300 Ehrenamtliche der BürgerStiftung in Hamburg haben ein großes Ziel: die Startchancen benachteiligter Kinder zu verbessern.

Hamburg. Ein bisschen warm machen, sodann geht's konzentriert zur Sache. Die Mädchen und Jungs, fast alle sportlich mit weißen Kampfanzügen und farbigen Gürteln ausgestattet, formieren sich - die linken Arme ausgestreckt, die Fäuste geballt. Coach Oscar Senou, in Benin geboren und aktuell Deutscher Meister im Taekwondo, demonstriert die Hohe Schule der Selbstverteidigung. Lachen ist dabei keineswegs verboten - ganz im Gegenteil.

Was an diesem Nachmittag rund 20 Kinder in der Schule Steinadlerweg in Billstedt/Horn energiegeladen umsetzen, zählt zu den rund 45 Projekten der BürgerStiftung Hamburg. Insgesamt üben sich 70 Schüler an vier Orten in dieser Sportsparte, deren Prinzipien Selbstbeherrschung, Friedfertigkeit sowie Respekt vor dem Sparringspartner sind. Keine alltäglichen Tugenden in einem Bezirk, der zu den sozialen Brennpunkten zählt. In der Horner Geest, dem Kerngebiet des Projekts "HoG'smittkids" (eine Anspielung auf Harry Potters Zauberdorf), ist der Hartz-IV-Anteil überproportional hoch, und nur 23 Prozent der Grundschüler werden für das Gymnasium empfohlen.

"Beim Taekwondo wird die Disziplin ungemein gefördert", weiß Ilse Grant. "Im Einklang mit der geistigen Struktur ist dies wichtig für die gesamte Entwicklung." Was in schwierigem Umfeld von besonderer Bedeutung ist. Gemeinsam mit ihren Mitstreitern organisiert die gelernte Goldschmiedin und Sozialökonomin zudem intensive Hausaufgabenhilfen, Breakdance, Ballett, Mittagessen, Mädchentreffs oder einen Forscherkreis für zusammen mehr als 200 Teilnehmer. Mit dem Ziel, die Startchancen der Kinder zu verbessern.

Ganz im Sinne der BürgerStiftung Hamburg, die am 8. März in Berlin von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) den 2. Preis des nationalen Wettbewerbs "Aktive Bürgerschaft 2010" erhält. Damit wird eine Idee öffentlichkeitswirksam ausgezeichnet, die in der Hansestadt seit mehr als einem Jahrzehnt blüht und gedeiht. Getragen vom Grundgedanken, dass sich Bürger für jene Bürger starkmachen, die dies gut gebrauchen können. Weil letztlich jeder ein Stück mitverantwortlich ist für die Gesellschaft, in der er lebt. Dabei stehen Starke für Schwache ein - und jeder gibt, was ihm möglich ist. Inspiration, Zeit, Geld, Herz. Motto: stiften, um anzustiften. Zehn Millionen Euro Grundkapital und die Erträge daraus sollen nachhaltige Hilfe garantieren.

"Unsere freiheitliche Gesellschaft braucht Stifter", sagte Bundespräsident Horst Köhler beim Übersee-Tag im Mai 2009. Die Hamburger Aktion sei eine der besten, innovativsten und reichsten ihrer Art. Und Bürgermeister Ole von Beust (CDU) befand: "Bürgerliches Engagement ist der Geist, der eine Gesellschaft zusammenhält." Der Wille zu helfen, es selber zu tun und nicht nur auf den Staat zu warten, sei moralische Pflicht und Verantwortung - mache aber auch unglaublich viel Spaß.

Diesem Credo haben sich mittlerweile mehr als 300 Ehrenamtliche verschrieben. Hand in Hand schaffen sie Erstaunliches, ohne es unbedingt an die große Glocke hängen zu müssen. Ein paar Beispiele für anpackende Hilfestellung, bei der auch die Geber gewinnen. "Weil die Sache Sinn macht und Erfüllung bringt", sagt Vorstandsmitglied Karsten Plog (71), ein ehemaliger Journalist, aus eigener Erfahrung.

Mentorprojekt

"Güven" ist Türkisch und heißt "Vertrauen". Passend zum Betreuungsprogramm, welches in Allianz mit der türkischen Gemeinde organisiert wird. Ein- bis zweimal wöchentlich treffen sich Kinder mit türkischen Wurzeln, um ihre Freizeit mit einem deutschsprachigen Erwachsenen zu verbringen. Dabei werden Aufmerksamkeit geschenkt, Integration bewirkt. Derzeit sind zwei Dutzend Paten im Einsatz - quer durch alle Berufsgruppen: Manager, Studenten, Designer, eine Unternehmensberaterin.

Starke Jungs

In einer alten Sporthalle in Barmbek sorgt Gewichtheber-Trainer Johann Martin bei 100 Jugendlichen nicht nur für einen Zuwachs an Muskelmasse. Die Teilnehmer gewinnen ebenso an gemeinschaftlichem Gefühl, Selbstbewusstsein und Disziplin.

Lukulule

Im Schanzenviertel erleben Kinder Zusammenhalt durch Musik. Unter Anleitung eines multikulturellen Teams tanzen, texten und rappen mehr als 80 Kinder - oder entwickeln kreativ ein eigenes Musical.

Lesezeit

Mit einer Bücherkiste im Gepäck ziehen 250 Ehrenamtliche einmal in der Woche in Kitas, Spiel- oder Jugendhäuser, um in Ruhe vorzulesen. Für viele der Zuhörer ist es der erste Kontakt mit der Welt des Buches.

Musica

In Altona und Horn wird Unterricht mit Geigen und Flöten, aber auch afrikanischen Trommeln ermöglicht. Die Stiftung sammelt (teilweise gebrauchte) Instrumente und kümmert sich um die Finanzierung.

Hamburger Anker

Betreuerinnen in Harburg und auf St. Pauli sorgen sich um Kinder in "überforderten" Familien.

In diesen und weiteren rund 40 Projekten greift der Grundsatz: Frühzeitig helfen, Probleme zu beheben oder zu lindern, um später große Missgeschicke zu vermeiden. Oft werden eines Tages jene zu ehrenamtlichen Helfern, die einstmals auf der anderen Seite saßen.

Dann lebt die Idee - und die Saat geht auf. Die Initiative "Hot Schrott" demonstriert einen Idealfall. Im Osdorfer Born regte die BürgerStiftung in der Startphase eine Kindergruppe an, die mit Trommeln musiziert und in der Gruppe eine Menge lernt. Vor fünf Jahren wurde der Kreis flügge und kann auf eigenen Beinen stehen. Geleitet von einer jungen Frau, die als Kind begann. So werden individuell und fantasievoll Perspektiven für die nächste Generation geschaffen, ohne staatliche Stellen ins Spiel zu bringen.