Bei Tesa im Hamburger Süden laufen die Maschinen wieder auf Hochtouren. Und neue Mitarbeiter werden auch gesucht.

Hamburg. Schuhe ausziehen. Mit normaler Fußbekleidung wird man hier nichts. Raus aus den Mokassins, rein in klobiges Schuhwerk mit Metallkappe. Danach Handy und Blitzgerät für den Fotoapparat abgeben. Ein paar Schritte zum Werksgebäude gehen, dann vor einer schwarzen Linie einen Beutel über die Sicherheitsschuhe ziehen. Erst der rechte Fuß, der danach hinter der Linie aufsetzen muss. Dann der linke Fuß. Schnell noch Hände waschen und desinfizieren. Danach der nächste Raum, eine ähnliche Prozedur, ein weiterer Schuhschutz samt Handreinigung und diesmal auch ein Schutzanzug nebst Haube.

Staub ist gefürchtet im Reinraum, dem Herz des Hamburger Tesa-Werks. Etwa 100 je 250 Euro teure Luftfilter sorgen dafür, dass kein Körnchen fliegt. "Unsere Luft ist 1000-mal reiner als Gebirgsluft", sagt Teamleiter Philippe Hesse. Journalisten sind nur selten willkommen. Für das Abendblatt machte Tesa eine Ausnahme. In der Anlage südlich der Elbe tüftelt das Hamburger Unternehmen an neuen Techniken. Weitere Fabriken gibt es in Offenburg, den USA, Italien, China, Singapur und seit Kurzem in Indien.

Im Werk in Hamburg-Hausbruch werden unter anderem Klebefolien entwickelt und hergestellt, die Schrauben in Handys, Fernsehern, PCs und anderen Hightechgeräten ersetzen. Sie sind manchmal millimeterdünn oder dicker und sehen dann aus wie Schaumstoff. Zum Beispiel für Handyakkus. Das Klebeband soll einen Aufprall dämmen, wenn ein Handy versehentlich auf die Erde fällt - und so erreichen, dass der Akku nicht herausspringt. Für LCD-Displays gibt es sogar Klebebänder, die das Licht besser verteilen und so dazu beitragen, dass die Batterie länger hält.

Und sie halten extrem hohe oder auch besonders niedrige Temperaturen aus, wie Tesa-Werksleiter Rüdiger Pomaska sagt. Seit zehn Jahren steht er bereits der Fabrik vor, hat seitdem Höhen und Tiefen erlebt. Zum Beispiel im Jahr 2001, als der Nivea-Hersteller Beiersdorf seinen Klebstoffbereich in die Freiheit entließ. Tesa wurde ein Tochterunternehmen und so unabhängiger vom Beiersdorf-Management. Mitte der 90er-Jahre stand die Firma vor Problemen. Zu wenige Spezialprodukte, zu viele Massenartikel in zu vielen Varianten. Die Kosten stiegen, die Erträge sanken.

Mit der Eigenständigkeit baute Tesa sein technisch anspruchsvolles Geschäft mit Industriekunden aus, Klebefolien für die Papier- und Druckindustrie, die Autobranche oder auch die Elektronikindustrie. Pomaska konnte zusehen, wie sich Jahr für Jahr das Ergebnis verbesserte. Bei Produkten für die Druckbranche sind die Hamburger Weltmarktführer. Heute macht das Unternehmen 22 Prozent seines Geschäfts im Privatkundenbereich, die Tesa-Rolle trägt nur noch mit zwei Prozent zum weltweiten Umsatz bei.

Doch die eigentlich richtige Strategie, mit Innovationen an Aufträge aus der Industrie zu kommen, wurde im Krisenjahr 2009 zur Achillesferse. Der Umsatz brach um 13,1 Prozent auf 747,1 Millionen Euro ein, und der Gewinn sogar um 64 Prozent auf 19,2 Millionen Euro. Am zurückhaltendsten war die Autobranche. Tesa bietet nicht nur Folien, die Neuwagen beim Transport schützen. "Hätten Sie gedacht, dass Türschutzleisten für Autos als verschiedenfarbige Klebebänder von uns zugeliefert werden?", fragt Pomaska.

Der Krise begegnete Tesa (weltweit rund 3700 Mitarbeiter) im Hamburger Werk mit Kurzarbeit von März bis November 2009. Fast alle 380 Mitarbeiter, die 235 gewerblichen Arbeitnehmer und die 145 Angestellten, arbeiteten nur noch vier Tage in der Woche. Die Beschäftigten hatten so netto knapp zehn Prozent weniger Gehalt - und mussten zudem auf Schichtzuschläge verzichten, wenn sie nicht gebraucht wurden. Heute arbeitet der Betrieb wieder in bis zu drei Schichten an bis zu sieben Tagen.

"Wir waren schon zu Beginn der Krise gut auf eine Flexibilisierung der Arbeitszeiten eingestellt", sagt Pomaska. Schon vor knapp drei Jahren hat er mit Betriebsratschef Thomas Wulff das Modell Tesaflex vereinbart. Es erlaubt, Arbeitszyklen kurzfristig zu ändern. Früher dauerte die Genehmigung einer Sonderschicht Wochen, heute rund drei Tage. "Alle Beschäftigten zogen während der Kurzarbeit mit", so Wulff. "Wir konnten so Entlassungen vermeiden." Diese Aussage ist ihm wichtig.

