Mit Witz, Timing und tollen Sängern führt Christian Stückl “Ariadne auf Naxos“ an der Staatsoper zum Erfolg. Das Publikum war begeistert.

Hamburg. Dass ein Schiff kommen wird, irgendwann, damit ist ja zu rechnen auf einer Operninsel wie Naxos in der Ägäis, wo die von Theseus verlassene Ariadne todessehnsüchtig ihr Ende erwartet. Aber was für ein herrliches magisches Theaterschiff mit blutrotem Quersegel, breit und mächtig, taucht da schließlich ganz in der Ferne an der Wand der Hamburgischen Staatsoper auf! 20 Meter Luftlinie sind es von dort bis zur Bühnenkante; die Stimme jedes handelsüblichen Tenors würde kläglich verhungern auf dem weiten Weg bis an die Rampe, von der aus der Klang ja dann noch den ganzen Saal füllen muss. Johan Botha aber, dieser nicht nur im Hinblick auf seine Leibesfülle voluminöse Sänger, sendet als Bacchus aus dieser gewaltigen Distanz seine ersten süßen, schweren und doch so leichten Töne wie Pfeile von der Brücke seines Kahns, und jeder trifft.

Wer die Sonderbegabung eines Sängers so sinnfällig in eine Inszenierung einbaut, wie Christian Stückl dies in seiner "Ariadne auf Naxos" an der Staatsoper tut, der macht etwas genuin richtig in seinem Beruf. Nun ist Botha nicht nur ein feines Kraftpaket von Tenor, seine Stimme ist genau so "ganz jung, zartest im Ton", wie Richard Strauss und der Librettist Hugo von Hofmannsthal die Rolle haben wollten. Botha singt betörend schön und lyrisch. Sein Bacchus, der vor der Verführerin Circe davonhuschte wie ein Rehböckchen vor der Flinte des Jägers und dem Ariadne sich nur deshalb öffnet, weil sie ihn für den Todesboten hält, ist eine keusche, ganz jenseitige Erscheinung. Und Anne Schwanewilms als Ariadne passt mit ihrem fast ätherischen Sopran voll dunkler Farben ideal zu ihm.

+++ Kommentar: Hui Buh, das Schlussgespenst +++

Stückl führt dieses Paar so statuarisch, als habe er zu viel Robert Wilson geguckt. Aber in dieser "Oper in einem Aufzuge mit einem Vorspiel" ist ja die Gleichzeitigkeit vermeintlich unvereinbarer Sphären Prinzip, es herrscht das Gesetz des Spiels im Spiel, der Bühne auf der Bühne, und das gleich doppelt. Gefundenes Fressen für jeden fantasiebegabten Regisseur, der die Bühnenwelten E und U sowie die widerstreitenden Ideale höchste Liebe (Ariadne) und vergnügte Flatterhaftigkeit (Zerbinetta) werk- und zeitgerecht gegeneinander ausspielen will. Im Vorspiel entspinnt sich komödiantisch der Konflikt; hohe Kunst (Opera seria) und Unterhaltung (Opera buffa/Commedia dell'Arte) müssen plötzlich auf der Bühne miteinander auskommen, weil der reiche Herr im Hause zwei Darbietungen hintereinander vor dem Feuerwerk um neun nicht leiden mag. Gescheucht vom Haushofmeister (Levante Pall), hier eine Art Stage Manager mit öligem Haar und ins Ohr gestöpseltem Telefon, müssen die Künstler sich fügen. Der Opera-seria-Komponist (Cristina Damian) leidet wie ein Hund wegen der drohenden Entweihung seiner Kunst, sein Lehrer - Franz Grundheber spielt und singt ihn mit gut dosiertem Vergnügen an der Charge - übt sich in umfassender Diplomatie. Auch vor 100 Jahren, als die "Ariadne" uraufgeführt wurde, ging die Kunst nach dem Geld. Das war schon damals schon immer so, heute ist es nicht anders.

+++ "Ariadne auf Naxos" bei Premiere einhellig bejubelt +++

Stückl erspart uns historisierende Details der antikeverliebten "Ariadne"-Schöpfer und entwirft einen Culture Clash nach und mit Maß. Hier die gemessen-dunkle Ariadne-Welt mit ihren schwarzen, edlen Kostümen à la Wilson (auch Bühnenbild: Stefan Hageneier), da die Harlekin-Truppe, die mit ihren lachhaften Klamotten und lahmen Choreografien den Schmiss eines Unterhaltungsabends im MDR-Fernsehen entfaltet. Stückls Witz ist nie plump, seine Ironie menschenfreundlich, und er hat ein gutes Timing: Gerade als einem das Duett Bacchus/Ariadne arg lang werden will, lässt er den Haushofmeister mahnend auf die Uhr gucken, schließlich soll das erzwungene Doppel-Spiel ja pünktlich zu Ende sein.

Das Parkett ist im Bühnenbild angedeutet, die Ariadne-Vertrauten Najade (Katerina Tretyakova), Dryade (Rebecca Jo Loeb) und Echo (Gabriele Rossmanith) nehmen in der ersten Reihe Platz und vertreiben sich, wenn sie nicht gerade begnadet schön ein Strauss-Trio zu singen haben, mit allerlei hübsch überzeichneten publikumstypischen Ablenkungen die Zeit. Stückls Freude auch an den anderen Nebenrollen danken ihm die Darsteller durch ein Ensemblespiel, dem zuzuschauen ein Vergnügen ist.

Hayoung Lees Zerbinetta scharwenzelt mit viel Koketterie durch die Szenerie und verdreht mit ihren lasterhaften Versprechungen bald auch den hinter der Spielbühne platzierten Herren unter den Premierengästen den Kopf; ihre mit Koloraturen gespickte Arie "Großmächtige Prinzessin" kann sie bestimmt noch besser singen, als es ihr in der Premiere glückte.

Ähnliches gilt auch für das Orchester. Strauss' für 36 Instrumente gesetzte Partitur kam stellenweise etwas grob und mit Intonationsschwächen aus dem Graben. Simone Young, die nach der Pause von einem Heckenschützen-Buhrufer aus dem Dunkeln kurzzeitig aus dem Konzept gebracht wurde, hatte die verbale Stinkbombe nicht verdient. Orchester und Sänger koordinierte sie gut, auch die spätromantischen Aufwallungen aus dem Graben gefährdeten die Stimmen nicht. Endlich sind Inszenierung und Besetzung in Hamburg mal so, dass man die Oper am liebsten gleich noch einmal erleben möchte.