Wegen viel zu hoher Stickoxid-Werte hat Brüssel ein Verfahren eingeleitet. Schlimmstenfalls droht Hamburg eine Millionenstrafe.

Hamburg. Hamburg drohen Strafen in Millionenhöhe, weil die Stadt die EU-Richtlinien zur Luftreinheit nicht einhält. Wie das Abendblatt aus der Generaldirektion Umwelt in Brüssel erfuhr, hat die Europäische Kommission bereits ein sogenanntes Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet.

In Hamburg - europäische Umwelthauptstadt 2011 - liegen die Messwerte für Stickstoffdioxid weit über den Grenzwerten der EU - und dies schon seit Jahren. Nach dem Schiffsverkehr ist der Autoverkehr Hauptverursacher für Stickstoffdioxid. Da Luftreinheit Ländersache ist, werden fällige Strafgebühren an die Verursacherländer weitergegeben. Neben Hamburg sind auch Baden-Württemberg, Bayern und Nordrhein-Westfahlen betroffen.

"Dass ausgerechnet der Umwelthauptstadt Hamburg ein solches Verfahren bevorsteht, ist mehr als peinlich", sagte GAL-Fraktionschef Jens Kerstan. Dies zeige, wie "kurzsichtig die umweltpolitischen Entscheidungen" des SPD-Senates seien. So habe die grüne Umweltsenatorin Anja Hajduk "zumindest an konkreten Maßnahmen wie Stadtbahn, Umweltzone und Parkraumbewirtschaftung gearbeitet", um der EU-Richtlinie gerecht zu werden. "Durch Streichen dieser Maßnahmen hat der Bürgermeister Hamburg in eine Sackgasse manövriert", so Kerstan.

Offiziell wollte sich die Europäische Kommission zum genauen Stand des Verfahrens noch nicht äußern. Claudia Guske, Pressereferentin der Europäischen Kommission in Deutschland, verwies aber darauf, dass die EU Deutschland bereits im vergangenen Jahr zur Einhaltung der Luftqualitätsnormen aufgefordert habe - die erste Stufe des dreistufigen Vertragsverletzungsverfahrens (siehe unten).

Wie das Abendblatt erfuhr, zieht die EU nun die Daumenschrauben an und setzt das Verfahren mit einer Fristsetzung fort. Wenn die Kommission von den betreffenden Mitgliedstaaten darauf keine "zufriedenstellende Antwort" erhält, kann sie beschließen, die Fälle an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) zu verweisen. Der entscheidet über die Höhe von Strafzahlungen.

Genau diese zufriedenstellende Antwort kann Deutschland für den Ballungsraum Hamburg aber nicht liefern. Denn die Hansestadt kann keinen wirksamen Maßnahmenkatalog vorlegen, wie sie die Grenzwerte künftig einhalten will. In Hamburg liegen die Stickstoffdioxidwerte bei zum Teil rund 80 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft. Der Grenzwert der EU liegt bei 40 Mikrogramm. Auch kann Hamburg keine Fristverlängerung bei der EU beantragen. Der Grenzwert dafür liegt bei 60 Mikrogramm - auch dieser Wert wird gegenwärtig an drei von vier Messstationen überschritten. Selbst die Umweltbehörde (BSU) hält eine Fristverlängerung für "unwahrscheinlich".

BSU-Sprecher Volker Dumann sagte dem Abendblatt: "Die Umwelt- und die Wirtschaftsbehörde wollen gemeinsam einen Masterplan erarbeiten, mit Maßnahmen, die in der Wirkung der Umweltzone entsprechen." Welche Maßnahmen das sein könnten, wisse allerdings bisher niemand.

Würde es solche Vorschläge geben, könnte die EU dies "zugunsten Hamburgs" werten und das Verfahren einige Zeit ruhen lassen. Ohne wirksame Maßnahmen sei die EU dazu wenig geneigt, hieß es.

Genau diese Tatsache könnte Hamburg teuer zu stehen kommen. Denn die Höhe der Strafzahlungen richtet sich nach dem Bruttosozialprodukt der Länder. Zum Vergleich: Beim Verstoß gegen das Europäische Naturschutzrecht hat der EuGH eine Summe von 790 000 Euro pro Tag festgesetzt. Das wären 288 Millionen Euro pro Jahr, die Deutschland an die EU zahlen muss.

Der Hamburger Naturschutzbund BUND mahnt seit Jahren ein Programm zur Luftreinheit an. BUND-Chef Manfred Braasch: "Europa hat Vorgaben für Luftschadstoffe gemacht, um die Gesundheit der Bürger zu schützen. Mit der Beerdigung wichtiger Instrumente wie Umweltzone, City-Maut oder Stadtbahn ist Olaf Scholz in eine offene Konfrontation mit der Europäischen Luftreinhaltepolitik gegangen."