Eigentlich geht es um eine gute Sache: Umweltbildung von Kindern. Genau das bestreiten die Kritiker.

Hamburg. Der Blick durch die Fensterfront geht auf einen aufgeräumten Garten. Dahinter stehen Bäume. Karl Dieter Kloth wohnt direkt am Niendorfer Gehege, der grünen Oase inmitten der Stadt. Kloth lebt seit 1964 in diesem Haus, hat hier seine Kinder aufwachsen sehen. Und die Flugzeuge gehört, die über sein Dach flogen. Der Flughafen ist nicht weit entfernt, Kloth zeigt auf einen Ausdruck von Google Maps. Dort hat er das Niendorfer Gehege markiert, den Flughafen und den Ohlsdorfer Friedhof - beide sind größer als der Wald. "Um mal die Relationen zu verdeutlichen", sagt der 74-Jährige. Kloth hat Angst um die Zukunft des kleinen Forstes.

Deshalb setzt er sich jetzt hin und klemmt sich hinter seinen Laptop. Dieter von Specht, der Nachbar von schräg gegenüber, sitzt neben ihm, sie haben eine weitere Grafik erarbeitet. Eine, auf der die wenigen Straßenzüge, die am Gehege liegen, eingezeichnet sind. Von den 58 Häusern sind alle bis auf drei rot gefärbt. Das sind die Gegner des Großprojekts, das eine Einrichtung für Umweltbildung demnächst auf die Beine stellen will. Und zwar nur ein paar Hundert Meter weiter. Dort, wo jetzt Kinderlärm zu hören ist. Malte, Sarah, Laura und viele andere toben durch den Wald. Heute lernen sie etwas über den Fuchs und die Buche. Und zwar von Jan Muntendorf und Cordula Wellmann, die als Waldpädagogen bei der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald (SDW) arbeiten. Muntendorf ist 36 Jahre alt und ein jugendlicher Typ, er ist beim SDW für Naturschutz zuständig und legt seine Stirn in tiefe Falten, wenn er über seine Arbeit redet. Denn sie war schon einmal einfacher als zuletzt.

Seit bekannt wurde, dass die SDW ein mehrstöckiges Gebäude in dem Stadtwald errichten will, tobt ein Kampf in Niendorf. Es geht ein Riss durch den Stadtteil: zwischen Befürwortern und Gegnern, Alten und Jungen, CDU und SPD. Die Kritiker fürchten eine Kommerzialisierung des Geheges und unterstellen der Schutzgemeinschaft wirtschaftliche Interessen.

So kommt es, dass ein Haus für ordentlich Zwist sorgt. Einer, in dem mit harten Bandagen gekämpft wird. Vor einigen Wochen erst wurden die Scheiben von Fahrzeugen, die Mitarbeitern der Schutzgemeinschaft gehören, eingeschlagen. Von Gegnern des geplanten "Haus des Waldes"?

Rüdiger Kruse, 48, ist die zentrale Person in der Angelegenheit Haus des Waldes. Der CDU-Politiker ist Geschäftsführer der 1971 in Hamburg gegründeten Schutzgemeinschaft. Ein Christdemokrat, für den Ökologie das Hauptthema, ein Umtriebiger, der auch im Vorstand der Stiftung Deutscher Wald ist. Seit vielen Jahren unterrichtet sein Team aus Waldpädagogen etwa 20 000 Kinder jährlich. Die lernen im Niendorfer Gehege, wie Flora und Fauna funktionieren. Als Untersuchungsgegenstand dient der Wald, einen Raum für Seminare gibt es nicht. Denn der Sitz der SDW ist eine alte Baracke. Kein Wunder, dass Kruse eine neue Bleibe bauen will. Vier Millionen aus dem Konjunkturpaket hat er eingeworben, 6,8 Millionen kostet das Projekt insgesamt. Die Grundfläche soll 1280 Quadratmeter betragen. In dem Gebäude sollen sich Seminar- und Büroräume, Ausstellungsflächen und ein Restaurant für 60 Personen befinden.

Ein Ungetüm, das die Dimensionen des kleinen Waldes sprengt, sagen die Kritiker. Ein Gebäude, für das die örtliche Infrastruktur nicht ausgelegt ist. 60 000 Schüler will die SDW künftig unterrichten. Dieter von Specht, Ex-Vorstand von BAT und seit 50 Jahren am Gehege ansässig, holt tief Luft und sagt: "Wir mögen Kinder, aber das Projekt betrifft uns Anwohner in besonderem Maße." Von Specht ist 84 Jahre alt, er wägt seine Worte sorgsam ab und neigt nicht zur Übertreibung; er glaubt trotzdem, dass ein "Kongressgebäude" im Gehege entstehen soll. "Und was da dann an Verkehr auf uns zukommt - daran möchte ich gar nicht denken."

Deshalb formieren sich die Anlieger zum Widerstand. Ein von ihnen bei einer renommierten Anwaltskanzlei in Auftrag gegebenes Gutachten bestärkt sie in ihrer Haltung. "Der Teil des Geheges, auf dem das Haus gebaut werden soll, ist baurechtlich als Fläche für Forstwirtschaft ausgwiesen", sagt Karl Dieter Kloth.

