In Hamburg leben 274.863 unter 18-Jährige. In Neuallermöhe machen sie mehr als 25 Prozent der Bewohner aus - in Hammerbrook 7,3 Prozent.

Hammerbrook/Neuallermöhe. Mika ist sieben Monate alt. Er kennt die Büroschluchten aus dem Blickwinkel des Kinderwagens. Jeden Morgen fährt er mit seiner Mutter nach Hammerbrook. Aus dem kleinen Jungen wird dann für zehn Stunden ein City-Süd-Rabauke. So wie seine 57 Krippen- und Kita-Freunde zwischen Süderstraße und Heidenkampsweg. Dort, wo von 1896 Anwohnern nur 7,3 Prozent unter 18 Jahre alt sind. 139 Kinder und Jugendliche sind in Hammerbrook gemeldet. So wenig wie in keinem anderen Stadtteil in Hamburg.

Miley Schajan ist acht Monate alt. Sie ist viel an der frischen Luft. Jeden Tag geht sie mit ihrer Mutter spazieren. Die ist arbeitslos. Eine Ausbildung hat sie auch nicht. Aber zwei Kinder. Und sie sagt: "Mein Job ist Mutter." Mütter gibt es viele hier in Neuallermöhe, dem Stadtteil am Rande von Bergedorf. 23 539 Menschen leben dort. 5933 von ihnen sind unter 18 Jahre alt. Das sind 25,2 Prozent. So viele wie in keinem anderen Stadtteil in Hamburg.

In Hamburg leben 274 863 Kinder und Jugendliche. Ihr Anteil liegt mit 15,7 Prozent weit höher als in vielen anderen deutschen Städten. Während nach dem aktuellen Melderegister in den Stadtteilen Duvenstedt (24,8 Prozent), Billbrook (23,8), Wohldorf-Ohlstedt (21,9), Wilhelmsburg (21,2), Volksdorf (20,6), Bergstedt (20,4) und Nienstedten (20,2) überdurchschnittlich viele Kinder und Jugendliche leben, ist in den Stadtteilen Altstadt und St. Georg (je 9,5 Prozent), Barmbek-Süd, Kleiner Grasbrook (je 9,3), Barmbek-Nord (9) und Borgfelde (8,3), weniger als jeder zehnte Bewohner unter 18 Jahre alt. Am Ende der Skala steht Hammerbrook.

Ein Kind in Hammerbrook zu finden, das dort tatsächlich zu Hause ist, dort lebt, wohnt, spielt und schläft, ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Man trifft sie einfach nicht in dem Stadtteil, an dessen Straßen und Kanälen sich Bürogebäude an Bürogebäude reiht. Genauso wenig, wie es zwischen Olympus und ADAC, zwischen Europa-Center und Poseidon-Haus Spielplätze, Sportanlagen, Jugendhäuser oder Löwenzahnwiesen gibt.

Die Kinder, die am Tage den kinderarmen Stadtteil bevölkern, sind nur Tagesgäste. Kinder von sieben Wochen bis sieben Jahren, die hier, zwischen Asphalt und gläsernen Fassaden, ihren Alltag verbringen. Viele von ihnen kommen früh und gehen spät. "Die Kinder bleiben im Durchschnitt acht bis zehn Stunden hier", sagt Julia Clausen, Leiterin der City-Süd-Rabauken, einer von drei Kitas im Stadtteil. Sie kommen morgens, gemeinsam mit ihren Eltern. Und während diese ihre Arbeit in einem der umliegenden Unternehmen aufnehmen, verschwinden auch die Kleinen in den Bürohäusern. Hier haben sie die Wände bunt gestrichen, Schmetterlinge und Marienkäfer aus Pappe aufgehängt, ein Atelier mit Farben eingerichtet, einen Forscherraum und viel Platz zum Spielen. "Wir wollen den Kindern die ganze Vielfalt dieser Welt vermitteln und sie zu handlungs- und lösungsorientierten Menschen erziehen", sagt Julia Clausen. Ihre Einrichtung gehört zur Kids Castle GmbH, genauso wie die "Zipfelmützen", die nur ein paar Meter weiter im benachbarten Bürogebäude an der Friesenstraße untergebracht sind.

