Beim niederdeutschen Abendblatt-Rundgang erfuhren die Gäste: Missingsch kommt aus Sachsen, “Moin“ aus Friesland.

Hamburg. Da können die Böen noch so frostig über die Binnenalster fegen: Wenn spannende Geschichten, intelligent, pfiffig und melodiös auf Plattdeutsch präsentiert, durch die Gehörgänge dringen, wird einem ganz warm ums Herz. So wie gestern Nachmittag, als die Premiere der Abendblatt-Stadtrundgänge op Platt auf dem Programm stand.

"Nu geiht dat los!", sagt Thorsten Börnsen. Zwei Dutzend wissbegierige Hanseaten folgen nur zu gerne. Erst mal lernen sie, dass "Moin!" gar keine Hamburger Begrüßung ist, sondern in letzter Zeit aus Friesland importiert wurde. Eigentlich sagte man hier: "Goden Dag!" Sie sehen mit eigenen Augen, dass am Eckturm des Rathauses groß der Bremer Schlüssel prangt. Und sind verblüfft, dass sich Missingsch, die wohlklingende Mischung aus Platt- und Hochdeutsch, eigentlich auf die Stadt Meißen bezieht - weil im 16. Jahrhundert in Sachsen die hochdeutsche Sprache am reinsten gepflegt wurde. Kein Döntje, sondern historisch verbrieft.

Schließlich weiß Stadtführer Börnsen, wovon er spricht. "In meinem Elternhaus bin ich zweisprachig aufgewachsen", erzählt der gebürtige Schleswiger so nebenbei. Später studierte er Geschichte mit Niederdeutsch als Nebenfach, verfasste seine Magisterarbeit über den Hamburger Michel und schrieb ein Buch über seine Wahlheimat. Titel: "Hamburg op Platt - mit'n Snack dör de Stadt". Passt genial zum neuen Job.

"Da stand wohl die Hammaburg", sagt er hinter der Petri-Kirche. Natürlich auf Platt. Wer sich darunter eine trutzige Burg mit Felswänden und Wallgraben vorstellt, wird eines Besseren belehrt: "Waren wohl eher ein paar Holzhütten."

Schon nach den ersten Schritten des 150-minütigen Bummels wird klar, dass Börnsen ebenso lustvoll wie kompetent sein Versprechen in die Tat umsetzt. Hamburgs City soll ganz neu entdeckt werden. Wobei die typischen hamburgischen Begriffe mit Anekdoten und historischen Aufnahmen amüsant erläutert werden. Initialzündung für diese Pionieraktion ist das Abendblatt-Buch "Sprechen Sie Hamburgisch?" Wer den Bestseller des Autors Peter Schmachthagen genossen hat, verfügt über das Zeug zum Mitschnacken.

Börnsens profunder Wissensschatz indes führt dazu, dass mehr Zuhören angesagt ist. So wie in der Passage des Ohnsorg-Theaters - auf dem Rückmarsch vom Ufer der Binnenalster in jeder Beziehung eine erwärmende Zwischenstation. Nicht nur Henry Vahl, in Ehren ergrauter Volksschauspieler, begeisterte hier mit urigen Auftritten. Bisweilen, so weiß der Stadtführer, beeindruckte Altmeister Vahl gar mit "plattdeutschem Improvisationstheater". Wie bei einem unvergessenen Auftritt anno Tobak am Spielbudenplatz.

Nicht mehr der Allerjüngste, dennoch enorm in Form, wurde ihm der Text via Sender und Ohrknopf quasi souffliert. Henry jedoch verwechselte die Frequenz - und hörte den Polizeifunk der Davidwache. "Peter eins an Peter vier", hieß es dort. "Peter, wo bist du denn?", fragte Vahl auf Platt ins Publikum. Als der Irrtum aufflog, reagierten die Zuschauer begeistert. Seemannsgarn? Kein Stück, echt nicht ...

"Aus der Kindheit habe ich herrliche Erinnerungen an das Ohnsorg-Theater", verrät Tourteilnehmerin Anja Sonnek. "Es symbolisiert ein Stück heile Welt." Als sie neben der Großmutter saß und von Heidi Kabel & Co. das erste Plattdeutsch lernte. Auch der Werbekauffrau aus Billstedt gefällt die informative und humorige Art, mit der Thorsten Börnsen die Gruppe in den Bann zieht. Viele Jüngere sind dabei. Und da der etwas andere Stadtführer die Sprache unserer Vorfahren moderat und gefällig übermittelt, können auch plattdeutsche Laien problemlos verstehen. Der Mann versteht die Kunst, historische Fakten über die Stadt mit Wissenswertem über das Idiom zu verbinden. Während auch der nächste plattdeutsche Rundgang ausgebucht ist, können Karten (35 Euro inklusive "Hammer-Book") für den 8. Februar (14 Uhr) und 11. Februar (10 Uhr) noch gebucht werden. Über die Abendblatt-Ticket-Hotline (040/30 30 98 98) wird der Weg frei.

Weiter geht's. Via Reesendamm und Börseninnenhof führt die Etappe zur Trostbrücke. "Hier wurde eine Frisur weltberühmt", fährt Börnsen fort. Er deutet auf einen Königspudel, der eisern auf dem Giebel des Laeiszhofes thront und stoisch Geschichte wie Witterung trotzt. Und wie hat es der Hund an die Spitze eines großen Unternehmens gebracht? Durch die Schwiegertochter des Firmengründers, ob ihrer krausen Haare "Pudelchen" genannt. Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Und in memoria der jungen Dame werden die Schiffe der Reederei stets auf Namen mit Anfangsbuchstaben "P" getauft - bis zum heutigen Tage.

Ein Döntje? Nie im Leben!