Er ist nicht der Einzige, der Kruse und seiner Schutzgemeinschaft das Leben schwer macht. Lucian Neitzel, 74, hat im Sommer, als die Pläne Kruses ruchbar wurden, ein Bürgerbegehren ins Leben gerufen. Mit Erfolg: Neitzel und seine Mitstreiter sammelten genügend Unterschriften, um das Vorhaben für drei Monate aufzuhalten. "Kruse will sich in unserem Wald eine fürstliche Residenz errichten", sagt Neitzel, ein feiner, älterer Herr und früher Redakteur beim NDR.

Für ihn, der im Internet über den Stand der Dinge informiert ( www.haende-weg-vom-niendorfer-gehege.de ), ist das Vorgehen von Kruse und dem Senat ein Skandal. Kruse wirft er Täuschung der Öffentlichkeit vor. "Das überdimensionierte Gebäude soll ein Tagungszentrum für Wirtschaft und Forschung werden, kein Haus für Schüler-Seminare." Und während Neitzel noch über die "waldaffinen Kinder" spottet, die Kruse immer als Zielgruppe zitiere, nimmt er bereits den Senat ins Visier. Der unterstützt wie das Bezirksamt in Eimsbüttel die Pläne des SDW und hat ihr ein "unentgeltliches Erbbaurecht" bereitgestellt. Heißt: Die SDW darf im Niendorfer Gehege bauen. "Das hat der Senat trotz Bürgerproteste, die in ein erfolgreiches Votum münden könnten, beschlossen", sagt SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Monika Schaal und verlangt jetzt Akteneinsicht beim Senat. "Es ist vieles unklar, zum Beispiel, warum gerade die SDW Geld aus dem Konjunkturprogramm des Bundes bekommt."

Der Kampf ums Gehege ist in vollem Gange. Dabei ist neben Parteiengezänk, Anwohnerinteressen und die Sorge um zunehmende Bebauung des Niendorfer Geheges durchaus auch allzu Menschliches mit im Spiel. Denn Kruse, der Hansdampf in vielen Gassen, wird im Stadtteil schon länger argwöhnisch beäugt. Kruse wohnt seit vielen Jahren prominent im Forsthaus des Geheges. Demnächst soll er ausziehen - der Wald hat wieder einen eigenen Förster. Manche empfinden Kruses Präsenz im Gehege als Okkupation öffentlichen Raumes. "Der macht sich da breit", heißt es. Kruse selbst geht mittlerweile auf seine Kritiker zu, er sagt: "Wir wollen hier kein Konferenzzentrum errichten, sondern unser waldpädagogisches Programm weiter verbessern." Geld verdienen wolle er mit dem Haus des Waldes nicht. Alexander Porschke, Vize-Chef des Naturschutzbundes (Nabu), lobt die Arbeit des SDW. Der frühere Umweltsenator wuchs in Niendorf auf und hat den Schutz des Naturraums Niendorfer Gehege im Auge. "Ich kann die Kritiker verstehen, die monieren, dass das geplante Gebäude zu groß ist", sagt Porschke. Trotzdem wäre es bedauerlich, wenn das Projekt ganz sterbe.

Genau das könnte passieren, wenn das Bürgerbegehren die Planungen weiter aufhält. Denn dann flössen die Gelder aus dem Konjunkturpaket II vielleicht doch nicht. Kruse sagt trotzig, dass er "vor dem Bürgerbegehren keine Angst" habe. Er glaubt, dass er sich mit Argumenten durchsetzen wird, "und wir werden die Bürger umfassend informieren".

Was er hätte früher tun können, finden vor allem die Anwohner. Sie wähnen sich im Recht. Wahrscheinlich hat die SDW mehr Angst vor einer rechtlichen Auseinandersetzung als vor einem Bürgerbegehren", sagt Karl Dieter Kloth. So oder so hat Kruse an vielen Fronten zu kämpfen. Manchmal spricht er von "gelangweilten Rentnern", die unsachlich argumentierten, dann wieder wird er mit Vorwürfen konfrontiert, die die Finanzierung der SDW betreffen. Angeblich habe die SDW im Zuge einer städtischen Veräußerung von Gewerbefläche 3,5 Millionen Euro an Ausgleichszahlungen erhalten, die in den Stadtsäckel hätten wandern müssen. Kruse bestreitet dies. So bleibt am Ende auch der Verdacht, dass manch einer Kruse im Wahlkampf schaden wollte. Denn Kruse kandidierte in Eimsbüttel für den Bundestag - erfolgreich. Dass er den Wahlkreis vor allem wegen der Selbstzerfleischung bislang dominierenden SPD gewann, ist das eine. Andererseits scheint ihm der scharfe Wind, der ihm wegen des Haus des Waldes entgegenbläst, nicht geschadet zu haben.

Lucian Neitzel hat derweil eine neue Eingabe in der Bürgerschaft eingereicht. Am Montag wird im Ortsausschuss das Thema erneut verhandelt. Rüdiger Kruse will kommen.