Damit die Kinder die Stadt kennen lernen, fahren sie mit ihren Erzieherinnen durch ganz Hamburg. Zum Flughafen, zu den Landungsbrücken, zu Hagenbeck, ins Museum, Theater und in die Bücherhalle. In Neuallermöhe waren sie noch nie.

Einen Ort in Neuallermöhe zu finden, an dem kein Kinderlachen, kein Weinen, das Trippeln kleiner Füße, das Prellen eines Fußballs, das Klingeln eines Kinderfahrrads zu hören ist, das ist alles andere als anspruchsvoll. Weil sie einfach allgegenwärtig sind, die Babys in den Kinderwagen, die Kleinen auf den Spielplätzen und die Großen auf einem der vielen Fußballplätze im Stadtteil, im Mädchentreff oder im Bootshaus an der Inline-Anlage.

"Neuallermöhe ist der ideale Wohnort für Familien", sagt Uwe Jensen. "Die Wohnungen sind bezahlbar, es gibt viel Grün, Wasser zum Spielen und wenig Verkehr." Jensen kennt den Stadtteil wie seine Westentasche. Er ist 63 Jahre alt. 1986 zog er nach Neuallermöhe, weil das zweite Kind unterwegs war. Seitdem engagiert er sich im Stadtteil, leitet das Bürgerhaus am Ebner-Eschenbach-Weg.

Im Foyer stehen Kinderwagen. Im Saal sitzen die Kleinen auf Hochstühlen. Hier wird Kindertanz angeboten, Jazzdance, Töpfern und musikalische Früherziehung. Carlotta kennt das auch alles. Die Vierjährige bildet unter Anleitung von Gesangs- und Musikpädagoge Andreas Preuß ihr Gespür für Form und Harmonie aus, kennt Klanghölzer und Triangel genauso wie die Geige. Das kleine Mädchen kommt immer gegen 8 Uhr nach Hammerbrook. Sechs Stunden verbringt sie in der Bärengruppe. Sie geht gern dorthin, sagt ihre Mutter Annette Sommer. Sie ist 43 Jahre alt, hat drei Kinder und eine Halbtagsstelle als Abteilungsleiterin bei der VTG Aktiengesellschaft. Sie hat sich entschieden, ihre Kinder mit nach Hammerbrook zu nehmen, weil sie hier "Gleichgesinnte" finden. Kinder, die aus einem guten Elternhaus kommen. "Wir haben hier fast ausschließlich Kinder aus gut situierten Verhältnissen", sagt Kita-Leiterin Julia Clausen. "Mittelstand und darüber." Viele Kinder hätten einen Migrationshintergrund. Was positiv zu verstehen sei, so Clausen. Es sind Kinder, deren Eltern aus Italien, Frankreich, den USA kommen. Und die von Unternehmen als qualifizierte Arbeitskräfte nach Hamburg geholt worden sind, und die auch nach der Geburt eines Kindes möglichst schnell wieder in den Job einsteigen wollen.

Walters Eltern kommen aus Russland. Auch er hat einen Migrationshintergrund. Seine Mutter ist Krankenpflegerin. Der Vater fährt Bus. Walter ist zehn Jahre alt, er geht in die vierte Klasse der Anton-Rée-Schule in Neuallermöhe. Walter ist ein selbstbewusster Typ, einer, der Freunde hat und Ideen. Nach der Schule trifft er sich mit seinen "Kollegen" beim pädagogischen Mittagstisch in der Marta-Damkowski-Kehre. Dort bekommen Kinder von sechs bis 14 Jahren eine liebevolle und verlässliche Betreuung nach der Schule. Sie kochen und backen, tanzen und musizieren. Und sie spielen draußen, auf dem riesigen Gelände, das vom Spielplatz in grüne Wiesen übergeht. Manchmal suchen sich die Jungs ein paar Stöcke und kämpfen zum Spaß. Wenn um 16 Uhr Schluss ist, gehen die meisten allein nach Hause. Die Eltern trauen ihren Kindern den Weg zu, weil es im Stadtteil fast ausschließlich Tempo-30- und Fußgängerzonen gibt.

