Diakoniechefin Annegrethe Stoltenberg kritisiert Senatspläne für geschlossene Heime. Die Nachteile einer geschlossenen Unterbringung lägen auf der Hand.

Hamburg. Landespastorin Annegrethe Stoltenberg hält den Plan des Hamburger Sozialsenators Detlef Scheele (SPD) für „falsch und nicht nachvollziehbar“, wieder ein Heim zur geschlossenen Unterbringung von Jugendlichen aufzubauen. Nach den vielen Gesprächen mit der Behörde sei sie von der Entscheidung „überrascht“, sagte Stoltenberg dem Abendblatt. Scheele hatte angekündigt, dass Hamburg wieder eine eigene geschlossene Unterbringung für kriminelle Jugendliche einrichten werde.

Alle rechtlichen Spielräume sollten für die Flüchtlinge genutzt werden

Die Nachteile einer geschlossenen Unterbringung lägen auf der Hand, betonte die 63-jährige Stoltenberg, die an diesem Freitag mit einem Gottesdienst in den Ruhestand verabschiedet wird. „Die Zustände bei einem solchen Modell können ein Ausmaß annehmen, das mit einem Knast zu vergleichen ist.“ Die Geschehnisse in der Brandenburger Haasenburg GmbH, wo zuletzt kriminelle Hamburger Jugendliche untergebracht waren, hätten erneut gezeigt, dass Erziehung unter Einschluss Missbrauch und Gewalt erzeuge. Stoltenberg verwies auf eine Erklärung der Evangelischen Hochschule für Soziale Arbeit und Diakonie, die sich ebenfalls gegen eine geschlossene Unterbringung ausgesprochen hatte: „Wir von der Diakonie denken, dass offene Jugendeinrichtungen bei der Erziehung langfristig weit größere Erfolge auch unter schwierigsten Konstellationen nachweisen. Aus diesen guten Gründen sind wir bundesweit gegen geschlossene Jugendeinrichtungen. Sie sind der Sozialisation nicht förderlich. Stattdessen müssen individualisierte Lösungen und Hilfen für die Jugendlichen angeboten werden.“

Annegrethe Stoltenberg leitete 14 Jahre lang die Geschicke der Hamburger Diakonie mit ihren 20.000 hauptamtlichen Mitarbeitern. Zu den größten Konfliktfeldern zählte jüngst die Hilfe für die Lampedusa-Flüchtlinge in der Hansestadt. Stoltenberg appelliert an die Ausländerbehörde, bei der Entscheidung über die Asylanträge der Lampedusa-Flüchtlinge alle rechtlichen Spielräume zu nutzen, um ihnen ein Bleiberecht zu ermöglichen. Zwar habe der Senat von Anfang an auf Recht und Gesetz geachtet. „Kirche und Diakonie haben die Gespräche mit dem Ziel geführt, die vorhandenen rechtlichen Spielräume stärker zu nutzen.“ Was schließlich mit den jetzt angebotenen Einzelfallprüfungen gelungen sei. Das bedeutet: Wer als Flüchtling seine Identität den Behörden mitteilt und einen Asylantrag stellt, erhält für die Dauer des Verfahrens – auch im Falle eines Widerspruchs – in Deutschland ein Aufenthaltsrecht.

So konstruktiv die Kooperation mit den Behörden in den vergangenen Jahren gewesen ist, in einem Punkt zeigt sich die scheidende Diakoniechefin „enttäuscht“. Ein Appell ihrer Organisation an den Ersten Bürgermeister, mehr gegen die Wohnungsnot bei benachteiligten Menschen wie Obdachlosen und armen Familien zu unternehmen, sei erfolglos geblieben. Die Diakonie hatte vorgeschlagen, dass sich die Saga GWG verpflichtet, mehr Wohnungen an arme Hamburger zu vergeben.

Annegrethe Stoltenberg fordert bessere Bezahlung von Pflegekräften

Jede zweite Neuvermietung der Saga GWG sollte nach Vorstellungen der Diakonie an diesen Personenkreis gehen – also 4500 Wohnungen pro Jahr. „Doch einer Änderung der Leitlinien gibt es bei der Saga bis heute nicht“, kritisiert Stoltenberg. „Der Senat könnte hier mehr tun.“ Großen Respekt zollte die Landespastorin den Mitarbeitern der Diakonie, von denen viele in der Pflege älterer Menschen arbeiten. Pflege müsse aber in der Gesellschaft mehr als bisher wertgeschätzt werden – auch und gerade in der Bezahlung. Notwendig sei ein bundesweit einheitlicher Sozialtarif, der einen Mindestlohn festlegt. Er sollte mindestens 10 Euro pro Stunde betragen.