Aus Kostengründen melden viele Krankenhäuser potenzielle Spender gar nicht erst - obwohl sie dazu verpflichtet sind.

Es ist erschreckend: Ein Kind mit angeborenem Herzfehler stirbt, weil es nicht rechtzeitig eine Organspende bekommt. Eine junge Frau überlebt nicht, weil sie die dringend erforderliche neue Leber nicht erhält. Aus Mangel an Organen sterben jeden Tag in Deutschland drei Menschen. Doch zwei von ihnen könnten jeden Tag gerettet werden - wenn alle Krankenhäuser ihrer Pflicht nachkämen und jeden potenziellen Organspender melden würden. Das sagte Professor Hermann Reichenspurner, Leiter des Herzzentrums im UKE und Sprecher der deutschen Herz- und Lungentransplantationszentren, dem Abendblatt.

Das Problem: Nach Schätzungen der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) melden nur die Hälfte der rund 1400 der Krankenhäuser mit Intensivstation, die für eine Organspende infrage kommen, potenzielle Spender. In Hamburg haben im vergangenen Jahr sogar nur zwölf von 23 entsprechenden Krankenhäusern mögliche Organspender der DSO mitgeteilt. "Die Zahlen sind besorgniserregend", sagt Dr. Nils Frühauf, Geschäftsführender Arzt der DSO, Region Nord (Hamburg, Niedersachsen, Bremen, Schleswig-Holstein). Nach Angaben der Experten stirbt fast jeder dritte der fast 3500 Patienten, die auf ein Herz, eine Leber oder Lunge warten, weil er nicht rechtzeitig ein neues Organ bekommt. Hauptgründe: eine geringe Spendenbereitschaft in der Bevölkerung, fehlende Transplantationsbeauftragte - und mangelndes Meldebewusstsein der Krankenhäuser aufgrund personeller und finanzieller Belastungen.

Experten wie Professor Reichenspurner vermuten jedoch, dass der personelle und organisatorische - vor allem aber der finanzielle - Aufwand für viele Kliniken einfach zu groß sei. "Die Wirtschaftlichkeit spielt in der heutigen Zeit eine immer größere Rolle - auch für Krankenhäuser", so Reichenspurner. Zwar bekommen die Spender-Krankenhäuser eine Aufwandsentschädigung in Höhe von etwa 2200 Euro für Ein-Organ-Entnahmen und 3300 Euro für Mehr-Organ-Entnahmen - "doch das deckt die Kosten oftmals nicht", so Reichenspurner. Schließlich koste ein Tag auf der Intensivstation das Krankenhaus zwischen 2000 bis 3000 Euro, jede Stunde im Operationssaal etwa 1000 Euro. "Die Organisation einer Organspende ist aufwendig und bindet viel Ressourcen und Personal. Daher ist es für die Krankenhäuser oft einfacher, die Beatmungsgeräte abzuschalten - als einen potenziellen Organspender bis zur Organentnahme auf der Intensivstation zu versorgen und dann noch den OP mit Personal für die Entnahme bereitzustellen."

Nach Paragraf 11 Absatz 4 des Transplantationsgesetzes sind die Krankenhäuser zwar verpflichtet, potenzielle Organspender der DSO mitzuteilen, "aber wo kein Kläger ist, da gibt es auch keinen Richter", sagt Reichenspurner und kritisiert, dass es zu wenig Kontrollen gibt - obwohl andere europäische Länder, dies vorleben und über doppelt so viele Organspender melden wie Deutschland.

"Wir könnten die meisten Patienten retten, wenn die Gesetzesvorgaben endlich umgesetzt würden", sagt Dr. Nils Frühauf. Zwar gibt es seit 1998 ein bundesweites Transplantationsgesetz. Doch bisher haben nur acht Bundesländer Landesausführungsgesetze erlassen, die auf Landesebene für die Einhaltung des Transplantationsgesetzes sorgen. Hamburg gehört nicht dazu.

Die zuständige Behörde für Soziales und Gesundheit weist die Kritik zurück: Auch wenn es in Hamburg kein eigenständiges Ausführungsgesetz zum Transplantationsgesetz gebe, heiße das nicht, dass landesrechtliche Ausführungsvorschriften fehlten. Wichtige Aspekte wie die Einrichtung einer "Kommission Lebendspende" seien im Heilberufekammergesetz geregelt. "Aber: Die postmortale Organspende ist darin nicht geregelt", kritisiert Frühauf.

Die Hamburgische Krankenhausgesellschaft geht davon aus, dass die Krankenhäuser der Meldepflicht nachkommen. "Dass einige Krankenhäuser nicht gemeldet haben, kann damit zusammenhängen, dass es in den Häusern keine potenziellen Spender gegeben hat", sagt Ulrike Jaenicke, Sprecherin der Hamburgischen Krankenhausgesellschaft. "Außerdem zeigen die gestiegenen Zahlen der Organspenden, dass die Verbesserungsmaßnahmen in den Krankenhäusern gegriffen haben."

Doch obwohl Hamburg mit 19,8 Spendern pro eine Million Einwohnern über dem Bundesdurchschnitt liegt (14,6 pro Millionen), könnte die Anzahl nahezu verdoppelt werden - auf 30 bis 35 Spender pro Million. Das hat eine Analyse der DSO ergeben. "Von Befragungen der Krankenhäuser wissen wir, dass es mehr Spender gibt, als gemeldet werden", sagt Dr. Frühauf. Doch um das zu erreichen, bräuchte man beispielsweise Transplantationskoordinatoren - und die kosten Geld. "Solange wir die nicht haben - und keine Transparenz bei dem Thema erlangen - können wir nicht sagen, ob und warum die Krankenhäuser potenzielle Spender nicht melden", sagt Frühauf.