Die Hamburger Baustelle im Blickpunkt. Doch hier wird ständig geprüft und getestet. Der Bauleiter schließt Manipulationen aus.

Hamburg. Irgendwann haben sie beschlossen, dass das Risiko zu hoch ist. Sie haben buchstäblich auf Granit gebissen und sind gescheitert. Es ging um den Notausstieg Dalmannkai der neuen U 4, die vom Jungfernstieg in die HafenCity führt. Bis zu 40 Meter tiefe Schlitzwände sollten die kreisförmige Baugrube mit einem Durchmesser von acht Metern absichern. Doch als sich der Greifarm in 35 Meter Tiefe verkantete, sodass sie ihn aus der harten Gesteinsschicht nicht mehr herausbekamen und die Lamellenwände an zwei Stellen nicht mehr bündig, sondern verdreht waren, beschlossen die Verantwortlichen, den kompletten Schacht zu verlegen. "Sonst wäre hier in Hamburg vielleicht etwas Ähnliches passiert wie jetzt in Köln, wenn auch nicht in dem Ausmaß", sagt Dirk Göhring.

Der 42-Jährige ist sozusagen der "Herr der Röhren". Der Projektleiter der neuen Hamburger U-Bahn-Linie ist außerdem gebürtiger Kölner, aber über die skandalösen Meldungen, die derzeit nahezu täglich in Sachen U-Bahn-Neubau aus der Domstadt in die Republik schallen, möchte er sich nicht äußern. Nach den Pfusch-Vorwürfen und Berichten über Materialklau und manipulierte Messprotokolle von Schlitzwänden, was möglicherweise zum Einsturz des Kölner Stadtarchivs und dem Tod von zwei Menschen vor einem Jahr geführt hat, werden die Ermittlungen jetzt ausgeweitet.

Laut "Rheinischer Post" will die Düsseldorfer Bezirksregierung alle bereits abgenommenen Verkehrsbetriebsbauten der Baufirma Bilfinger Berger nachträglich auf ihre Sicherheit prüfen lassen. Auch die Städte, in denen in den vergangenen 40 Jahren U-Bahn-Strecken gebaut wurden, seien aufgerufen worden, eine Beteiligung von Bilfinger Berger zu melden. Betroffen sind möglicherweise Strecken in Bielefeld, Dortmund, Mülheim, Oberhausen, Duisburg, Krefeld, Bochum, Gelsenkirchen und Witten.

Doch das ist noch nicht alles. Laut "Focus Online" berichtete jetzt ein ehemaliger Bauleiter den Ermittlungsbehörden von systematischem Betrug beim Bau der ICE-Strecke München-Nürnberg durch Bilfinger Berger. Der Zeuge belastete demnach mindestens eine Handvoll Bauleiter der Mannheimer Unternehmensgruppe. Sie sollen im Streckenabschnitt zwischen Nürnberg und Ingolstadt bei der Installation von Metall-Ankern vorgeschriebene Sicherheitskontrollen schlichtweg unterlassen und im großen Stil Messprotokolle gefälscht haben. Bei weitaus mehr als der Hälfte der bis zu 600 verbauten Anker, die vor Bahntunneln und an Böschungen Stützwände sichern, soll dies der Fall gewesen sein. Außerdem sollen die Bilfinger-Berger-Leute bei weitaus mehr als der Hälfte der installierten Anker erst gar keine Belastbarkeitsmessungen durchgeführt haben.

Unvorstellbar? Natürlich versteht Göhring, dass jetzt viele nach Hamburg gucken und wissen wollen, wie sicher ein U-Bahn-Neubau im Allgemeinen und speziell in der Stadt an der Elbe ist, in der die vier Kilometer lange Strecke von der Innenstadt nicht nur unter dem Alsterfleet, sondern auch durch insgesamt vier Hafenbecken bis zur vorläufigen Endhaltestelle HafenCity- Universität verläuft. Deshalb gewährt der Hochbahn-Ingenieur einen im Wortsinn tiefen Einblick in die 323 Millionen Euro teure Baugrube, deren Kosten zu 60 Prozent vom Bund getragen werden.

Und deshalb ist es auch wichtig, die Geschichte von der Verlegung des Notausstiegs Dalmannkai im Frühjahr 2008 noch einmal zu erzählen. Da den bis zu sieben Meter langen, 1,20 Meter breiten und bis zu 50 Meter tiefen Schlitzwänden beim U-Bahn-Bau eine tragende Rolle zukommt, werden über jede fertiggestellte Lamellenwand einzelne Messprotokolle erstellt, die dann den amtlich bestellten Prüfingenieuren vorgelegt werden. Aufgrund ihrer unterschiedlichen Beschaffenheit haben sie im Grunde die Eigenschaft eines genetischen Fingerabdrucks. "Identische Messprotokolle gibt es nicht", sagt Hochbahn-Sprecher Christian Kreienbaum. Und wenn doch, dann hätten die Kölner ein Problem.

