Bei der WM 1986 legte sich der HSV-Torwart mit Teamchef Beckenbauer an. Für seine Nationalmannschaftskarriere war es das Ende

Sein Rückflugticket von Mexiko nach Deutschland liegt schon auf dem Tisch im Hotelzimmer, als Berti Vogts, Co-Trainer der deutschen Nationalmannschaft, am Morgen des 21. Juni 1986 an die Tür klopft: "Los, raus, wir trainieren." Uli Stein versteht nicht, fügt sich aber: "Okay, trainieren wir." Am Nachmittag fliegt der Torwart dann nach Hause. Die deutsche Nationalelf hat der Ausnahmetorwart danach nie wieder von innen gesehen.

18 Jahre später. Vogts, inzwischen Nationaltrainer von Kuwait, braucht für einen Lehrgang einen Torwarttrainer und fragt Assistent Wolfgang Rolff nach einem geeigneten Kandidaten. Als der Name Uli Stein fällt, fällt Vogts die Kinnlade herunter. Doch er lädt ihn ein, und nach einigen Tagen stellt Vogts fest: "Der ist ja gar nicht so verkehrt."

Heute arbeiten Stein und Vogts für die Nationalmannschaft von Aserbaidschan und haben gerade bis 2012 verlängert. Vogts vertraut seinem Assistenten blind, schickt ihn zu Spielbeobachtungen, analysiert mit ihm die Leistungsstärke der Fußballer. "Ob Jordanien, Abu Dhabi, Bahrain, ich lerne die ganze Welt kennen", schwärmt der 55-Jährige. "Ich arbeite ein Drittel des Jahres und bin zwei drittel zu Hause, verdiene aber das gleiche Geld wie als Torwarttrainer in Deutschland."

Wer nach der WM 1986 auf diese Partnerschaft gewettet hätte, wäre ausgelacht worden. Stein hatte Franz Beckenbauer, den damaligen Teamchef, beim Mittagessen im mexikanischen Quartier im Kollegenkreis als "Suppenkasper" bezeichnet. Was durchaus lustig war, da der "Kaiser" in jungen Jahren mal ziemlich hölzern für Fertigsuppen warb, aber seinen ganzen Frust darüber ausdrückte, dass Toni Schumacher und nicht er im DFB-Tor stand. Nachdem seine Bemerkung von einem Kollegen (im Verdacht stand ein als fränkisch-redselig bekannter Bayern-Spieler) weitergetragen worden war, suspendierte ihn der Verband, obwohl Beckenbauer die Sache recht locker nahm, und schickte ihn nach Hause. Ein Riesenskandal, der Steins Karriere beim DFB nach nur sechs Länderspielen beendete.

"Ich würde es wieder so machen", sagt Stein rückblickend. "Nur, mit dem Wissen von heute hätte in dem Moment, als wir in den Flieger gestiegen sind, feststehen müssen, wer die Nummer eins ist. Dann hätte ich sagen können: Okay, ich akzeptiere die Rolle, oder ich bleibe zu Hause." Stattdessen erfuhr er es einen Tag vor dem ersten Spiel.

"Beckenbauer sagte: 'Uli, ich weiß, du bist der beste Torwart der Welt'"

"Ich war damals fast 32, keiner konnte ahnen, dass ich noch bis 42 spiele. Worauf sollte ich warten? Entweder, du stellst jetzt deine Ansprüche, weil du der Bessere bist, oder du stellst sie nie wieder." Vor Zeugen habe Beckenbauer ihm damals vor dem ersten Spiel gesagt: Uli, ich weiß, du bist der beste Torwart der Welt, aber hier kannst du nicht spielen. "Dieser Satz war die Höchststrafe."

Stein glaubt, dass Ränkespiele den Ausschlag gaben. So habe er keinen Werbevertrag mit Sponsor Adidas gehabt, Schumacher schon. Und als dessen Berater Rüdiger Schmitz im Quartier aufkreuzte und Journalisten bearbeitete, kippte seiner Meinung nach auch die anfangs positive öffentliche Meinung gegen ihn. "Mir wurden Sachen angehängt, mit denen ich nichts zu tun hatte. Matthias Herget, ebenfalls Reservist, meinte auf dem Weg in die Kabine nach dem Uruguay-Spiel: Gegen die Gurkentruppe hätte ich auch spielen können. Später stand in der Zeitung, ich hätte das gesagt. Ein anderes Mal bin ich nachts vom Barhocker gefallen. Dabei gab es da gar keine Hocker."

Doch die Tür zum DFB blieb zu. Vor der WM 1990, Stein war 35 Jahre alt und stand für Frankfurt im Tor, plante Beckenbauer eine Rückholaktion: "Er rief an, meinte: 'Ich brauche die Besten, mit Köpke und Illgner kann ich keine WM spielen.' Nach seinem Urlaub wollte er sich wieder melden. Auf diesen Anruf warte ich bis heute." Wie in Mexiko soll DFB-Präsident Hermann Neuberger gegen Stein gestimmt haben.

