Bildung

Streit um ein drittes Gymnasium in Altona

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Peter Ulrich Meyer
Fünftklässler auf dem Schulweg

Fünftklässler auf dem Schulweg

Foto: picture alliance

Senator will ein drittes Gymnasium für den Stadtteil bauen. Politiker und Eltern fühlen sich übergangen. Und was ist mit den Stadtteilschulen?

Altona.  Es gibt politische Entscheidungen, bei denen die Verantwortlichen nur mit Lob und Beifall rechnen. Der Bau einer komplett neuen Schule zählt ohne Frage dazu. „Altona bekommt ein drittes Gymnasium“, teilte Schulsenator Ties Rabe (SPD) Anfang Mai per Pressemitteilung mit und kündigte Investitionen in Höhe von 19 Millionen Euro an.

Knapp zwei Monate später ist eine gewisse Ernüchterung eingekehrt. Das liegt zum einen daran, dass die Altonaer Bezirkspolitiker, die betroffenen Schulleiter und Elternvertreter gern vor der Entscheidung nach ihrer Meinung gefragt worden wären. Zum anderen löst das zusätzliche Gymnasium nicht die Schulstandortprobleme des Bereichs Altona Kerngebiet, Ottensen und Bahrenfeld, sondern wirft neue Fragen auf.

Rabes Plan sieht vor, das neue Gymnasium auf dem Gelände der Stadtteilschule Struenseestraße (Altona-Altstadt) zu bauen – derzeit eine von vier Dependancen der Stadtteilschule Am Hafen. Die Altonaer Stadtteilschüler sollen auf die anderen Standorte mit Sekundarstufe I auf St. Pauli und in der Neustadt verteilt werden. Der vierte Standort an der Budapester Straße (St. Pauli) ist Schülern der Sekundarstufe II vorbehalten. Die Zeit drängt: Die ersten Gymnasiasten sollen schon zum Schuljahr 2016/17 an der Struenseestraße eingeschult, die vorhandenen Gebäude zunächst genutzt und Zug um Zug ersetzt werden.

„Nach einer intensiven Prüfung fiel die Entscheidung zugunsten des Standortes Struenseestraße. Das neue Gymnasium liegt zentral in Altona, kann gut erreicht werden, und es können Bestandsgebäude für den schnellen Start genutzt werden“, sagt Rabe heute.

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„Das war eine Entscheidung nach Gutsherrenart“, sagt Henning Horl, Elternvertreter der Stadtteilschule Struen­seestraße. „Wir haben uns über die Art der Kommunikation gewundert. Niemand ist vorher gefragt worden. Wir sind wütend.“ Dabei habe es ein teures Verfahren der Bürgerbeteiligung für das Areal gegeben, bei dem nur nie über ein Gymnasium, sondern immer über den Fortbestand der Stadtteilschule gesprochen worden sei.

„Wir waren sehr erschüttert, als wir von dem Plan des Senators erfuhren“, sagt auch Gesche Boehlich, die Vorsitzende der Grünen-Fraktion in der Bezirksversammlung Altona. „Wir waren in keiner Weise involviert. Das ist kein Umgang.“ In Altona gebe es eine „Kultur der Beteiligung“, die missachtet worden sei. „Richtig sauer“ sei sie gewesen, sagt die Altonaer CDU-Schulpolitikerin Kaja Steffens. „Immer wieder haben wir nachgefragt, wie es mit der Standortplanung weitergehen soll, und dann das.“

Bemerkenswert: SPD, Grüne und CDU haben einen gemeinsamen Antrag in der Bezirksversammlung beschlossen, in dem die Kritik am Vorgehen Rabes deutlich wird: „Das umfangreiche Beteiligungsverfahren seitens des Bezirkes für eine städtebaulich erwünschte Neuordnung der Flächen bleibt bisher für die weiteren Planungen zu einem Gymnasialstandort unbeachtet.“ Und die drei Fraktionen fordern den Senat auf, ein geordnetes Verfahren nachzuholen. „Schulbau Hamburg wird, wie bei größeren Bauprojekten üblich, die Anwohner informieren“, sagt Schulbehördensprecher Peter Albrecht lediglich. Noch stünden Art und Umfang aber nicht fest.

