Zwei aktuelle Diskussionen zeigen, wie Religion polarisieren kann. Das Abendblatt hat sich in Häusern verschiedenen Glaubens umgesehen.

Hamburg. Kirchtürme, Minarette, Tempel und Synagogen - kaum eine andere deutsche Stadt hat eine so große religiöse Vielfalt wie Hamburg. Christen unterschiedlicher Konfessionen, Muslime und Juden leben hier seit Jahrzehnten neben Buddhisten, Hindus, Shintos und anderen religiösen Gruppen. Mehr als 300 Kirchen, Moscheen und Tempel gibt es in der Hansestadt.

Innerhalb der beiden Großkirchen, der katholischen und der protestantischen, vollzieht sich ein religiöser Wandel: Auf der einen Seite verlieren sie durch demografische Entwicklung und hohe Austrittszahlen viele Mitglieder. Auf der anderen Seite wandern durch die Globalisierung immer mehr ausländische Christen ein - aus Europa und Amerika, aus Korea, China und Indonesien, Iran und vor allem Westafrika.

Mittlerweile gibt es rund 120 afrikanische und asiatische Gemeinden in der Hansestadt. "Die christliche Migration ist höher als die islamische - auch, wenn man manchmal einen anderen Eindruck hat", sagt Martina Severin-Kaiser, Ökumenebeauftragte der Nordelbischen Kirche.

Auf die beiden großen Kirchen wirkt sich das unterschiedlich aus. Bei den Katholiken haben Zuwanderer wegen ihres Verständnisses, eine Weltkirche zu sein, keine Schwierigkeiten, sich in den Hamburger Gemeinden zu integrieren - durch Zuzug etwa aus Polen oder Süddeutschland wuchs die Mitgliederzahl sogar: von 178 255 im Jahr 1998 auf 181 158 in 2008. Hamburger Katholiken kommen aus 160 Ländern der Erde, in vielen Kirchen werden daher Gottesdienste in anderen Sprachen gehalten, etwa auf Spanisch und Englisch. Anders bei der evangelischen Kirche. Sie hat in Hamburg in den letzten zehn Jahren rund 70 000 Mitglieder verloren hat und bereits elf Kirchengebäude aufgeben müssen. Die wurden teilweise von anderen Konfessionen übernommen: die Gnadenkirche im Karolinenviertel von einer russisch-orthodoxen, die Simeonkirche in Hamm von einer griechisch-orthodoxen Gemeinde, die Nathanaelkirche in Horn von afrikanischen Christen.

Die Zahl afrikanischer und asiatischer Protestanten wächst ständig. Doch weil ihre Glaubensrichtungen unterschiedlich sind, finden sie in der lutherisch geprägten Landeskirche keine geistliche Heimat und gründen eigene Gemeinden. Diese feiern ihre Gottesdienst oft in dafür angemieteten evangelischen Kirchen und ermöglichen den Gemeinden auf diese Weise ein Zusatzeinkommen. Trotzdem haben sie das Gefühl, nicht richtig dazuzugehören.

"Schade", findet Martina Severin-Kaiser. "Gerade die evangelische Kirche sollte sich angesichts der Internationalisierung des Christentums in Hamburg neu aufstellen", sagt sie. Das verbreitete Gefühl "Wir werden immer weniger" stimme eigentlich gar nicht - es werde nur anders. Eine Integration ausländischer Gemeinden würde das christliche Leben bereichern und könnte der evangelischen Kirche viele dynamische Impulse bescheren.

Noch bilden die Protestanten in Hamburg mit rund 530 000 Gemeindegliedern die größte Gruppe, gefolgt von 181 000 Katholiken, etwa 140 000 Muslimen und rund 17 500 Orthodoxen. Zu den Minderheiten gehören auch 30 000 Aleviten, insgesamt etwa 20 000 Freikirchler (darunter Baptisten, Methodisten und Mennoniten) und jeweils rund 5000 Juden, Buddhisten und Hindus.

Die ersten Juden kamen im 16. Jahrhundert

Am längsten von allen nicht-christlichen Religionsgemeinschaften leben die Juden in Hamburg. Die ersten kamen im 16. Jahrhundert, 1925 hatte die Gemeinde 25 000 Mitglieder. Zerstört im Zweiten Weltkrieg, formierte sich die jüdische Gemeinde ab 1945 neu, Ende der 60er wurde die Eimsbüttler Synagoge gebaut - die einzige in Hamburg.

