Der Mann mit der HSV-Mütze ist groß und nicht zu übersehen, als er zwischen den haltenden Taxis vor dem Hauptbahnhof herumläuft, gut gelaunt, mit einem Headset seines Handys am Ohr: Nicht zu überhören ist, dass Sven Wefels gerade einem Kollegen eine gute Fahrt vermittelt hat. Er spricht sehr laut. Doch dann erfährt Wefels, dass am Morgen ein Taxifahrer erschossen in seinem Fahrzeug aufgefunden wurde. Sofort wird er still, der Hüne ist sichtlich schockiert: "Was? O Mann, einen Mord hatten wir Jahre nicht mehr. Wann hatten wir den letzten?", fragt er die herumstehenden Kollegen. Es sind nicht viele, die bei den frostigen Temperaturen auf dem vereisten Asphalt stehen. Die meisten sitzen in ihren beheizten Autos, warten darauf, in der Schlange weiter nach vorne rücken zu können.

Aber ein paar Männer stehen doch in der Kälte. Der Mord an dem Kollegen hat sich herumgesprochen. Der letzte Mord an einem Taxifahrer? Schulterzucken. "Da war mal was in Kaltenkirchen, lange her", sagt einer. Seit 16 Jahren fährt Sven Wefels (41) schon Taxi. "Überfälle gibt es immer wieder", sagt er, aber dieser tödliche Schuss auf einen Kollegen, das sei eine ganz andere Dimension, sehr tragisch.

Weil es kalt ist, bittet Sven Wefels in seinen VW-Bus. Auf dem Beifahrersitz ist kein Platz, weil dort eine Straßenkarte liegt, ein Handbuch für den VW-Bus, eine Tageszeitung. Die für den Taxibetrieb zuständige Behörde sehe solch eine Unordnung gar nicht gern. Aber was die Beamten nicht wissen: Die Unordnung dient Sven Wefels als Sicherheit. "Ich möchte nicht, dass sich jemand neben mich setzt", sagt er. Ob es tatsächlich vor Überfällen schützt, wenn die Fahrgäste hinter ihm sitzen? Wefels zieht die Schultern hoch, sagt nur: "Im Ernstfall hast du keine Chance." Ein besseres Gefühl beim Fahren hat er so auf jeden Fall. Er weiß, wie es ist, Opfer einer Gewalttat zu werden. Vor Jahren hat ihn ein Mann am Bahnhof in Barmbek mit einem Messer bedroht. Die Geschichte ging gut aus, weil Wefels gleich den Alarmknopf gedrückt hat, den die meisten der 3386 Hamburger Taxis haben. Etwa 1186 Taxis aber fahren ohne Funk, haben also keine solche Einrichtung.

Bei einem Notfall wird bei Knopfdruck sofort die Taxizentrale eingeschaltet. Außerdem fängt das Fahrzeug an zu hupen, die Warnblinker gehen an. In Sven Wefels Fall war die Polizei nach vier Minuten da. Den Täter haben sie auch noch erwischt: Es war der drogenabhängige Sohn eines Taxiunternehmers.

Über ihre Angst sprechen wollen die Taxifahrer nicht so gern. "Die Angst wird für mich zur Routine", sagt Bakkar Bakkar (55) nur. Seit 28 Jahren im Geschäft, hat er noch keine Gewalt erlebt. Ausgerechnet die einzige Taxifahrerin unter den etwa 30 Fahrern in der Reihe sagt: "Ich habe keine Angst. Mit Angst können Sie gar nicht fahren." Supermärkte würden doch viel häufiger überfallen. Ein anderer Kollege sieht den Todesschuss sogar als Berufsrisiko: "Elektriker können einen Stromschlag kriegen, Maurer können vom Gerüst fallen", sagt Henry Bauer (62). Vielleicht soll diese drastische Sicht auch nur den Familienfrieden sichern: "Meine Frau hat Angst um mich. Ich habe ihr gesagt: Wenn ich überfallen werde, sieh es als Arbeitsunfall."

Ein paar Reihen vor ihm sitzt Rainer Stöhr in seinem Taxi. Er trinkt Kaffee aus seiner blauen Thermoskanne, liest Zeitung. Ihn nimmt der Mord viel mehr mit. "Totales Entsetzen", sagt er nur. Die Hemmschwelle werde immer niedriger. "Du wirst ja für ein Ei und ein Butterbrot totgeschlagen." In Rahlstedt hatten es einmal drei junge Männer auf den 70-Jährigen abgesehen. Trotz verriegelter Türen hat einer der Männer die Scheibe mit der Faust durchschlagen und Rainer Stöhr am Hals gepackt. Er blieb zum Glück unverletzt. Wichtig sei es, sich deeskalierend zu verhalten. "Waffen dürfen wir ja gar nicht tragen", sagt Stöhr. Die schüren die Aggression, vermitteln eine trügerische Sicherheit, sagen Experten.

Stöhr wird etwas anderes tragen: einen Trauerflor.