Fenna, Louis, Isabel, Carla und Finn wissen, dass sie nur Hand in Hand und in Begleitung rausgehen dürfen. Wenn sie mit den "Zipfelmützen" auf den Spielplatz wollen, müssen die Kita-Kinder den Heidenkampsweg überqueren. Sechs Spuren sind das. Dahinter versteckt liegt der Oskar-Keßlau-Sportplatz, den die "Zipfelmützen" und "City Süd Rabauken" als Außenfläche nutzen dürfen. Hier finden die Kinder Stöcke zum Spielen, Sand zum Buddeln, Rutschen und Freiraum. Mittag wird in der Kita gegessen. Und am Nachmittag wird gespielt, gebastelt, musiziert und vorgelesen.

Bücher, Geschichten, Märchen sind vielen Kindern in Neuallermöhe fremd. "Weil hier in vielen Familien nicht mehr vorgelesen wird", sagt Ulla Moser. "Kinder aber brauchen Geschichten. Weil diese die Fantasie anregen." Also erzählt Ulla für alle. Jeden Nachmittag kommt sie mit ihren Kollegen in die "Spielscheune der Geschichten" im Westen des Stadtteils, schlüpft in ihr blaues Samtgewand und nimmt auf dem goldenen Thron Platz. Dann erzählt sie den Kindern aus dem Stadtteil von Abenteuern aus "Tausendundeiner Nacht", von Träumen, die wahr werden. Sibyll Petermann hat so einen Traum. Die Vision von Hammerbrook als einem lebendigen Stadtteil, in dem nicht nur gearbeitet, sondern auch gewohnt, gefeiert, gelebt wird. Seit 1996 engagiert sich die Sprecherin der Interessen-Gemeinschaft (IG) City Süd für den Stadtteil. Sie hat einen Wochenmarkt ins Leben gerufen, Netzwerke geknüpft und Menschen im Quartier zusammengebracht. "Wir haben eine Menge erreicht", sagt sie. "Und jetzt geht es auch beim Wohnen richtig los." 350 neue Wohnungen sollen auf dem Grundstück am Sonninkanal entstehen. Außerdem ist geplant, dass von Ende des Jahres an am Mittelkanal Hausboote anlegen. 180 Studenten sollen in der neuen Wohnanlage an der Hammerbrookstraße eine Bleibe finden. Im August zieht die Phorms-Schule in den Stadtteil, eine bilinguale Privatschule mit Kita- und Hort-Betreuung. Und auch die St.-Katharinen-Kirche hat den Stadtteil für sich entdeckt. Gemeinsam mit der IG City Süd will sie das Projekt "Bei Anna" verwirklichen. "In dem Haus wird es einen Raum der Stille geben, Veranstaltungen, Foren sowie einen Ansprechpartner für alle Sorgen des Alltags", sagt Frank Engelbrecht. Er ist Pastor. Und er glaubt, dass in Hammerbrook vieles möglich ist.

Auch Andreas Kalkowski ist Pastor. 13 Jahre war er in der Gemeinde Bergedorfer Marschen tätig. Der 47-Jährige hat den damals aus dem Boden gestampften Stadtteil Neuallermöhe-West maßgeblich mitgestaltet. Er hat immer daran geglaubt, dass hier Menschen aus den verschiedensten Nationen friedlich miteinander leben können. Und dass man viel erreichen kann, wenn man gemeinsam anpackt. Über Neuallermöhe, dem jüngsten Stadtteil Hamburgs, dem Ort, an dem die Mieten bei 7,30 Euro pro Quadratmeter liegen, an dem es zwei Badeseen, neun große Kinderspielplätze, vier Grünanlagen, zwölf Kitas und fünf Schulen gibt, sagt er: "Dies ist ein Paradies für Kinder."

In zehn, vielleicht auch 20 Jahren, glaubt Pastor Frank Engelbrecht, wird auch Hammerbrook ein Ort sein, an dem es sich zu wohnen lohnt. Wenn er über den Stadtteil und sein Potenzial redet, fällt ihm das Gleichnis vom Senfkorn ein: "Es ist das kleinste von allen Samenkörnern. Sobald es aber hochgewachsen ist, ist es größer als die anderen Gewächse und wird zu einem Baum, sodass die Vögel des Himmels kommen und in seinen Zweigen nisten." Engelbrecht sagt: "Der Samenkorn muss nur auf fruchtbaren Boden fallen."