Familie Kosian war am 26. Dezember 2004 am Strand, als die tödliche Flutwelle kam. Jürgen Kosian war danach von der Hilfsbereitschaft der Einwohner beeindruckt - und sammelt bis heute Spenden.

Der Morgen in Khao Lak ist wunderschön. Strahlend blauer Himmel, Sonnenschein, 28 Grad. Jürgen Kosian (54) und seine Frau Heidi (53) waren gerade schwimmen und wollen nun im Restaurant direkt am Strand frühstücken. Ihre Kinder Nina (damals 16) und Michele (damals 8) trödeln noch im Bungalow herum, Sohn Phil (zu der Zeit 15) genießt eine Anwendung im Spa-Bereich des Magic- Lagoon-Hotels. Der zweite Weihnachtsfeiertag beginnt unbeschwert. Der Urlaub in Thailand sollte ein Wellnessurlaub werden.

"Oh, was für ein Naturereignis", ruft ein farbige hochschwangere Frau auf Englisch. "Sie war total begeistert", sagt Jürgen Kosian, Unternehmensberater aus Wohltorf. Und ja. Dort am Horizont ist ein Silberstreif zu erkennen. "Lass uns aus dem Restaurant gehen und an den Strand", schlägt Kosian seiner Frau vor. Die will erst nicht. "Ich habe sie bequatscht." Eine Entscheidung, die ihnen vermutlich das Leben gerettet hat. Denn Sekunden später gibt es das Restaurant nicht mehr, die schwangere Frau und alle, die mit ihr im Restaurant waren, sind tot, von den Wassermassen erfasst und an der Restaurantwand zerquetscht worden, das Hotel wird komplett zerstört. Bis zu zwölf Meter hoch trifft die Tsunami-Welle auf die Küste von Khao Lak.

Dieser schöne Silberstreif am Horizont wird immer größer. "Das Wasser am Strand war gar nicht mehr da. Der Sand war nass, Muscheln lagen herum", erinnert sich Herr Kosian. Er denkt, das sei Ebbe und üblich in dieser Gegend. Das Ehepaar Kosian war erst am Vorabend mit den drei Kindern aus Bangkok eingetroffen. Dann kommt das Wasser zurück. Nicht mehr silberfarben. Es ist sandig und schmutzig. Jemand ruft noch "alle weg vom Strand, in die Häuser!" An eine Katastrophe denkt Jürgen Kosian dennoch nicht. "Katastrophen, das verbindet man in Hamburg doch mit Sturm und Wind und Regen." Und nicht mit einem sonnigen Tag im Paradies.

Doch das sonnige Paradies wird zur Hölle. Innerhalb von Sekunden erfasst diese Wand aus schmutzigem Wasser Jürgen Kosian, reißt ihm seine Heidi fort und die anderen Menschen, drückt alles, was sich ihr in den Weg stellt unter und vor sich her - Menschen, Surfbretter, Gasflaschen. "Ich dachte, das ist ein schlechter Traum. Als ich das erste Mal Wasser schluckte, wusste ich, das ist kein Traum. Das ist ein Albtraum." Er erzählt das ruhig. Und genauso ruhig war er auch, als er unter Wasser treibt. Das Wasser zieht ihn herunter. Er hört ein fürchterliches Gurgeln, außerdem ein Geräusch, als würde Stahl verbogen. Kosian landet in einem dunklen Raum. Aber er bekommt endlich Luft. "Ich war ganz klar." Keine Panik, keine Todesangst. "Ich habe sofort mit Gott kommuniziert und sagte laut: Ich muss meine Familie finden." Für Außenstehende ist das schwer vorzustellen, aber Jürgen Kosian sagt: "Ich hatte nicht das Gefühl, ich müsste sterben. Stattdessen war da eine große Zuversicht." Er glaubt an Gottes Hilfe. Erstaunlich sachlich überlegt er, wie er hier herauskommt. "Der eigene Überlebenstrieb ist stark, stärker aber war der Wille, die Familie zu retten." Herr Kosian findet heraus aus dem Keller, das Wasser hatte ihn unter die Hotelanlage gespült. Er findet seine Kinder, seine Frau. Wie durch ein Wunder haben alle überlebt. Phil findet er nackt, mit blutigen Striemen übersät. Er ist schwer verletzt. Gemeinsam mit anderen Überlebenden wickelt Jürgen Kosian seinen Sohn in ein Tuch. Sie flüchten auf einen drei Kilometer entfernten Hügel.

Jürgen Kosian wird nachdenklich: "Ich weiß, dass es in Gottes Hand liegt. Diese Katastrophe hat mir bewusst gemacht, wie zerbrechlich das Leben ist. Wir meinen alles im Griff zu haben. Doch in solch einem Moment hast du gar nichts im Griff. Deine Fähigkeiten allein reichen nicht." Auch fünf Jahre danach kommen dem 54-Jährigen die Tränen, wenn er davon erzählt, wie die Familie dort oben auf dem Hügel ausharrt. Auf dem Hügel, auf dem die kleine Michele ihrem großen Bruder "Hamburg, meine Perle" vorsingt, damit er, der große HSV-Fan, bei Bewusstsein bleibt, während direkt neben ihnen ein Vater sein totes Kind auf die Erde legt.

Die Kosians reisen nur mit T-Shirt und Shorts bekleidet zurück nach Hamburg. Dort empfängt die älteste Tochter Nadine (28) ihre Familie am Flughafen. "Wir haben in Thailand gespürt, wie groß die Hilfsbereitschaft ist. Die Hotelangestellten haben ihre Kleidung ausgezogen und uns gegeben."

Die Familie war später in psychologischer Behandlung, aber im Großen und Ganzen haben alle die Katastrophe gut weggesteckt. Nur einmal, als Jürgen Kosian Wasser in die Wanne einlaufen lässt, erinnerte ihn dieses Gurgeln an den dunklen Keller. "Was meinen Sie, wie schnell ich wieder aus der Wanne war!" Auch wenn es seltsam klingt: "Für mich war diese Katastrophe ein Segen. Ich bin aufgerüttelt worden. Mein Fokus richtet sich mehr auf das Wesentliche." Seine Eltern haben jetzt einen größeren Stellenwert. Kosian hat den Verein "Lichtblick" gegründet, er sammelt Spenden und war seit der Tsunami-Katastrophe achtmal vor Ort. "Wir haben so viel Barmherzigkeit erfahren und fühlen uns verpflichtet, davon etwas zurückzugeben." Weihnachten ist für Jürgen Kosian nicht mehr nur Weihnachten. "Der 26. Dezember ist wie ein zweiter Geburtstag."