Eine Arena soll die Elbphilharmonie werden, ein ganz besonderer Mix aus Kultur, Wohnen und Gastronomie. Sicher ist: Mit dem Sensationsbau der Architekten Jacques Herzog und Pierre de Meuron wird die Hansestadt weltweit ganz vorne mitspielen. Joachim Mischke führt durch das neue Wahrzeichen.

Knapp zweieinhalb Jahre noch. Mehr nicht, wenn alles gut geht. Wenn alle Zeitpläne halten, alle Beteiligten mitspielen und jeder macht, was er soll, dann wird Hamburg ab dem 17. Mai 2012 mit der Elbphilharmonie um eine Kultursensation reicher sein. Die 2150 Gäste des Eröffnungskonzerts werden sich staunend auf den Weg in einen Konzertsaal der Superlative machen.

Das Abenteuer wird im Erdgeschoss vom Kaispeicher A starten, auf jener einzigartigen Rolltreppe, deren Ende man am Beginn der 82-Meter-Fahrt nicht wird sehen können, weil die Reise nach oben über eine Krümmung verläuft. Über die Plaza, die einige Meter höher liegt als das ursprüngliche Dach des Backsteinbaus Baujahr 1963 von Werner Kallmorgen, gelangt man dann in den Großen Saal.

Um zu erahnen, wie es dort sein wird, muss man wissen, dass die Schweizer Star-Architekten Jacques Herzog und Pierre de Meuron seit ihrer Jugend in Basel beinharte Fußballfans sind. Sie wollten als Herzstück ihres Entwurfs eine Klang-Arena, einen Konzertsaal, in dem das Publikum so nah wie möglich am Geschehen ist. Motto: "Die Menschen sollen den Raum bilden". Man soll im Idealfall förmlich den Angstschweiß des Dirigenten vor dem ersten Einsatz riechen können wie den des Torwarts beim Elfmeter. Und die Begeisterung im Blick der Musiker sehen, wenn der Schlussakkord gespielt ist.

Diese Nähe zum Wertschöpfungsprozess ist Herzog & de Meuron schon bei der Münchner Allianz-Arena gelungen. Für das Hamburger Konzerthaus - das erste in ihrem weltweiten Werkkatalog - haben sie sich am Vorbild der Berliner Philharmonie orientiert, in der die Musik in der Mitte spielt, die Zuhörer rundum auf steil aufsteigende Ränge verteilt sind. Aber so etwas nur möglichst effektiv nachzubauen, das wäre keine Kunst im Bau, wie sie die beiden Basler immer wieder anstreben. Das wäre lediglich gehobenes Handwerk. Das könnten so oder irgendwie ähnlich auch andere. Was hier erdacht und umgesetzt wird, können nur sie. Herzogs unmissverständliche Ansage: "Am Ende ist Architektur immer etwas Lokales: Wenn du hingehst, dann muss es dich umhauen."

"Baut sie, und die Leute werden hingehen!" Mit diesem demonstrativ zuversichtlichen Slogan wurde in Los Angeles für die spektakuläre Walt Disney Concert Hall geworben, die anfangs keineswegs nur Freunde hatte. Doch das änderte sich schnell. Der Architekt Frank Gehry hatte sich ein atemberaubend amorphes Blechknäuel ausgedacht, das er mitten in Downtown L.A. hineinwarf. Zwischen schnöden Hochhäusern für Aktenschubser, dort, wo kaum jemand länger als beruflich nötig sein wollte, entstand ein faszinierender Publikums- und Touristenmagnet. Das Los Angeles Philharmonic, vorher schon eines der besten Orchester der USA, wurde durch die Herausforderung, sich in diesem Saal zu bewähren, noch besser. Klassik wurde wieder hip in der Heimat von Hollywood. Und der Akustiker Yasuhisa Toyota, der bei diesem Bau für den Feinschliff an den Schallwellen gesorgt hatte, wurde auch für den Großen Saal der Elbphilharmonie engagiert.

Schon daran sieht man: Geschichte wiederholt sich hin und wieder doch. Denn auch in Hamburg stand die Idee, der guten alten, aber chronisch überlasteten Laeiszhalle ein zeitgemäßes Partnerhaus zu errichten, jahrzehntelang keineswegs an der Spitze der Senats-Agenda. Im Gegenteil. "Das ist alles Zukunftsmusik. Man kann es sich aber schön vorstellen", hieß es einmal aus der Kulturbehörde. Tatendrang klingt anders. Der Kaispeicher A wäre unterdessen fast für ein nichtsnutziges Bürogebäude namens Media City Port geopfert worden.

Am 6. Juni 2003 stellte das Hamburger Abendblatt die Frage "Elb-Philharmonie im Kaispeicher?" und auch schon die ersten Überlegungen dazu vor. Hinter den Kulissen des hanseatischen Kulturbetriebs hatten zwei Privatpersonen emsig, mit enormer Leidenschaft, viel Herzblut und guten Argumenten verengte Horizonte erweitert. Dem Engagement von Alexander Gérard und Jana Marko ist es zu verdanken, dass an entscheidenden Stellen der Stadt endlich erkannt wurde, was der Stadt gefehlt hatte, seit der legendäre Conventgarten im Bombenhagel des Zweiten Weltkrieges in Schutt und Asche zerfallen war.

