Rudolf Hickel, 69, ist Direktor des Instituts für Arbeit und Wirtschaft (IAW) in Bremen

Hamburger Abendblatt:

1. Deutschland nimmt bei der Steuer- und Abgabenlast unter Industrieländern einen Spitzenplatz ein. Ist diese hohe Besteuerung des Faktors Arbeit vernünftig?

Prof. Dr. Rudolf Hickel:

Für Durchschnittsverdiener ist diese Belastung viel zu hoch. Sie wird vor allem durch zu hohe Einkommenssteuern angetrieben. Deutschland macht den großen Fehler, die Arbeitseinkommen zu stark zu besteuern, während Vermögende verschont werden. Besitz und Vermögen werden im internationalen Vergleich von der Bundesrepublik viel zu gering belastet. Die Steuerlastverteilung ist in Deutschland ungerecht.

2. Besonders Geringverdiener und Alleinerziehende werden zur Kasse gebeten. Ist das richtig?

Hickel:

Natürlich nicht. Das Problem sind die Steuersätze, die geringere Einkommen vergleichsweise stärker belasten als Spitzenverdiener. Zudem haben Geringverdiener praktisch keine Möglichkeiten, ihr zu versteuerndes Einkommen durch Sonderausgaben zu reduzieren, während Besserverdienende zahlreiche Steuervergünstigungen nutzen können.

3. Inwieweit belastet die hohe Besteuerung der Einkommen den wirtschaftlichen Aufschwung?

Hickel:

Je weniger die Menschen netto ausgezahlt bekommen, desto geringer ist ihre Kaufkraft. Eine hohe Steuerlast wirkt somit als Konjunkturdämpfer, da sie den privaten Konsum bremst. Hinzu kommt, dass von vielen Lohnerhöhungen in den unteren Gehaltsklassen kaum etwas übrig bleibt, da das Lohnplus durch die Inflation sowie durch den Wechsel in eine höhere Steuerklasse aufgefressen wird.

4. Was muss unternommen werden, damit die Bürger mehr Geld in der Tasche haben?

Hickel:

Wir brauchen einen "Tarif auf Rädern". Wenn Löhne lediglich in der Höhe der Inflation steigen, dürfen sie auch nicht höher besteuert werden. Dazu brauchen wir eine grundlegende Steuerreform. Die heimliche Progression muss abgebaut werden. Der Spitzensteuersatz sollte erhöht werden, gleichsam sollte er aber nicht wie heute bereits ab 55 000 Euro Jahreseinkommen erhoben werden, sondern erst ab 70 000 Euro. Damit könnte auch der schnelle Anstieg der Belastung in den unteren Steuerklassen sinken.

5. Besteht durch die hohe Steuerlast auch die Gefahr, dass Schwarzarbeit zunimmt?

Hickel:

Eindeutig. Sowohl die hohe Lohnsteuer als auch die hohe Mehrwertsteuer treiben immer mehr Menschen in die Schwarzarbeit. Viele sehen sich gezwungen, neben ihrem Hauptjob etwas schwarz dazuzuverdienen. Die deutsche Steuerpolitik ist eine einzige Fehlentwicklung.