Meine Tochter spielte im Waldkindergarten bei Wind und Wetter - und richtig erkältet war sie nie. Anfangs gab es jedoch viele Sorgen.

Hamburg. Natürlich war es nicht immer leicht und auch nicht immer schön. Nicht für mich, der ich im warmen Büro saß. Und nicht für meine Tochter Luna, die zeitgleich bei Minusgraden eingemummelt wie ein Michelinmännchen in einem kalten Wald südlich der Landesgrenze auszuharren hatte. Jeden Tag, mindestens vier Stunden lang. Mehr als einmal habe ich mich, während ich noch einen heißen Kaffee holte, gefragt, ob meine Tochter mich nicht insgeheim dafür hasste, dass ich sie jeden Morgen dorthin brachte. Heute weiß ich, dass es trotz zunächst vieler Bedenken goldrichtig war, Luna in einem Waldkindergarten anzumelden. Und meine inzwischen neunjährige Tochter, sie liebt es noch heute, Bilder aus dieser Zeit anzusehen. Sie erinnert sich an eine einmalig schöne Zeit.

Anfangs gab es viele Sorgen: Kann es einem Kind, noch dazu einem überaus zierlichen blonden Mädchen, wirklich Spaß machen, jeden Vormittag zwischen Bäumen und Geäst herumzustromern? Es gibt dort doch gar kein Spielzeug. Und jeden Mittag Matsch im Auto ist auch nicht jedermanns Sache. Lunas Großeltern waren anfangs wenig erbaut von dem Plan, die Kleine fortan einmal täglich in der Wildnis auszusetzen: Es sei doch zu kalt, zu nass, zu windig. Die Zecken! Und was ist, wenn das Kind mal muss? So mitten in der Botanik ...

Der Waldkindergarten Wurzelzwerge, den Luna vom vierten Lebensjahr bis zur Einschulung besuchte, liegt im Tötenser Sunder zwischen den Dörfern Tötensen und Eddelsen im Staatsforst Rosengarten. Morgens um 8.30 Uhr treffen sich dort, am Rande eines gering frequentierten Parkplatzes, 15 Kinder mit ihren zwei Betreuern. Wenn sie mit den anwesenden Eltern im Morgenkreis ein Lied gesungen haben, stiefeln sie mit Regenhosen, Gummi-, Wander- oder Thermostiefeln im Gänsemarsch zu einem ausgebauten Bauwagen, von dem aus man eine perfekte Rundumsicht hat. Eltern und Betreuer haben hier einen Kreis aus Baumstämmen gebaut, in dem die Kinder ihr Frühstück, das sie in wasserdichten Rucksäcken bei sich tragen, einnehmen. Über dem Kreis hängt ein Zeltdach. Ansonsten haben die Kinder hier nichts über sich außer Blättern, Zweigen und Himmel. Rehe und Eichhörnchen schauen beizeiten vorbei, Vögel nisten in der Nähe. Wenn der Wind günstig steht, hört man an diesem Ort nichts als den Wald. Für mein Empfinden ist die Zahl schönerer Plätze in und um Hamburg eng begrenzt.

Und doch war es nicht immer leicht, die Kinder am Morgen ziehen zu lassen. In diesen Momenten halfen Gedanken an die eigene Kindheit: Wie war es, als wir klein waren? Haben wir nicht am liebsten draußen gespielt? Sind wir nicht am liebsten "auf die Straße" gegangen, als wir mit hochrotem Kopf aus dem meist überhitzten Kindergarten gekommen sind? Doch. Regen hat Müttern schon immer mehr ausgemacht als ihren Kindern. Als vor langer Zeit das Konzept "Kindergarten" entstand, war es wichtig, Kindern Spielraum und Spielmöglichkeiten zu liefern, die zu Hause mangels Geld und Platz fehlten. Heute sind die Notwendigkeiten längst andere: Manch Kinderzimmer sieht aus wie eine Toys'R'us-Filiale, "Computer und Fernsehen", antworten schon Dreijährige, wenn sie nach ihren liebsten Beschäftigungen gefragt werden. Wenn Kindergarten auch heute noch als familienergänzendes Angebot verstanden werden soll, dann muss die Einrichtung Kinder animieren, sich draußen aufzuhalten, sich zu bewegen, sich die Natur und die eigene Fantasie wieder zu erschließen. All das tut ein Waldkindergarten. Es ist ein Spiel ohne Grenzen.

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Natürlich hat das Gute seinen Preis: Zwar ist der Monatsbeitrag in "unserem" Waldkindergarten genauso hoch wie der Regelsatz im Hauskindergarten, doch es kommt zusätzlich ein (kleiner) Mitgliedsbeitrag für den Förderverein dazu. Nicht zu unterschätzen sind die Kosten für die Kleidung der Kinder. Im Winter sind Winterstiefel nötig, dazu Angora-Unterwäsche, Thermohosen, Regenjacken, Fleece-Pullover und mehrere Paar dicker Handschuhe. Für den Sommer müssen stabile Wanderschuhe, Goretex-Jacken und Regenhosen angeschafft werden. Oft ergeben sich aber Tauschbörsen unter den Eltern. Wenn das eigene Kind aus der Kleidung herausgewachsen ist, wird sie weitergegeben, sofern sie nicht, wie meist, nach einer Saison vollkommen verschlissen ist. Aber: Das alles dient ja der Gesundheit. Eine im Januar veröffentlichte Vergleichsstudie der Techniker Krankenkasse belegt, dass Kinder auf dem Lande gesünder sind als Stadtkinder. Kinderarzt Hans-Ulrich Neumann begründet das Ergebnis damit, dass Hektik, Lärm und andere Reize vor allem für kleinere Kinder Stressfaktoren sind. Äußere Ruhe führt zu innerer Ruhe. Das gilt auch für das Kindesalter. Gut zu wissen, dass die Zahl der Wald- und Naturkindergärten endlich auch in Großstädten wie Hamburg steigt.

Luna, deren frühe Lehrmeisterin die Natur war, ist heute aufmerksamer und umsichtiger mit Flora und Fauna als die meisten Erwachsenen. Zeitweise war es mir in ihrer Anwesenheit verboten, in Wald und Flur einen Schritt neben dem Weg zu gehen: "Papa, du trittst auf die Pflanzen!" Zum Glück hat sich das inzwischen ein wenig relativiert. Aber generell glaube ich daran, dass aus umweltliebenden Kindern umweltbewusste Erwachsene werden. Und dass die Abwesenheit äußerer Grenzen hilft, eine gesunde Selbstwahrnehmung aufzubauen. Vom Immunsystem ganz abgesehen: Trotz vieler Stunden in schneidender Kälte hatte Luna ihre erste echte Erkältung erst lange nach der Kindergartenzeit.