Was Karstadt für einen Stadtteil bedeutet, zeigt ein Besuch im Herzen Harburgs. Geschäfte in der Nachbarschaft fürchten die Schließung.

Hamburg. Quadratisch, praktisch, grau: Schon die wuchtige Anmutung macht klar, dass der Karstadt-Klotz am Harburger Schloßmühlendamm keine Schönheit werden sollte. Er quetscht sich mehr in die Breite, als dass er sich in die Höhe reckt. Er wurde gebaut, um zu funktionieren. Und mit all seiner gesichtslosen 70er-Jahre-Architektur könnte der Kaufhausbunker auch in jeder anderen deutschen Innenstadt stehen. Aber gerade hier, im Hamburger Süden, verbinden viele Menschen angenehme Erinnerungen mit dem zentral gelegenen Gebäude. Weil es um den Inhalt geht, nicht um die Verpackung.

Großmütter kaufen hier seit Jahrzehnten Puschen für ihre Enkel, Männer stöbern nach Dessous für die Liebste, Angestellte nehmen ihren Imbiss in der Mittagspause. Die Mischung macht's. Von Feinkost bis Feinstrumpf ist alles da. Karstadt in Harburg, das ist ein zentraler Treffpunkt. Ein Leuchtturm inmitten zahlreicher Billigläden, die sich zwischen dem Kaufhaus und dem Phoenix-Center an der Lüneburger Straße angesiedelt haben.

Doch nicht nur in Harburg ist der Leuchtturm ins Wanken geraten. Im September 2009 wurde das Insolvenzverfahren gegen Karstadt eröffnet. Nicht erst seitdem leben die 25 000 Mitarbeiter der bundesweit verbliebenen 120 Filialen in Ungewissheit. Das Rumoren im Traditionsunternehmen, das 1881 seine erste Filiale in Wismar eröffnet hatte, begann schon viel früher.

Bereits 2004 verabschiedete das Karstadt-Management einen Sanierungsplan, für den die Mitarbeiter bundesweit auf knapp 500 Millionen verzichteten. Bislang haben ihre Opfer nicht viel geholfen - denn selbst wenn der Käufer endlich feststeht, ist die Zukunft der einzelnen Warenhäuser im wettbewerbintensiven deutschen Einzelhandel noch lange nicht gesichert.

Die Warenhausbranche verzeichnet seit Mitte der 70er-Jahre Umsatzrückgänge, ganz massiv seit den 90er-Jahren. Angesichts dieser Tendenz stellt sich die Frage: Ist das Konzept ein Auslaufmodell? Welche Bedeutung hat ein Warenhaus überhaupt noch für den Stadtteil? Und wie wichtig ist ein Konsumtempel wie Karstadt für benachbarte Einzelhändler? Diese Frage ist für Apothekerin Nadia Binkowska schnell beantwortet: "Es wäre eine Katastrophe, wenn Karstadt schließt." Sie verdanke Karstadt in Harburg ein Drittel ihrer Umsätze, ihre Millenium-Apotheke nebenan profitiert enorm vom Sog des Warenhauses.

Und nicht nur sie würde Karstadt vermissen, sondern der gesamte Stadtteil. Denn abgesehen von den 220 Arbeitsplätzen gehören Karstadt und Harburg seit mehr als 80 Jahren zusammen. Die Handelskette eröffnete ihr Haus erst in der Lüneburger Straße, später wurde am Schloßmühlendamm neu gebaut. Ringsum siedelten sich Geschäfte an, von der Dönerbude über den Mobiltelefonanbieter bis zum Ein-Euro-Laden. Dazwischen betreibt auch Optiker Dirk Wiegels seinen Familienbetrieb. Seit 1919 am Schloßmühlendamm mit direktem Blick auf die Filiale des Großkonzerns. "Mit einer Schließung von Karstadt müssten alle umliegenden Händler herbe Umsatzeinbußen hinnehmen", sagt er. Zudem würde die Fußgängerzone Lüneburger Straße, um deren Aufwertung der Bezirk seit Jahren kämpft, wohl endgültig am Kundenschwund eingehen.

Auch Ulf Kalkmann vom Hamburger Einzelhandelsverband geht davon aus, dass die Bezirkszentren ohne Warenhäuser an Kaufkraft und Bedeutung verlieren würden. "Besonders für ältere Menschen ist Karstadt ein wichtiger Anlaufpunkt", sagt Kalkmann. "In Harburg zum Beispiel würden die Älteren nicht einfach nebenan ins Phoenix-Center gehen, weil das eher jüngere Zielgruppen anspricht - so würde ihre Kaufkraft dem Standort einfach verloren gehen." Das gelte vor allem für die vielen Menschen aus dem Landkreis Harburg, die ohne Karstadt wohl eher zum Einkaufen nach Winsen oder Stade fahren würden.

Sechs Millionen Menschen kommen jedes Jahr in die Harburger Karstadt-Filiale, zwei Millionen davon kaufen auch etwas. So wie Ruth Kreidelmeyer, die mit einer blauen Einkaufstüte aus dem Warenhaus schlendert. Die Sinstorferin, 78 Jahre alt, ist eine treue Kundin. Weil ein Warenhaus so bequem sei. Alles unter einem Dach. Die Filiale bedeute ihr jedenfalls "sehr viel", und auch für die Harburger Innenstadt sei Karstadt "unheimlich wichtig". Bei einer Schließung des Geschäftshauses sieht auch Ruth Kreidelmeyer schwarz: "Für die Harburger City wäre das ein riesengroßer Makel."

Die Zukunft von Warenhäusern ist auch eine Generationenfrage. "Ältere Menschen sind mit Warenhäusern sozialisiert, sie haben eine große emotionale Bindung", sagt Nina Hangebruch von der HafenCity Universität (HCU), die derzeit zum Thema Warenhausstandorte promoviert.

Viele Jüngere, Anfang 20-Jährige, dagegen seien häufig zuletzt als Kind in einem Warenhaus gewesen. Das ließe sich nach Meinung von Handelsexperten aber ändern. "Kaufhäuser haben nach wie vor Potenzial", sagt Kai Hudetz, Geschäftsführer des Instituts für Handelsforschung. "Viele Häuser sind Frequenzmagneten in den Innenstädten - es sind aber hohe Investitionen nötig, um die Warenhäuser gegenüber Einkaufszentren konkurrenzfähig zu machen." So müsse Karstadt neue Zielgruppen ansprechen, denen das jetzige Image zu verstaubt ist. Wichtig seien eine konsequente Markenführung und bessere Vertriebsstrategien vor allem auch über das Internet. "Über Jahre ist versäumt worden, in die Karstadt-Filialen zu investieren", sagt Hudetz.

Der ein oder andere jüngere Harburger kauft trotzdem gern in dem großen, grauen Klotz am Schloßmühlendamm ein. Sina Greveling, 16, hat ihre Oma zu Karstadt begleitet und neue Bettwäsche erstanden. Und obwohl die Schülerin nicht gerade das ist, was man als Kernkundschaft der Warenhauskette bezeichnen könnte, würde sie Karstadt vermissen. "Es wäre zu schade, wenn die Filiale schließen müsste. Meine Mutter hat mich schon als Baby mit hierher genommen", sagt sie.

Aber selbst wenn es so weit kommen sollte - das Ende für den Einkaufsstandort Harburg wäre es nicht, wie Citymanager Matthias Heckmann betont. Eine große Lücke würde Karstadt dennoch hinterlassen.