Bis heute hat er einen Stempel auf der Stirn: Vorsicht, unbeherrschter, ungeduldiger, unkontrollierbarer Mensch. Auch weil er einmal Uwe Wegmann ins Gesicht schlug. Dabei trieb Stein vor allem der Ehrgeiz. Mittelmaß war ihm zuwider. Wie er als Trainer heute mit einem Spieler wie Stein von damals umgehen würde? "Das kommt auf den Stellenwert in der Mannschaft an. Ob er Dinge anspricht, die unbequem sind, aber im Interesse der Mannschaft sind und dem Erfolg dienen sollen, nicht dazu, seine eigene Haut zu retten. Dann gewinnt dir so ein Typ auch auf dem Platz Spiele."

Um beim HSV zu spielen, verzichtete Stein sogar auf Geld

Noch heute bricht bei jedem Anpfiff der innere Vulkan aus. "Dann bin ich ein anderer Mensch, ich rege mich über den Schiedsrichter auf, schimpfe. Aber das gehört für mich dazu. Leider haben wir im Fußball nicht mehr viele solcher Typen, die mit Emotionen dabei sind, die sich für den Verein aufopfern. Man hat das Gefühl, da spielen Söldner. Die fehlende Identifikation ist das Hauptproblem." Er selbst hat auf Geld verzichtet, um beim HSV spielen zu können. "Ich hatte bei Bielefeld in der Zweiten Liga mehr verdient als in Hamburg in der Ersten Liga, aber ich bin hier geboren und wollte mir meinen Traum erfüllen, einmal für den HSV zu spielen."

Der Weg dorthin war typisch Stein. 1974 sprang Verbandsligaklub FC Wunstorf als Testspielgegner in Barsinghausen für die Niedersachsen-Auswahl ein. Wunstorf führte sensationell zur Halbzeit 1:0. In der Kabine sagte der Trainer zu Stein: "Du gehst raus, alle sind begeistert von dir. Wenn wir körperlich einbrechen, kriegst du die Hütte voll, und der ganze gute Eindruck ist weg." Stein entgegnete: "Ist mir egal. Entweder ich kann's oder nicht, sonst habe ich es nicht verdient."

Wunstorf gewann 2:1, Stein wurde in die Auswahl eingeladen. Als der Stammtorwart schwach hielt, packte Stein seine Sachen und sagte dem Trainer: "Lade mich nie wieder ein, hinter dem Blinden setze ich mich nicht auf die Bank. Was der kann, kann ich schon lange." Da war er 19. Der verblüffte Trainer gab ihm eine Chance, sein Team gewann den Länderpokal, und Stein hatte bald aus der ganzen Bundesliga Angebote. "Ich war immer überzeugt von meiner Leistung und habe das auch zum Ausdruck gebracht. Das brachte mir zwar oft Ärger ein, hat aber auch dazu beigetragen, dass ich so eine Karriere hinlegen konnte. Sonst wäre ich vielleicht nie entdeckt worden."

Stein musste lernen, dass abseits des Rasens viele Fallen lauerten

Denn eins würde sich Stein niemals vorwerfen lassen: Hinterhältigkeit. "Das Schlimmste ist, wenn dir die Leute ins Gesicht grinsen und hinter deinem Rücken dummes Zeug erzählen. Dann kannst du dich nicht wehren." Denn Stein zieht gern selbst die Konsequenzen. Wie 2001, als er als Trainer des TuS Celle hinwarf. "Der Manager ließ einen 19-jährigen begabten Türken gegen die Absprache in der Geschäftsstelle sitzen, fuhr lieber in den Angelurlaub."

Er musste lernen, dass abseits des Rasens viele Fallen lauerten, wie eine Spielervermittlung, die "mich sehr viel Lehrgeld zahlen ließ". Heute ist Stein im Reinen mit sich. Als aktiver Fußballer hat er erst mit 42 aufgehört. "1997 hatte ich noch ein Angebot von Nürnberg in der Zweiten Liga. Ich wollte nach Einsätzen bezahlt werden, aber der Klub bot geringere Prämien bei Unentschieden oder Niederlage an. Rückblickend hätte ich es aber machen sollen. Nürnberg stieg mit Felix Magath als Trainer auf, und ich hätte noch ein, zwei Jahre spielen können."

Für seinen Körper war es vielleicht besser so. Ein Knie läuft "nur noch auf der Felge" (Stein), ein künstliches Gelenk ist in Sicht, was ihn bei seiner liebsten Freizeitbeschäftigung mit Ehefrau Conny, dem Golfsport, behindert. Dabei hat Stein eine Wandlung an sich festgestellt: "Früher hätte ich mir den Schläger dreimal um die Beine gewickelt, wenn ich den Ball in die Büsche gehauen hätte. Aber ich kann mich überhaupt nicht ärgern, sondern schaue mir dann die Landschaft an und denke: Was für ein Privileg, auf diesem schönen Platz sein zu dürfen." Genießen und loslassen zu können, diese Seite an Stein ist genauso erstaunlich wie die Freundschaft mit Vogts. Ein Individualist wie er lässt sich eben in keine Schublade stecken.

Lesen Sie am Montag: Otto Addo erlebt im Sommer 2006 ein anderes Deutschland als in seinen Hamburger Kindertagen. Die Menschen jubeln ihm und seinen ghanaischen Mitspielern zu Tausenden zu. Ghana stellt bei der Weltmeisterschaft die jüngste Mannschaft. Trotzdem erreicht sie das Achtelfinale und scheitert erst am Weltmeister Brasilien.