1902 errichteten orthodoxe russische Kaufleute in Harvestehude eine erste Kapelle, heute gibt es drei russisch-orthodoxe Kirchen, dazu mehrere Gotteshäuser für Orthodoxe anderer Länder - etwa Rumänen, Bulgaren und Serben. Auch der Buddhismus hat in Hamburg eine lange Tradition: 1906 wurde die erste buddhistische Vereinigung gegründet - als eine der ersten Europas; heute gibt es in Hamburg sechs Tempel, in denen sich die Anhänger der verschiedenen buddhistischen Gemeinschaften treffen. Auch Hindus sind seit 1969 in der Hansestadt vertreten, sie haben sich hier zwei Tempel eingerichtet.

Muslimisches Leben gibt es in Hamburg erst seit Mitte des vergangenen Jahrhunderts. Ende der 50er-Jahre bauten deutsche Muslime als eine der ersten Moscheen Deutschlands die Imam-Ali-Moschee an der Außenalster. Bedingt zunächst durch den Zustrom der hauptsächlich türkischen Gastarbeiter Ende der 60er-Jahre, entstanden bis heute insgesamt 50 Moscheen und Gebetshäuser - in Hinterhöfen, Büroräumen, in umgebauten Lagerhallen oder, wie die Centrum-Moschee, in einem ehemaligen Schwimmbad. "Die religiöse Infrastruktur der ersten Generation war nicht ausreichend", sagt Abu Ahmed Jakobi von der Schura, dem Rat der islamischen Gemeinschaften in Hamburg. Moscheen seien für Muslime nicht nur spirituelle Orte der Lehre, auch der soziale Aspekt spiele eine große Rolle. Gerade für Jugendliche: So böten Moscheen nicht nur Sport- und Nachhilfe an, sondern unterstützten auch das Identifikationsbedürfnis junger Menschen. "Es ist integrationsfördernd", sagt Jakobi, "wenn man weiß, wer man ist und wohin man gehört."

Hamburg als Laboratorium der Ökumene

"Das religiöse Miteinander funktioniert in Hamburg sehr gut", sagt Theologin Severin-Kaiser, die Hamburg aufgrund seiner langen und bunten religiösen Vielfalt als Laboratorium der innerchristlichen und interreligiösen Ökumene bezeichnet. Am "Runden Tisch der Religionen" würde man aktuelle religionsrelevante Themen besprechen. "Dabei sind wir nicht immer einer Meinung", sagt sie. Manchmal müsse man miteinander Ringen. Doch das zahle sich aus - etwa durch die Einführung des bundesweit einmaligen Hamburger Modells des "Religionsunterricht für alle", den es seit mehr als zehn Jahren in der Hansestadt gibt.

Das Abendblatt hat sich in Kirchen und Moscheen umgeschaut:

Protestantische Kirchen

Wenn Melanie Kirschstein (49) jeden ersten Sonntag im Monat in der Epiphanien-Gemeinde in Winterhude ihre "Gottesdienste für Groß und Klein" feiert, dann ist ihre Kirche vier Mal voller als an normalen Sonntagen. Oft kommen weit mehr als hundert Menschen. Irene Otto spielt moderne Kirchenmusik auf ihrer Gitarre und auf dem Klavier, die Kinder singen laut mit und ältere Menschen freuen sich an den Kleinen. Danach gibt's Kekse und Kaffee. "Das ist eine ganz andere Art von Gottesdienst, die Kinder können herum rennen, sitzen vorne auf Sofakissen, das ist halt ihre eigene Kirche", sagt Maren Luze (37) mit ihrer Tochter auf dem Arm. Als Kirschstein vor zehn Jahren die Epiphanien-Gemeinde als Pastorin übernommen hatte, renovierte sie zuerst ihre Kirche (Großheidestraße 42): "Die alten starren Kirchenbänke hab ich rausreißen lassen und durch eine freie Bestuhlung ersetzt", sagt Kirschstein. Jetzt können sich die Besucher gegenseitig anschauen.

