Es gibt weniger Firmeninsolvenzen als im Bundesdurchschnitt. Trotz Krise werden mehr Unternehmen neu gegründet

Hamburg. Jörg Nühse hat sich getraut: Trotz der Wirtschaftskrise hat sich der 39-Jährige 2009 selbstständig gemacht und einen Obst- und Gemüsehandel am Hamburger Großmarkt übernommen. "Natürlich war uns bewusst, dass es wegen der Konjunkturlage schwierig wird", sagt seine Frau Vicky. Das Geschäft läuft, inzwischen haben die Nühses ihren ersten Laden gegen einen größeren eingetauscht.

Während bundesweit viele kleine und mittelgroße Unternehmen von den Folgen der Krise bedrängt werden, ist der Hamburger Mittelstand 2009 mit einem blauen Auge davongekommen. "In der Hansestadt mussten zwar neun Prozent der mittelständischen Firmen Insolvenz anmelden, aber deutschlandweit waren es mehr als elf Prozent", sagte Dieter Braemer, Geschäftsführer der Bürgschaftsgemeinschaft Hamburg, dem Abendblatt. Auch für dieses Jahr sind weitere Anzeichen der Erholung zu erkennen. Laut der Mittelstandsbank KfW planen 9,1 Prozent der kleinen Unternehmen in Deutschland und ein Drittel der großen Unternehmen mit einem Jahresumsatz von mehr als 50 Millionen Euro, in diesem Jahr wieder mehr Geld in ihren Betrieb zu investieren als im Krisenjahr 2009. Diese Tendenz zeigt sich auch in Hamburg.

"Die Struktur der Wirtschaft in der Hansestadt ist anders als etwa in Baden-Württemberg oder in Nordrhein-Westfalen, wo der Maschinenbau und die Autozulieferer dominierend sind", begründet Braemer die noch relativ gute wirtschaftliche Lage in der Stadt. Die Hamburger Betriebe hätten auch davon profitiert, dass es den Auftraggebern, zum Beispiel aus der Industrie, noch besser geht als den Firmen in anderen Bundesländern. "Viele Hamburger Mittelständler sind Zulieferer von großen Unternehmen wie etwa Airbus."

Ein Vorteil für die Hamburger Wirtschaft sei zudem gewesen, dass die Firmen in der Stadt 2009 kaum unter einer Kreditklemme zu leiden hatten. Zwar waren die Anforderungen der Banken auch in der Hansestadt für eine Kreditvergabe höher als vor der Krise, aber mit Unterstützung der Bürgschaftsgemeinschaft gaben die Institute laut Braemer meist ein Darlehen. "Seit 1991 wurden durch unsere Bürgschaften fast 55 000 neue Arbeitsplätze in Hamburg geschaffen", rechnet er vor.

Ganz anders sieht es in punkto Kreditvergabe im Bundesdurchschnitt aus. Laut einer Umfrage der KfW unter 4600 Firmen klagten im vergangenen Jahr 42 Prozent der Befragten von Erschwernissen bei der Kreditaufnahme. Inzwischen hat sich die Lage allerdings leicht verbessert. Nur noch 35,6 Prozent der Unternehmen berichten jetzt über eine restriktive Kreditvergabe, wie eine Befragung des Ifo-Instituts unter 4000 Betrieben ergab. Ein solch niedriger Anteil war zuletzt vor eineinhalb Jahren ausgewiesen worden. "Das ist für die Konjunktur ein gutes Zeichen", sagte Ifo-Experte Klaus Abberger.

Braemer will die wirtschaftliche Lage in Hamburg zwar nicht besser reden, als sie ist, aber einen Punkt für die Leistungsfähigkeit der Stadt wirft er noch in den Ring. "Die Hansestadt bleibt weiterhin Deutschlands Hauptstadt für Existenzgründer", sagt er. Das bestätigt auch Britta Heegardt, Gründungsberaterin der Handelskammer. "Allein im vergangenen Jahr wurden 21 016 Unternehmen zwischen Alster und Elbe neu angemeldet", sagt sie. Das waren 1,2 Prozent mehr als 2008 - und so viele wie in keiner anderen Stadt Deutschlands. Auch in diesem Jahr hält der Trend offenbar an. "Wir bemerken weiterhin ein großes Interesse an unseren Gründungsveranstaltungen und -beratungen."

Hamburg ist offenbar auch für Jungunternehmer aus anderen Bundesländern interessant. Die Stuttgarter Goldschmiedemeisterin Anke Baumgarten hat vor ihrer Selbstständigkeit mehrere Städte studiert - und sich dann für Hamburg entschieden. "Hier gibt es keine vergleichbare Konkurrenz für mich", sagte die 43-Jährige, die mit Mann und drei Kindern in die Hansestadt gekommen ist und seit September in ihrem Geschäft in der City ausschließlich handgefertigte Ringe aus Gold, Platin, Silber und anderen Materialien anbietet. "Inzwischen kommen auch Kunden aus Kiel, Itzehoe oder Eckernförde", sagt sie. Eine erste Mitarbeiterin wurde bereits eingestellt.

Auch Jörg Nühse, der vor seiner Selbstständigkeit 15 Jahre auf dem Großmarkt arbeitete, hat schon eine Handvoll Arbeitsplätze geschaffen. Damit seine Firma wachsen kann, spart er derzeit auf einen Lkw. "Dann können wir große Kunden direkt beliefern", sagt Ehefrau Vicky, die fürs Büro zuständig ist, während ihr Mann nachts arbeitet.