Die DLRG prangert “dramatischen Zustand“ in Problemvierteln an. Insgesamt 43 Prozent der Viertklässler können nicht schwimmen.

Hamburg. Fast jeder zweite Viertklässler in Hamburg kann nicht schwimmen. Besonders dramatisch ist die Nichtschwimmerquote in sogenannten Brennpunkten. "In sozial schwachen Stadtteilen kann sich häufig nur weniger als fünf Prozent der etwa Zehnjährigen über Wasser halten", sagte Heiko Mählmann, Präsident der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG), zur DLRG-Bilanz in Hamburg. "Für eine Stadt am Wasser ist das ein dramatischer Zustand." Insgesamt können 43 Prozent der Viertklässler nicht schwimmen.

"Es besteht eindeutig ein Zusammenhang zwischen der sozialräumlichen Umgebung und der Schwimmkompetenz der Kinder", sagt Mählmann. Das bedeutet: In Stadtteilen wie Volksdorf oder Blankenese könnten bis zu 100 Prozent der Schüler schwimmen, in sozial benachteiligten Gegenden wie Wilhelmsburg oder Billstedt sei dagegen nur eine Minderheit dazu in der Lage. "Das muss sich dringend ändern", sagt Mählmann. Neben "Schwimm-Lern-Camps" im Rahmen von Projektwochen in Schulen plädiert er für die Einführung von Nachhilfeunterricht. "Das würde die DLRG sofort unterstützen, sofern uns entsprechende Wasserzeiten in den Bädern zur Verfügung gestellt werden." Das Schulschwimmen allein reiche nicht aus. "Zudem wird der Schwimmunterricht in der Schule viel zu spät angeboten", sagt Mählmann. Die DLRG favorisiere, dass Kinder bereits im Alter von fünf oder sechs Jahren schwimmen lernen.

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Auch der 43-jährigen Frauke Decker ist es wichtig, dass ihre Tochter Emilie bereits vor der Einschulung das Schwimmen beherrscht. Deshalb besucht die Sechsjährige bereits ihren dritten privaten Schwimmkursus. "Wir wollen nicht, dass unser Kind im Urlaub ertrinkt", sagt die Mutter, während Emilie in der Schwimmschule Fiedler in Eppendorf im Wasser planscht. Dass der Schwimmunterricht in der Schule erst in der dritten Klasse starte, hält Mutter Decker für "viel zu spät". Tina Christophersen, eine andere Mutter am Beckenrand, bestätigt: Ihre Kinder hätten schon im Kindergartenalter mit dem Schwimmen angefangen. "An der Schule meiner Kinder gibt es insgesamt nur sehr wenige Nichtschwimmer." "Das liegt aber vor allem daran, dass die meisten Kinder vorher private Kurse besucht haben." Und das hänge allein vom Willen der Eltern ab.

In Hamburg wird der im Lehrplan festgeschriebene Schwimmunterricht seit 2006 nicht mehr von den Schulen, sondern von der Bäderland Hamburg GmbH organisiert. "Die Schüler haben in dritten oder vierten Klasse und in der sechsten Klasse Schwimmunterricht", sagt Peter Albrecht, Sprecher der Schulbehörde. Dieser Unterricht sei ausreichend, um den Kindern das Schwimmen beizubringen. "Ziel ist es, dass die Kinder in der Grundschule das Schwimmen gelernt haben. Das schaffen im Durchschnitt 90 Prozent der Schüler." Dass die Behörde andere Zahlen angibt als die DLRG, liege daran, dass die Schwimmfähigkeit unterschiedlich definiert werde. "Die DLRG hat die Messlatte höher gelegt."

Der Hamburger Sportbund ist jedoch auch der Meinung, dass das Schulschwimmen allein nicht ausreicht. "Das zeigt schon die große Nachfrage bei den Kursen in den Lehrschwimmbecken", sagt Bernhard Kössler vom Referat Sportinfrastruktur beim Hamburger Sportbund. Seit Anfang des Jahres sind wieder sieben der acht Hamburger Lehrschwimmbecken im vollen Umfang in Betrieb genommen worden. Eine Reihe Hamburger Sportvereine und gemeinnütziger Vereine führen die ehemals städtischen Bäder, die vergangenes Jahr für 3,35 Millionen Euro saniert wurden, in Eigenregie.

"Wir hatten innerhalb kürzester Zeit eine Vollauslastung", sagt Kössler. Schwimmkurse für Kinder und Angebote wie frühkindliche Wassergewöhnung sind beliebt, die Kursplätze schnell belegt. "Im Lehrschwimmbecken Paul-Sorge-Straße in Eimsbüttel wird bereits eine Warteliste geführt." Auch die Eltern, die ihr Kind bei einem DLRG-Schwimmkursus anmelden möchten, müssen Geduld haben: Die Wartezeiten liegen im Durchschnitt bei einem Jahr.

"Umso wichtiger ist es, die Schließungen von Bädern zu verhindern", sagt Bernhard Kössler. Er fordert: "Die Wasserflächen in Hamburg müssen erhalten bleiben, damit Eltern die Bäder mit ihrem Nachwuchs kostengünstig nutzen können."