"Je tiefer die Wände gehen, desto schwieriger wird es", sagt Göhring. Wichtig sei es, die einzelnen Wände "ganz gerade runterzubringen". Und Probleme könnten immer dann auftreten, wenn im Untergrund unvermutet große und für den Greifarm des Schlitzwandbaggers unüberwindbare Hindernisse auftreten.

Ob das in Köln der Fall war und sich Bauleiter oder Polier aus Zeitdruck und Kostengründen für die Manipulation der Messprotokolle entschieden, anstatt neue Wände zu setzen, das wird die Staatsanwaltschaft zu klären versuchen.

In Hamburg war die Lage jedenfalls dermaßen verkantet, dass der zehn Meter lange Greifarm schließlich komplett im Erdreich einbetoniert wurde und man sich mit den beteiligten Baufirmen - unter anderen Hochtief und August Prien - nach längerer Diskussion dazu entschloss, den Notausstiegsschacht um sieben Meter zu verlegen. "Das war natürlich ein massiver Eingriff in die Gesamtplanung. Wir brauchten für den neuen Schacht ein Plangenehmigungsverfahren, und die Anwohner mussten über die neuen Pläne informiert werden", sagt Göhring, "aber das Risiko, diese Baugrube nicht ausreichend abgesichert zu haben, wäre viel zu groß gewesen." Göhring schätzt, dass die gesamte Maßnahme mit rund zwei Millionen Euro zu Buche geschlagen hat.

Es war zum Glück bis jetzt, bei insgesamt rund 400 Schlitzwänden, das einzige Mal, dass derartige Probleme im Untergrund der U 4 aufgetaucht sind. Da zudem in Hamburg jedes einzelne Messprotokoll gleich von mehreren Prüfingenieuren unterzeichnet worden ist, ist sich Göhring sicher, dass es "hier in Hamburg zu keinerlei Manipulation gekommen ist". Zumal in die Schlitzwände dann die sogenannten Bewehrungskörbe aus Stahlgeflecht eingeführt werden, bei denen auch jeweils vorher eine Eisenabnahme durch unabhängige Prüfer stattfinden würde.

Während in Köln derzeit ermittelt wird, ob überhaupt jemals ein Prüfer vor Ort eine Abnahme vorgenommen hat, hat in Hamburg die zuständige Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt (BSU) vier Ingenieurbüros mit der Prüfung beauftragt, dazu kommen noch zwei weitere von der Hochbahn beauftragte Büros, die permanent für die Bauüberwachung vor Ort sind.

Dass es wie in Köln, wo angeblich bis zu 83 Prozent der vorgesehenen Eisenbügel fehlen, zu Materialklau in großem Stil gekommen ist, schließt Göhring für Hamburg ebenfalls aus. Und das schon deshalb, "weil mit Eisen nicht viel Geld zu verdienen ist". Bei einem Preis von 80 Euro für eine Tonne Stahl müsse man schon eine ganze Menge Bügel klauen, um überhaupt etwas zu verdienen. Göhring: "Da hat keiner was von."

Unten in der Baugrube, wo im Herbst 2012 die erste U-Bahn an der Haltestelle Überseequartier einfahren soll, zeigt Göhring auf eine Linie an der Betonwand: die senkrechte Verbindung von zwei Schlitzwandlamellen. Sie ist feucht. "Nicht dass sie jetzt schreiben, hier dringt Wasser durch", sagt er und lächelt. Das sei Regen- oder Schmelzwasser. Und schlimm sei auch nicht das Wasser, gefährlich sei es erst, wenn das Wasser Boden mitnimmt, der dann an anderen Stellen fehlt.

Natürlich sei man nach den Ereignissen in Köln besonders sensibilisiert und mache sich seine Gedanken, sagt Göhring. "Hast du auch an alles gedacht?" Wo Menschen arbeiten, würden Fehler gemacht, aber niemand würde hier bewusst manipulieren. "Das schließe ich aus, dazu gibt es zu viele Kontrollinstanzen."

Und während in Köln zum Schutz vor drohendem Hochwasser - nach Prognosen könnte der Rhein-Pegel auf bis zu acht Meter ansteigen - jetzt die Sicherungsarbeiten auf Hochtouren laufen, ist man da in der Hansestadt relativ entspannt. Denn aufgrund der unmittelbaren Nachbarschaft zur Elbe ist die Baugrube bereits jetzt "hoch" versichert. "Der Hochwasserschutz liegt bei 8,30 Meter", sagt Göhring und zeigt auf die gewaltigen Betonwände, die sich seitlich der Baugrube erheben, "und ist damit höher als in der Innenstadt."