Verbraucherschützer haben den Discounter verklagt. Bei Lieferanten in Bangladesch sollen unmenschliche Arbeitsbedingungen herrschen.

Hamburg. In der Fabrik herrscht seltsame Ruhe. Hunderte Näherinnen sitzen an langen Tischen nebeneinander, doch Reden ist den Frauen, die hier oft bis in die Nacht arbeiten, bei Strafe verboten. Das Management befürchtet, die Beschäftigten könnten sich sonst gewerkschaftlich organisieren, wenn sie sich über die schlechten Arbeitsbedingungen austauschen. Wer morgens ein paar Minuten zu spät in die Halle mit den vergitterten Fenstern kommt, hat für den ganzen Tag keinen Lohn zu erwarten. Schwangere, die das Pensum nicht mehr schaffen, werden geschlagen. Oft reicht der Lohn noch nicht einmal, die Kinder in die Schule schicken zu können.

Derartige Arbeitsbedingungen sind in Bangladesch, einem der größten Textillieferanten der Welt, keine Seltenheit. Weil auch Lidl solche Zustände in seinen Zulieferfabriken tolerieren soll und dennoch in Anzeigen damit wirbt, sich "weltweit für faire Arbeitsbedingungen" einzusetzen, zieht die Verbraucherzentrale Hamburg jetzt gegen den Discounter vor Gericht.

Das Unternehmen löse Versprechen über faire Arbeitsbedingungen bei seinen Bekleidungslieferanten in Bangladesch nicht ein, sagte der Geschäftsführer der Verbraucherzentrale, Günter Hörmann, gestern bei einer Pressekonferenz. Wegen angeblich irreführender Werbung haben die Verbraucherschützer daher Klage beim Landgericht Heilbronn eingereicht, gemeinsam mit der Kampagne für Saubere Kleidung (CCC) und dem European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR).

Nach einer von ECCHR und CCC in Auftrag gegebenen Untersuchung in Bangladesch berichten Näherinnen in vier für Lidl tätigen Textilfabriken über "unmenschliche Arbeitsbedingungen". Die Rede ist von überlangen Arbeitszeiten, Lohnabzügen als Strafmaßnahme, dem Verbot von Gewerkschaften oder der Diskriminierung weiblicher Angestellter. Auch der Lohn für Überstunden soll den Recherchen nach zumindest teilweise einbehalten werden.

Lidl selbst hatte in Anzeigen zu seinen Kleidungskollektionen nach Angaben der Verbraucherzentrale stets anderes behauptet: Das Unternehmen arbeite nur mit Produzenten zusammen, "die bereit sind und nachweisen können, soziale Verantwortung aktiv zu übernehmen". Lidl wirbt zudem mit seiner Mitgliedschaft in der Business Social Compliance Initiative (BSCI), in der sich Unternehmen des Einzelhandels zusammengeschlossen und auf einen freiwilligen Verhaltenskodex für Lieferanten geeinigt haben. Dieser enthält konkrete Regelungen über die Arbeitszeit, Löhne und zur Gründung von Gewerkschaften.

Zu der Klage der Verbraucherzentrale Hamburg wollte Lidl sich nicht äußern. "Dazu nehmen wir keine Stellung", teilte Lidl auf Anfrage des Abendblatts mit und verwies auf die Homepage des Unternehmens. Dort macht die Handelskette darauf aufmerksam, dass Lidl gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) die sozialen Mindeststandards bei 73 Produzenten in China und Bangladesch verbessern will und dafür 1,4 Millionen Euro investiert.

Derartige Maßnahmen kritisierte Gisela Burckhardt von CCC jedoch als Augenwischerei. "Lidl, aber auch andere Discounter wie Kik geben vor, sich um die Lage der Arbeiterinnen zu sorgen", sagte Burckhardt. Auf der anderen Seite jedoch seien diese Unternehmen die schärfsten Preistreiber in der Region, in der die Arbeiterinnen zum Teil mit einem Mindestlohn von 16 Euro im Monat auskommen müssten. Laut Aussagen von Produzenten seien die Preise für die Waren in den vergangenen Jahren noch einmal stark - um bis zu ein Drittel - gedrückt worden. Die niedrigen Preise diktierten dann ebenfalls das Niveau, welches auch andere Modeanbieter bei ihren Verhandlungen mit Lieferanten aus Bangladesch ansetzten. Selbst bei Unternehmen wie etwa Esprit, die keine Billigkleidung verkaufen. Burckhardt sieht in dieser Einkaufspolitik einen Teufelskreis: "Wie sollen die Hersteller Sozialstandards einhalten, wenn sie immer weniger Geld für ihre Produkte erhalten?"