Der Wandsbeker Friseur Gerd Buss erhielt von Dr. Roger Kusch einen Info-Brief. Buss sagt: “Das hat mich tief verletzt. Ich liebe mein Leben.“

Hamburg. Wie immer öffnete Gerd Buss (77) seine Post zu Beginn der Mittagspause. Der "Coiffeur für den Herrn" nahm auf einem seiner zwei Frisierstühle Platz, aß eine Banane und ein Brot, das seine Frau ihm am Morgen zu Hause zurechtgelegt hatte. Seit 40 Jahren steht Buss in seinem kleinen Salon - doch wie es aussieht, wird er seinen Beruf nicht mehr lange ausüben können: "Ich habe Krebs im Endstadium", sagt Buss. Der Brief, den ich an diesem Morgen öffnete, war ein Schlag ins Gesicht für mich."

Buss bekam Post vom Verein "Sterbe Hilfe Deutschland", mit dem der frühere Hamburger Justizsenator Dr. Roger Kusch "Suizid-Begleitung in den eigenen vier Wänden" durchführen möchte. "Sehr geehrter Herr Buss", heißt es in der Anrede. Und weiter unten: "Wir helfen nicht, Leben zu verkürzen, wir helfen dabei, Sterben zu verkürzen." Gerd Buss war wie vor den Kopf gestoßen. Der Friseur erzählt: "So etwas käme für mich nie infrage. Dafür habe ich viel zu viel Respekt vor dem Leben und der Natur. Und ich liebe mein Leben. Ich will es so lange behalten, wie ich nur kann." Buss informierte seine Familie von dem Brief, den er in seinen Händen hielt: "Auch meine Frau und meine Kinder waren entsetzt", sagt der Herrenfriseur, der 30 Jahre lang neben dem Salonbetrieb regelmäßig im Krankenhaus St. Georg Schwerstkranken in ihren Betten die Haare schnitt und dort, wie er sagt, gelernt hat, dass das Leben in jeder Phase lebenswert ist.

Gerd Buss' Tochter rief in der Zentrale des Vereins an, der seinen Sitz nach rechtlichen Schwierigkeiten in Hamburg nach Oststeinbek verlegt hat. Sie erzählt: "Die Dame am Telefon sagte mir, dass mein Vater wohl früher mal Kontakt zu Herrn Kusch aufgenommen haben müsse", sagt die Frau. Das bestreitet Buss vehement. Dem Abendblatt liegt eine dementsprechende eidesstattliche Versicherung des Friseurs vor. Nun fragt sich die Familie, woher Kusch die Adresse des Todkranken hatte, ob der Verein vielleicht sogar wusste, dass Gerd Buss derzeit eine Chemotherapie durchmacht, dass der Krebs gestreut und Organe und Lymphdrüsen angegriffen hat. Buss: "Meine Ärzte, bei denen ich sehr gut aufgehoben bin, haben die Adresse ganz sicher nicht weitergegeben. Aber es wissen ja viele Menschen über meinen Gesundheitszustand Bescheid." Die Nachbarn seines Salons an der Stormarner Straße in Wandsbek haben einen solchen Brief jedenfalls nicht bekommen, berichtet Buss. "Nein, so eine Hauswurfsendung war das nicht."

Dem Anschreiben lag ein Faltblatt bei, in dem Ziele und Prinzipien des umstrittenen Vereins dargestellt sind. Auf der Titelseite steht: "Bei hoffnungsloser Prognose, unerträglichen Beschwerden oder unzumutbarer Behinderung setzen wir uns für einen begleiteten Suizid ein." Buss: "Das trifft auf mich sicher zu. Aber ich habe nie einen Gedanken darauf verschwendet, Suizid zu begehen. Ich liebe mein Leben, meine Familie, ich bin mit Leib und Seele Friseur. Und so lange es irgendwie geht, möchte ich in meinem Laden stehen und Haare schneiden."

Roger Kusch sagt, die Adresse des Wandsbeker Friseurs sei selbstverständlich nicht eingekauft oder aufgrund der Krankheit des Angeschriebenen in seinem Bestand. Der Ex-Senator: "Wir haben bundesweit 800 bis 1200 dieser Briefe verschickt. Ich halte es für ein legitimes Anliegen, unseren Verein bekannt zu machen." Im Einzelnen könne er nicht nachvollziehen, woher die Adressen stammten. Einige seien aus dem Bestand seiner früheren Partei, andere aus der Kartei des Vorgängervereins "Dr. Roger Kusch Sterbehilfe". Dass der Adressat die Post der Suizidbegleiter als makaber und verletzend empfand, kann Kusch, so sagt er, nachvollziehen: "Wenn unser Brief bei einem Empfänger Irritationen ausgelöst hat, so bedaure ich das sehr." Er entschuldige sich bei dem Adressaten, so Kusch. Doch es sei ja gewiss nicht so, dass das Thema Tod gänzlich tabuisiert sei. Auch in der ADAC-Zeitung, so Kusch, gäbe es Kleinanzeigen für die KarstadtQuelle-Sterbeversicherung. Das Faltblatt, das maschinell erstellt ist und Kuschs gedruckte Signatur trägt, will Kusch nicht als Werbung verstanden wissen: Weder biete er Bügeleisen als Eintrittsprämie noch fordere er darin zum Suizid auf. Es handele sich bei der Postsendung um eine "reine Information, dass es den Verein gibt und was er will". Wenn er mitbekomme, dass von seinen Adressaten jemand todkrank sei, so Kusch, entferne er ihn aus der Kartei.

Für Gerd Buss und seine Familie macht das alles keinen Unterschied. Der Friseur sagt: "Ich weiß, dass ich todkrank bin. Und ich habe mich damit abgefunden. Ich kämpfe mit allen Mitteln gegen den Krebs. Dieser Brief hat mir den Boden unter den Füßen weggezogen und mich tief verletzt. Mit diesem Verein will ich nichts zu tun haben." Dann lächelt Gerd Buss: "Mal ehrlich. Ich liege noch lange genug in Ohlsdorf auf dem Rücken. Freiwillig gehe ich bestimmt nicht."