Zielfördernd war allerdings auch, dass dieses Projekt der gerade im Aufbau befindlichen HafenCity eine weltweit beachtete Architektur-Ikone bescheren konnte, die in jeder Hinsicht hinausragte. Die ständigen Verweise der Politik auf das Opernhaus von Sydney und dessen globalen Bekanntheitsgrad kamen nicht von ungefähr, sie dienten auch der Formwahrung des eigenen Rückgrats. Im Sommer 2005 sorgte NDR-Chefdirigent Christoph von Dohnányi bei einer Expertenanhörung für einen Klassiker in der Diskussion, als er bei der Frage nach der Notwendigkeit eines solchen Konzerthauses konterte, ob es denn einen Bedarf für Beethovens Neunte oder Coca-Cola gegeben habe.

Im August 2007 wurden Bagger auf das Dach des Kaispeichers A gehievt, um ihn von oben bis unten auszuhöhlen.

In den ersten Jahren der Konzerthauswerdung brauchte man noch eine ordentliche Portion Fantasie, um sich die Elbphilharmonie, diese einmalige Mischkalkulation aus Kultur, Wohnen und Hotel, tatsächlich an Ort und Stelle vorzustellen. Denn wie immer bei so visionären Projekten hätte alles auch ganz anders laufen können als geplant.

Es lief ja auch einiges ganz anders und nicht richtig rund. Die Kosten, um gleich aufs Schmerzhafteste zu kommen, die liefen nach der feierlichen Grundsteinlegung im April 2007 aus dem Ruder, und das gleich mehrfach. Jedes Mal wurde von Verantwortlichen und Politikern zerknirscht eingestanden, das Preisschild müsse ein weiteres Mal korrigiert werden. Und auch der Start der ersten Saison wurde um ein Jahr vertagt, weil strukturelle Änderungen - vom Backstage-Bereich bis zum Einschub eines kleinen, dritten Konzertsaals - das Innere immer wieder umkrempelten, neue Flächen schufen und alles weiter komplizierten.

Die äußere Form hat sich kaum verändert, seit die Architekten ihre ersten Entwürfe zu Papier brachten. Das Innere dagegen dramatisch. Dass Rom auch nicht an einem Tag erbaut wurde, ist keine Entschuldigung für die Verzögerungen. Aber immerhin ein Trost. Jetzt, da sich Stockwerk um Stockwerk in den Himmel schraubt, wird die Fantasie eher an anderer Stelle gebraucht: Jetzt muss die programmatische Butter bei die architektonischen Fische.

Was Zukunftsmusik war, wird Gegenwart, mit jeder abgearbeiteten Bauplanwoche mehr. Wie dramatisch die Veränderungen dadurch für das gesamte Hamburger Kulturleben noch sein werden, bleibt abzuwarten. Doch schon jetzt hat sich unglaublich viel getan. Das Bewusstsein für die Notwendigkeit von Musikkultur ist ein anderes geworden. Neue Initiativen, Programme, Konzepte; nichts scheint mehr unmöglich.

Einige sehr große und viele kleine Spenden haben dazu beigetragen, dass die Kulturpolitik deutlichen Rückenwind bekommen hat - aber auch den Auftrag, Versäumtes und Vernachlässigtes in der hiesigen Musikszene auszubessern, sie aufzufrischen und ihre Leistungsträger verlässlich zu finanzieren.

Vor einigen Wochen wurden die ersten der rund 1100 gläsernen Fassadenelemente an den Rohling des Konzerthauses montiert. Allesamt Unikate, kunstvoll gebogenes und bedrucktes Glas, das diverse Härtetests überstehen musste, bevor es zugelassen wurde. Ein weiteres Signal dafür, dass der Countdown zum Eröffnungskonzert läuft. Es gibt kein Zurück mehr für die Hansestadt, die sich an dieser Stelle, mit diesem kulturellen Brennpunkt sehr demonstrativ neu erfinden und präsentieren will.

Hamburg will und wird zukünftig ganz vorn mitspielen. Das wird nicht einfach sein, es wird Arbeit machen, so einiges an Nerven und garantiert auch noch viel Geld kosten. Sehr unschön, aber zu verschmerzen, auf lange Sicht. Und nur die wird zählen. Man kann nicht besser investieren als in Kultur. Das Politiker-Wort vom Jahrhundertbauwerk, das ansonsten gern großspurig um den jeweiligen Anlass herumschlottert, hier passt es endlich einmal.

Damit die Radargeräte der einlaufenden Schiffe das Gebäude registrieren können, werden die Glasscheiben mit einer speziellen Chrombeschichtung versehen. Was für die lokale Seefahrt gedacht ist, gilt auch für die kulturelle Weltkarte mindestens der nächsten Jahrzehnte. Die Hamburger Elbphilharmonie wird dort einen Stammplatz als "landmark" haben. Ein Qualitätsradar, das ihr Format übersieht, kann nur defekt sein.

Mehr über die Entstehung der Elbphilharmonie und die Geschichte der Musikstadt Hamburg in: Joachim Mischke "Hamburg Musik!" (Hoffmann und Campe)