Patienten in Gefahr: Sterile OP-Bestecke fehlten, zu wenige Kapazitäten in der Intensivmedizin, “Anarchie“ im Bettenmanagement.

2000 Gäste kamen im Februar zur Eröffnung des modernsten Klinikums Europas nach Eppendorf. In seiner Rede zitierte Professor Jörg F. Debatin, der Ärztliche Direktor des UKE, den griechischen Philosophen Demokrit: "Mut steht am Anfang des Handelns, Glück am Ende. Was dazwischen liegt, kann ich euch sagen: Arbeit, Mühe und Beharrlichkeit." Mag sein, dass das weit untertrieben war. Denn knapp drei Monate nach dem Einzug in das Neue Klinikum gibt es derart massive Probleme, dass sich die Ärztlichen Leiter von 15 medizinischen Zentren nun zu einem verzweifelten Schritt gezwungen sahen: In einem Brief fordern sie von dem UKE-Vorstand um Professor Debatin die "dringende Lösung" dieser gravierenden Mängel, die so erheblich sind, dass in vielen Bereichen "die Patientensicherheit gefährdet" ist.

Nach Ansicht der Chefärzte brennt es im Neuen Klinikum an allen Ecken und Enden. Bei der Fülle der geschilderten Probleme stellt sich die Frage, ob Arbeit, Mühe und Beharrlichkeit ausreichen werden, um die Sicherheit und bestmögliche Versorgung der Patienten - nach dem Umzug stieg die Zahl um 17 Prozent - zu gewährleisten. Die eklatantesten Probleme:

Zentrale Notaufnahme

"Die logistische Versorgung der Notaufnahme macht weiterhin große Probleme. Notfall-Laparotomie oder Notfall-Thorakotomie-Siebe waren nicht vorhanden, was eine unmittelbare Gefährdung der Patienten zur Folge hat", schreiben die Ärztlichen Leiter. Mit anderen Worten: Weil notwendige sterile OP-Bestecke fehlten, ist es zu Komplikationen gekommen.

Weiterhin lässt "die Qualität der pflegerischen Versorgung erheblich zu wünschen übrig", der "Personalmangel in der Pflege ist eklatant". Die Vernetzung zwischen "zentraler Notaufnahme und Radiologie ist außerordentlich problematisch".

Operationen

"Zu beklagen sind die wiederholten Tischschließungen im Zentral-OP", so ein Ärzte-Vorwurf, außerdem komme es "durch erhebliche Mängel in der Schulung des Personals in der Zentralsterilisation (falsch gepackte Siebe und Fallwagen) immer wieder zu Verzögerungen des Schnittbeginns, die besonders am Wochenende und in der Nachtzeit belastend sind für das OP-Personal."

Intensivmedizin

"Momentan ist es so", heißt es in dem Brandbrief, "dass die Intermediate Care-Kapazitäten und auch die Intensivkapazitäten bei Weitem zu gering geplant sind." IMC meint eine Station zwischen Intensiv- und Normalstation, auf der die Patienten noch monitorüberwacht und ans EKG angeschlossen, aber nicht mehr beatmet werden. "Es werden IMC-pflichtige Patienten wie in der Vergangenheit auf peripheren Stationen versorgt, was nicht dem abgestuften Pflegekonzept entsprechen dürfte." Dies "gefährdet die Patientensicherheit".

Bettenmanagement

"Wie Sie wissen", schreiben die Chefärzte an den Vorstand, "besteht bisher für das Bettenmanagement quasi eine Art Anarchie." Die rühre auch daher, "dass ein eklatanter Mangel an Bettenkapazität vorhanden ist". Die Bettenproblematik habe "derartige Ausmaße angenommen, dass nicht mehr nur nach OP-Kapazitäten geplant wird, sondern in den alten Fehler verfallen wird, nach Bettenkapazität zu planen". Voraussetzung, um daran etwas zu ändern, wäre auch eine funktionierende technische Ausstattung, aber "beispielsweise sind für das Operative Zentrum Faxgeräte seit nahezu zehn Wochen bestellt und bisher immer noch nicht installiert". Schließlich kommt es auch immer wieder "zu einem Stau auf den Stationen", weil offenbar "der Sozialdienst aufgrund Arbeitskräftemangels nicht in der Lage ist, für ein Entlassungsmanagement in Rehabilitation etc. zu sorgen". Die "Abflussmöglichkeit von den Stationen" sei deshalb "ein riesiges Problem".

Informationstechnologie

Die in Betrieb genommenen Informationstechnologiesysteme seien "äußerst umständlich", "wenig bedienerfreundlich" und "zu schwerfällig". Die Schnittstellen der anderen benutzten Programme stellen "ein großes Problem" dar. Aufgrund der "Schnittstellenproblematik kommt es zum Untergehen von Befunden". Nicht ärztliche Tätigkeiten "wie Laborzettel ausfüllen" würden zur ärztlichen Tätigkeit, deshalb die Sorge, "dass aufgrund dieser Probleme die Patientensicherheit gefährdet ist", weil "eine vernünftige Dokumentation in der Praxis kaum vorliegt und auch Befundanforderungen untergehen".

Arbeitsabläufe

Zitat eines Arztes: "80 Prozent der Zeit werden vor dem Computer verbracht." Zitat aus der Pflege: "Von sechs Stunden einer Pflegeschicht auf einer Station mit 28 Betten werden gerade einmal 35 Minuten am Patienten verbracht, der Rest ist mit Organisation von Abläufen ausgefüllt."

Als Absender sind die Ärztlichen Leiter und ihre Stellvertreter der UKE-Zentren für Operative Medizin, Innere Medizin, Geburtshilfe, Kinder- und Jugendmedizin, Anästhesiologie und Intensivmedizin, Psychosoziale Medizin, Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde, Experimentelle Medizin, Molekulare Neurobiologie sowie Herzzentrum, Onkologisches Zentrum, Kopf- und Neurozentrum, Diagnostikzentrum, Universitäres Cancer Center sowie Klinik für Augenheilkunde aufgeführt. Ihr ernüchterndes Fazit: "Unter dem Personal macht sich zunehmend eine Stimmung der Resignation breit, die es unbedingt aufzuhalten gilt, um den Betrieb in vollem Umfang aufzunehmen."