Doch auch in der Sache übt die große Schulkoalition kaum verhüllt Kritik. Bereits seit 2012 habe der Schulentwicklungsplan Bedarf für ein zusätzliches dreizügiges Gymnasium im Kerngebiet Altona vorgesehen. „Obwohl wertvolle Planungszeit verloren gegangen ist, begrüßen die Altonaer Bezirkspolitik die getroffene Entscheidung zugunsten eines weiteren Gymnasialstandortes für Altona, wenngleich auch der Standort eher abseits der eigentlichen Bedarfsgebiete liegt“, hießt es in dem gemeinsamen Antrag. Der Bedarf ist unbestritten: Die beiden je vierzügigen Gymnasien Allee und Altona platzen aus allen Nähten. Rechnerisch haben die beiden Schulen eine Aufnahmekapazität von 224 Fünftklässlern, angemeldet wurden für das kommende Schuljahr jedoch 312 Jungen und Mädchen. Zusätzlicher Wohnungsbau wird den Engpass noch verschärfen. Die Überlegung, die beiden Standorte durch Zubauten zu erweitern, musste die Schulbehörde aufgeben. Das Gelände zwischen König- und Struenseestraße erwies sich als günstige Alternative. „Es ist sicherlich die schnellste und billigste Lösung, aber es ist garantiert nicht die beste“, sagt CDU-Politikerin Steffens.

Schulbehörde sieht „auf absehbare Zeit“ keinen Bedarf für mehr Stadtteilschulen

„Wir brauchen ein Gymnasium weiter im Westen Richtung Bahrenfeld“, sagt auch die Grüne Boehlich mit Blick auf den geplanten Wohnungsbau auf dem Gelände Euler-Hermes, Kolbenschmidt und Schwarzkopf oder der Neuen Mitte Altona. „Es wird also perspektivisch weiterhin mehr Schulfläche in Altona Kern und im Raum Bahrenfeld benötigt“, heißt es in dem Dreier-Antrag aus dem Bezirk. Völlig ungelöst ist bislang die Problematik Stadtteilschule. Auf der einen Seite stehen die stark überlaufene Max-Brauer-Schule und die Stadtteilschule Bahrenfeld. Auf der anderen Seite wird die Kurt-Tucholsky-Stadtteilschule (KTS) kaum mehr von Eltern gewählt (nur 15 Anmeldungen), unter anderem wegen des sehr schlechten baulichen Zustands. Die KTS soll vom jetzigen Standort an der Eckernförder Straße in das Neubaugebiet Neue Mitte Altona übersiedeln – das wird allerdings frühestens 2020 der Fall sein.

Die Schulbehörde sieht laut Sprecher Albrecht jedenfalls „auf absehbare Zeit“ keinen Bedarf für eine weitere Stadtteilschule. Die nüchternen Zahlen bestätigen das: Den 406 Anmeldungen 2015 für diese Schulform stehen rechnerische Kapazitäten von 529 Schülern gegenüber, wobei allerdings die sechszügige Stadtteilschule Am Hafen, die ja künftig nicht mehr in Altona anwählbar sein soll, eingerechnet wird.

Elternvertreter Horl sieht den Wechsel der Kinder nach St. Pauli oder in die Neustadt kritisch. „Wer zum Beispiel in Ottensen wohnt, für den ist das schon wegen der Entfernung unattraktiv“, sagt Horl. „Es ist ein Riesenfehler, den Standort Struenseestraße zuzumachen.“ Es sei zudem ein Fehler der Schulpolitik, wenn Eltern vermehrt ihre Kinder an Gymnasien anmelden.

Der Altonaer Schulstreit hat auch die Bürgerschaft erreicht. In einem Antrag fordert die Linken-Fraktion den Erhalt des Stadtteilschulangebots an der Struenseestraße. Die Schule solle aus dem Verbund mit der Schule Am Hafen herausgelöst und zu einem eigenständigen Standort mit den Klassen 1 bis 13 entwickelt werden.

CDU-Schulpolitikerin Karin Prien wirft Rabe vor, es „fahrlässig unterlassen zu haben, eine aktualisierte, regionalisierte Schulentwicklungsplanung für das stark wachsende Altonaer Kerngebiet und Bahrenfeld vorzulegen“. Dort würde ein weiteres Gymnasium benötigt. Der Standort Struenseestraße sei daher „alles andere als optimal“. Und: „Die Schulprobleme in Altona hat der Schulsenator dadurch mitnichten gelöst.“ Ein zentraler Punkt seien die wenig attraktiven Stadtteilschulstandorte.

„Ungelöst ist auch das weitere Schicksal der Stadtteilschule Am Hafen mit ihren großen sozialen Herausforderungen und der Überforderung durch die zu vielen Klassen für Flüchtlinge“, sagt Prien. „Der Schulsenator ist in der Pflicht, ein durchdachtes Gesamtkonzept für die Schulentwicklung in Altona vorzulegen, das mehr ist als die notdürftige Reparatur verschleppter Entscheidungen.“

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