Die 20 Mitarbeiter im Reinraum machten trotz der Krise Überstunden. Schließlich musste die Arbeit zum Aufbau der neuen Anlage weiterlaufen. "Aus Solidarität mit den anderen Kollegen haben wir aber auf unsere Schichtzulage verzichtet", sagt Technologieentwickler Robert Höppner. Das Wort Solidarität ist kennzeichnend für das Betriebsklima. Viele Mitarbeiter sind über 20 Jahre in dem Unternehmen, man ist stolz, ein Tesaner zu sein.

Der Klebebandhersteller hat die Treue belohnt - und weiter investiert. Rund 100 Millionen Euro waren es im Gesamtkonzern in den vergangenen drei Jahren, darunter in Hamburg 18 Millionen für die Reinraumanlage und 40 Millionen für eine neue Technologie zur Herstellung lösemittelfreier doppelseitiger Klebebänder. Auch die Mitarbeiterzahl im Reinraum wurde 2009 trotz der Krise auf 20 verdoppelt. In diesem und im kommenden Jahr soll es weitere Einstellungen in dem Hightechbereich geben. Gesucht werden bis zu 15 Technologieentwickler und Prozessingenieure, unter anderem mit Erfahrung in der Pharmaherstellung.

Fotos sind im Reinraum nicht überall erlaubt. Denn Geräte, Grafiken auf PC-Bildschirmen und sonstige Gegenstände, mit denen der Laie nichts anfangen kann, sind für die Wettbewerber interessant. Der Kampf um die besten, optisch reinen Klebefolien ist in vollem Gange, denn das weltweite Umsatzvolumen wird sich bis 2015 auf mehr als 100 Millionen Euro verdoppeln.

In der Reinraumanlage arbeiten Teamleiter Hesse und seine Mitarbeiter auch an Pflastern, mit denen Medikamente, die in der Klebemasse vorhanden sind, durch die Haut aufgenommen werden. Das Know-how kommt von der Langenfelder Firma Labtec, die Tesa im Frühjahr 2008 kaufte. Die Wirkstoffe werden von Pharmakonzernen geliefert, in deren Auftrag Tesa arbeitet. Die Kunst ist, die Medizin so präzise mit der Klebemasse zu mischen und auf die Trägerfolie aufzutragen, dass jedes Pflaster die gleiche, genau dosierte Wirkstoffmenge in die Blutbahn abgibt. Testprodukte sind bereits auf dem Markt, doch der Produktionsstart wird erst 2011 erfolgen. Anders als bei Klebebändern gelten bei den Medizinstreifen die strengen Bedingungen der Pharmaindustrie. Das bedeutet viele Tests und eine umfangreiche Dokumentation.

Verabreichungsformen, bei denen Medikamente über die Haut oder die Zunge aufgenommen werden können, soll es vor allem gegen Schmerzen und Krankheiten des zentralen Nervensystems wie Alzheimer oder Parkinson geben. "Die Patienten müssen nicht mehr Pillen schlucken oder Spritzen ertragen", sagt Doris Robben, die Leiterin der Herstellung von Pharmaprodukten.

Die Reinraumtechnik ist zwar derzeit der spektakulärste Bereich auf dem 20 000 Quadratmeter großen Tesa-Gelände in Hausbruch, aber von der Fläche her einer der kleineren. Randa Larbi wacht in einer anderen, viel größeren Produktionshalle über eine Maschine, in der Folien beidseitig mit Klebstoff beschichtet werden. "Ich freue mich, dass wir wieder mehr Aufträge haben", sagt die Maschinenführerin, die seit 15 Jahren bei Tesa arbeitet. Die letzte Maschine wurde 2009 angeschafft. "Sie kann Bänder in einer Breite von bis 1400 Millimeter beschichten", sagt Pomaska. Während diese beklebt werden, saugt ein Ventil sämtliche Lösungsmittel ab. 120 verschiedene Klebemassevarianten - dick, dünn, leicht, festklebend, für Plastik oder Metall - hat Tesa im Angebot.

Frisch "gebadet", wandern die Folien in die Trocknung. Riesige Maschinen winden sich in S-Form mehr als zehn Meter durch den Raum. "So können wir bis zu 1,6 Kilometer am Stück trocknen", sagt Pomaska und eilt zur Konfektionierung. Hinter diesem Begriff verbergen sich das Zurechtschneiden der Folien und der Versand.

Pomaska führt in Richtung Ausgang. Allerdings vergisst er dabei nicht, auf die nächste Innovation der Hamburger hinzuweisen. Tesa arbeitet an extrem klebefesten und wetterbeständigen Produkten, mit denen sich im Freien auch große Gegenstände ohne Schrauben oder Nägel befestigen lassen. "Unter anderem können diese Produkte für die Montage von Fassadenbekleidungen an Gebäuden eingesetzt werden", sagt der Werkschef. Noch vor dem Herbst soll die Technik marktreif sein. Zu sehen gibt es allerdings noch nichts - nur Klebstoff.