Die beiden Hamburger Thomas Flower und Tobias Strachanowski dokumentieren ihre aktuelle Situation als arbeitslose Ingenieure.

Hamburg. Die Stimme von Thomas Flower ist kräftig. Aus ihr sprechen Zuversicht und Selbstvertrauen. Eine positive Zäsur nennt er das, was ihm passiert ist, nach einer jahrelangen 70-Stunden-Woche sei es im Moment eher "wie ein verlängerter Urlaub". Überraschende Worte, wenn man bedenkt, dass Flower vor Kurzem arbeitslos geworden ist. Zum 1. Januar wurde ihm gekündigt. Die Wirtschaftskrise habe seinen Arbeitgeber dazu gezwungen, teilte man ihm mit. Auch Tobias Strachanowski hat durch die Krise seinen Arbeitsplatz verloren. "Ich war in 22 Berufsjahren keinen Tag arbeitslos", sagt er. Jetzt wurde in seiner Firma ein Teil der Produktion geschlossen, der Vater zweier Kinder musste gehen.

Nun sind beide arbeitslos, und ihre Geschichte spiegelt das wider, was sich im Jahr der Wirtschaftskrise 2009 als ungewöhnliches Phänomen zeigte. Die Akademiker, die bislang sonst immer deutlich weniger von Arbeitslosigkeit betroffen waren, bekamen die wirtschaftliche Talfahrt am stärksten zu spüren. Die Quote arbeitsloser Hochschulabsolventen nahm vergangenes Jahr im Vergleich zum Vorjahr um 6,1 Prozent zu, die allgemeine Quote stieg im Bundestrend dagegen nur um 5,6 Prozent. Zwar ist die Zahl der arbeitslosen Hochschulabsolventen seit 2000 um mehr als ein Drittel zurückgegangen, eine negative Entwicklung wie den aktuellen Anstieg gab es aber zuletzt in den Jahren 2002 und 2003. Damals steckte die New Economy in einer tiefen Krise.

Die beiden Hamburger Ingenieure sind eigentlich genau das, was man gemeinhin unter hoch qualifiziert versteht. Thomas Flower kam in den Achtzigerjahren nach Deutschland, studierte Maschinenbau in Aachen, die Promotion folgte. Elf Jahre arbeitete er danach für Siemens in der Entwicklung und dem Vertrieb von Dampfturbinen. Im Jahr 2003 wechselte er als Leiter einer eigenen Geschäftseinheit für Siemens in die USA, war dort verantwortlich für das Geschäftsfeld Brennstoffzellen. Headhunter, die gezielt für Firmen auf die Suche nach Spitzenkräften gehen, warben ihn ab. Für seine neue Firma, die Turbinen für Windkraftanlagen entwickelte, war er zuletzt der globale technische Leiter.

Tobias Strachanowski arbeitete bei einem großen Automobilzulieferer, "dem Branchenprimus im Bereich Insassenschutzsysteme", wie er mit Stolz sagt. Alle deutschen Autobauer waren hier Kunde, Strachanowski war als Leiter für einen eigenen Produktionsbereich verantwortlich. Dass kein Gurt zu viel, keiner zu wenig produziert wurde, alle in perfekter Qualität und pünktlich ausgeliefert wurden, das lag in seiner Verantwortung. Als die Wirtschaftskrise die Automobilbranche erreichte, traf es auch seinen Betrieb.

In der Hansestadt sind vergangenes Jahr im Schnitt 6100 Akademiker arbeitslos gewesen, am Jahresende über 1000 mehr als noch zu Jahresbeginn. Typisch für diese Entwicklung sind die Ingenieursberufe, wie sie auch Thomas Flower und Tobias Strachanowski ausüben. In dieser Branche nahm die Zahl der Arbeitslosen in Hamburg in allen Fachbereichen zu. Auch Klaus Brenke vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) macht dafür die Konjunkturkrise verantwortlich. "Die Krise trifft besonders exportorientierte Branchen", sagt er. Denn gerade in diesen Zweigen seien viele Facharbeiter mit Hochschulabschluss beschäftigt.

Auch Berufseinsteiger, die gerade von der Uni kommen, haben es durch die Krise schwerer. "Die Kurzarbeit konnte zwar viele Arbeitsplätze sichern. Davon profitierten allerdings nur diejenigen, die schon einen Arbeitsplatz hatten", sagt Hans Dietrich vom Institut für Arbeitsmarktforschung. Neue Stellen für Berufseinsteiger seien in der Krise dagegen deutlich weniger entstanden. "Dies trifft am deutlichsten die Absolventen naturwissenschaftlicher Fächer. Ihre bislang recht kurze Suche nach einem Arbeitsplatz hat sich deutlich verlängert."

Auch Jörg Mutschler, Geschäftsführer vom Verband deutscher Maschinen und Anlagenbau (VDMA) in Hamburg, hat dieses Phänomen festgestellt; es gebe aber auch Bereiche, die jetzt wichtiger geworden seien. "Für Konstruktion und Vertrieb werden wieder mehr Leute gesucht, weil für den Absatz mehr getan werden muss", erklärt er. Martin Rump, Geschäftsführer der Hamburger Arbeitsagentur, sieht die Beschäftigungslage für Akademiker nicht dauerhaft bedroht. "Vor dem Hintergrund einer alternden Belegschaft und des demografischen Wandels sehe ich weiterhin gute Chancen für akademische Fachkräfte", prognostiziert er.

Und es gibt noch weitere Argumente, die Akademiker optimistisch stimmen sollten. Denn wie es die Zahlen der Arbeitsagentur und des Hochschul-Informations-Systems zeigen, bleiben der beste Schutz vor Arbeitslosigkeit Qualifizierung und Bildung. Nur fünf Prozent aller Arbeitslosen sind im vergangenen Jahr Hochschulabsolventen gewesen, nur vier Prozent aller Akademiker sind im langjährigen Schnitt arbeitslos.

Flower setzt auf seine Stärken, sucht jetzt auf eigene Faust nach einer neuen Aufgabe. Er möchte sich umorientieren, Forschung und Lehre reizen ihn. "Ich glaube, dass ich für die Wissenschaft im Bereich erneuerbare Energien mit meiner Erfahrung und meinem Wissen gerade in der künftigen Umwelthauptstadt Hamburg sehr nützlich sein kann", sagt er, und es spricht aus ihm der feste Wille, sich durch die Krise nicht aus der beruflichen Bahn werfen zu lassen. "Die bisherigen Kontakte stimmen mich optimistisch."

Tobias Strachanowskis Jobsuche führte bislang noch nicht zum Ziel. "Überqualifiziert", lautete die häufigste Antwort auf seine Bewerbungen. Nun macht er sich mit seiner Firma "Savings" selbstständig. Seine Fachkompetenzen will er künftig Firmen anbieten. 80 Stunden arbeite er wöchentlich für sein Ziel. "Ich weiß, dass diese Mühe belohnt werden wird."