Die evangelisch-lutherische Kirche in den Bergedorfer Marschen wird "FesteBurg" genannt. Hier sind junge Menschen die Hauptakteure. Jugendlichen zwischen 15 und 17 Jahren organisieren im achtköpfigen "YouGo" Team an jedem zweiten Sonntag den Jugend-Gottesdienst. Alina Herzberg (14) gehört mit dazu. "Das ist toll. Man lernt nicht nur über die Kirche, sondern tut auch etwas für Andere. Man kann hier toll seine Freizeit verbringen." Nur die Predigt übernimmt Pastor Andreas Kalkowski. Rund 80 Menschen füllen die kleine Kirche in Neu-Allermöhe West dann. Auch älteren Besuchern gefällt die junge, frische Art. "Kirche ist hier Freizeit, Gemeinschaft und Halt für Jugendliche, die sich großartig engagieren und oft lange als ehrenamtliche Helfer in der Gemeinde bleiben", sagt Pastor Andreas Kalkowski. Diese Kirche sei für die Zukunft.

Die evangelische Gemeinde Stellingen wurde von Prädikantin Brigitte Wellner-Pricelius "revolutioniert". Ihre Gottesdienste sind geprägt von französischen Taizé Gesängen, die bei den Besuchern mittlerweile sehr gut ankommen. Die Gemeinde ist sehr herzlich und offen für Neues, wie auch Neu-Hamburgerin Gerda Puls (64): "Ich war schon im Michel und anderen großen Kirchen, schaue mich immer wieder gerne um", sagt sie. "In meine Stellinger Kirche komme ich aber regelmäßig - so drei bis vier Mal im Monat." Der Zusammenhalt ist den Gemeindegliedern wichtig. Nach dem sonntäglichen Gottesdienst kommen sie gerne bei Kaffee und Kuchen zusammen, sprechen über den Gottesdienst, aktuelle Themen oder suchen das persönliche Gespräch mit der Prädikantin Wellner-Pricelius.

Katholische Gemeinden

Die katholische Heilig-Geist-Gemeinde in Farmsen wird von Pater Karl Schmickler betreut und hat 4000 Mitglieder aus 65 Nationen. Innerhalb der katholischen Kirche in Hamburg hat sie den höchsten Anteil an regelmäßigen Gottesdienstbesuchern. Gehen im Durchschnitt 11,7 Prozent der Katholiken zur Messe, sind es in Farmsen 22,43 Prozent - man sieht hier Alte und Junge, Familien, die Dame im Pelz und Menschen, die gerade mit Aldi-Plastiktüten vom Einkaufen kommen. "Pater Schmickler hält die Gemeinde zusammen und füllt sie mit Leben", sagt Stanislaus Cramer, der seit 13 Jahren jede Woche mindestens einmal zum Gottesdienst kommt. Lydia Gädike und ihre Tochter Lara (13) schätzen die familiäre Atmosphäre in der Kirche. "Ich mag besonders den Chor und die vielen Feste, die wir feiern", sagt Lara. Weil zu den Hauptgottesdiensten mehr als 500 Besucher kommen, wurde der Innenhof der Kirche mit einem Glasdach bedeckt.

In Harvestehude, zwischen Innocentiapark und Hochallee, liegt die katholische Kirche St. Elisabeth. Die Gottesdienste sind unterschiedlich gut besucht - an diesem verschneiten Sonntag sind etwa 50 Menschen da, darunter ein paar Kinder sind. Rund 6000 Katholiken gehören zu der Gemeinde, die von Pfarrer Klaus Alefelder geleitet wird. Gottesdienste werden auf Deutsch, Englisch und Spanisch gehalten. "Es gibt innerhalb der Gemeinde einen erfreulichen Zusammenhalt, sie ist sehr engagiert und ökumenisch interessiert", sagt der Pfarrer. Dietrich und Beatrix Rauchenberger kommen seit 20 Jahren regelmäßig zum Gottesdienst - meist zu Fuß, aus der Nähe des UKE. "Die Gemeinde hat viel Gemeinschaftsgefühl", sagen auch die Eheleute. Es gibt ein großes Aufgebot von 160 Ehrenamtlichen, dazu gehört auch Gabriele Schmitz, die sich als Lektorin und Kommunionhelferin engagiert. "Mir sind Liturgie und Gottesdienst kostbar", sagt sie. Außerdem schätzt sie den Friedensarbeit, mit der die Gemeinde Ruanda unterstützt.

