von 9.55 Uhr bis 12.15 Uhr.