Jeden Sonntag um 12.30 Uhr feiert die Ghana Catholic Mission ihren Gottesdienst in der katholischen Kirche St. Sophien in Barmbek. Dann ist das schöne Gotteshaus an der Weidestraße gut gefüllt: mindestens 200 Besucher, darunter viele Kinder, singen Gospels mit dem Chor und tanzen dazu, beten mit der Gebetsgruppe und lauschen den Predigten, die auf Englisch gehalten und manchmal auch in die Muttersprache übersetzt werden. "Weil wir viele lange Lieder singen, dauert der Gottesdienst mehr als zwei Stunden", sagt Theophilius Bediako-Asare, der seit 15 Jahren zur ghanaischen Gemeinde gehört und seit 2003 ihr Präsident ist. Obiri Manu-Bio, seit 30 Jahren in Deutschland, hat früher "normale" katholische Gottesdienste besucht. Seit vielen Jahren besucht er sonntags die ghanaische Messe in St. Sophien. Oft nimmt er seine Familie mit - Frau, Kinder und Enkelkinder. "Manchmal bleiben wir nach dem Gottesdienst den Rest des Tages in der Kirche, reden miteinander und lösen Probleme", sagt er.

Moscheen

Die Centrum-Moschee in St. Georg ist Hamburgs größte Moschee. 1000 Menschen kommen zum Freitagsgebet in die Böckmannstraße 40. So wie Mehmet Yildirim (41), Netzwerktechniker aus Bergedorf: "Ich arbeite in der Nähe des Hauptbahnhofs und versuche, wenn es arbeitstechnisch geht, jeden Freitag in der Mittagspause zu kommen." Nach diesem wichtigsten Gebet der Woche nutzen viele gleich das Restaurant zum Mittagessen, darauf muss sich die Küche gut vorbereiten. "Jeden ersten Freitag im Monat predigt der Imam auf Deutsch", sagt Muhammed Gülbas (21) von der Centrum-Moschee. Die Teestube im Erdgeschoss der Moschee stände auch Nicht-Muslimen offen.

Die Ulu-Moschee in Ottensen ist die erste Moschee, die in Altona gebaut wurden. Sie ist mit rotem Teppich ausgelegt, die Wände sind mit Holz getäfelt. Der Gebetsraum an der Bahrenfelder Straße ist 300 Quadratmeter groß. Da jeder Muslim beim Beten einen Quadratmeter Teppich braucht, ist die Moschee voll, wenn bis zu 300 Gläubige zum Freitagsgebet kommen. "In der Moschee zu beten ist viel schöner als zu Hause" sagt Majid Firozi (23). Zu den fünf Gebeten an normalen Tagen kommen 20 bis 50 Gläubige. "Unter der Woche sind unsere Besucher eher älter", sagt Murat Pirildar von der Ulu-Moschee. In der Moschee wird nicht nur gebetet, Studenten aus der Gemeinde helfen den noch jüngeren Mitgliedern bei den Hausaufgaben. In einem speziellen Integrationskursus für Frauen wird Deutsch gelehrt. "Zweimal die Woche kommen Schulklasse für eine Führung", sechs Gruppen von Polizeibeamten besuchen jährlich in die Ulu-Moschee - Fortbildung für die Polizisten über den Islam. Nebenan, an der Ecke zur Erzbergerstraße gibt es ein wunderbares Café mit orientalischen Wasserpfeifen.

Die Imam Ali Moschee an der Schönen Aussicht hat türkis geflieste Außenmauern, zwei Minarette, einen Brunnen und einen traumhafter Blick auf die Außenalster. Das Bauwerk wie aus Tausend und einer Nacht ist Hamburgs älteste Moschee. Seit mehr als 50 Jahren steht es an dieser Stelle. Mittendrin liegt ein Teppich mit einem Durchmesser von 16 Metern. "An diesem Teppich haben 22 Leute drei Jahre lang geknüpft", sagt Burhanettin Dag (46), Koordinator des islamischen Zentrums Hamburg. Zum Freitagsgebet kommen hier bis zu 300 Gläubige zusammen. In dieser besonderen Moschee treffen sich die verschiedenen Strömungen des Islam, Schiiten und Sunniten. In der Multi-Kulti-Moschee predigt der Imam abwechselnd in Persisch und Arabisch. Dag erklärt: "Die Besucher tragen Kopfhörer, Dolmetscher übersetzen die Predigt ins Deutsche und Türkische."