Im alten Altonaer Finanzamt sind Schauspieler, Designer, Maler und Modemacher die Mieter. Doch die Behörde möchte die Immobilie verkaufen.

Hamburg. "Lohnsteuerstelle" steht noch auf einem kleinen Schildchen neben der Tür. Und viele Jahrzehnte übten sich in dem Raum im alten Altonaer Finanzamt auch Beamte im täglichen Kampf mit Belegen und Bescheiden. Wer jetzt die Tür einen Spalt öffnet, blickt auf ein knappes Dutzend Frauen mittleren Alters vor ihren Staffeleien. Ruhig ist es wie wohl auch früher, nur bunter sind die Objekte der Bearbeitung geworden. Im diffusen Sonnenlicht, das durch die Fenster zur Großen Bergstraße fällt, entstehen jetzt Gemälde. Einen Raum weiter beugen sich vier Frauen über Papierzuschnitte, Scheren und Stoffbahnen. Seit wenigen Wochen hat hier die Kunst- und Modeschule KAW neue Räume bezogen, als sie sich vergrößern wollte. Eine Einrichtung, die eine berufsbegleitende Aus- und Weiterbildung in Sachen Illustration, Kunst und Mode bietet. "Wir sind sehr froh, dass wir hierherziehen konnten", sagt ihr Leiter Udo Hein.

Wie viele andere Neumieter in dem städtischen Gebäude auch zahlt er eine Miete von rund fünf Euro pro Quadratmeter. Ein Preis, der so im Zentrum Altonas kaum noch zu finden ist, zumal der Wohnungsbau boomt. Bis Ende des Jahres wird Altona voraussichtlich fast 2000 Genehmigungen für neue Wohnungen erteilt haben. Und das noch ohne den neu geplanten Stadtteil Neue Mitte Altona. Doch das erhöht den Druck auf Flächen, Hinterhofbebauungen fallen immer wieder Neubauprojekten zum Opfer. Kleine Gewerbebetriebe und Unternehmen aus der Kreativbranche haben es da schwer, günstige Nischen zu finden, wenn Investoren in Goldgräberstimmung sind.

Mit dem seit 2007 leer stehenden Finanzamt ist die Stadt daher einen neuen Weg gegangen. Vorläufig jedenfalls: Rund 3000 Quadratmeter ehemalige Büroflächen waren dort jahrelang ungenutzt. Nur wenige Meter von der Baustelle entfernt, wo Ikea gerade sein erstes Möbelhaus in einer Fußgängerzone baut. Normalerweise würden Investoren jetzt bei der Stadt Schlange stehen, um ein solches Altgebäude wie das Finanzamt zu kaufen, um den erhofften Aufwärtstrend der neuen Geschäftslage mit nutzen zu können. "Doch wir brauchen hier auch weiter Platz für die Kreativen", sagt Ulrike Alsen, beim Bezirksamt für Sanierung und Stadtumbau zuständig. Erst Vielfalt erhalte die Lebendigkeit eines Viertels, sagt die Planerin. Und vielfältig ist es tatsächlich in dem Gebäude: Aus dem Finanzamt ist ein Kreativamt geworden, wenn man so will.

Junge Unternehmen und traditionelle Kulturbetriebe aus Altona haben dort einen Platz bekommen. Modefirmen, die noch in Hamburg ihre kleinen Kollektionen entwerfen und produzieren. Start-up-Grafikdesigner, die für andere Start-ups arbeiten, freie Autoren, eine Agentur für Comedians oder auch Bildungseinrichtungen wie das Institut für Kultur- und Medienmanagement der Hochschule für Musik und Theater. Eine ganze Etage etwa wird von der städtischen Kreativ Gesellschaft verwaltet, die speziell zur Unterstützung der Branche gegründet worden ist.

Auch im dritten Stockwerk kleben noch die alten Finanzamtsschildchen neben den Türen. Dahinter wieder eine völlig andere Welt als in früheren Jahrzehnten: Da ist etwa eine Bühne aufgebaut, zwei Männer proben augenscheinlich einen Dialog. Nebenan üben sich junge Männer und Frauen in Akrobatik, es riecht nach Turnhalle und sieht auch so aus. Türen öffnen sich, Türen schließen sich, junge Leute schwärmen herein und wieder heraus wie in einem Uni-Institut.

Hier hat das Schauspielstudio Frese seit Kurzem seinen neuen Standort. Die bereits 1958 gegründete Schauspielschule ist die älteste ihrer Art in Hamburg, Volker Lechtenbrink, Doris Kunstmann und Helmut Zierl haben dort ihren Beruf gelernt. An der Harkortstraße, wo die Neue Mitte Altonas geplant wird, gab es keinen Platz mehr für die Schule. Und woanders in Altona, in der Nähe zu den Theatern der Stadt und den Wohngemeinschaften der Schüler, war es nicht möglich, einen bezahlbaren Mietpreis zu bekommen, sagt Schulleiter Jürgen Hirsch. "Wir sind sehr, sehr froh hier", sagt er. Doch wie lange die Traditionsschule und ihre bunte Nachbarschaft dort bleiben können, ist derzeit höchst fraglich. Nur auf drei Jahre hatte die Finanzbehörde zunächst die Vermietung der Immobilie ausgelegt. Politik und Verwaltung streben aber längerfristige Mietverträge an, um den kleinen Betrieben und Schulen eine Perspektive geben zu können. Platz wäre zudem noch für weitere Kleinunternehmen aus der Harkortstraße, wo bald neu gebaut wird. Doch noch zeigt sich die Finanzbehörde wenig kreativ für den neuen Umgang mit leer stehenden städtischen Immobilien. Im jüngsten Schreiben an das Bezirksamt heißt es nun, dass das alte Finanzamt "mittelfristig" verkauft werden soll. Und weiter: "Eine langfristige Vermietung ist vor diesem Hintergrund nicht sinnvoll." Der Traum vom Kreativamt Altona - er wäre dann bald schon wieder ausgeträumt.

Eine Gelegenheit, die kreative Atmosphäre im alten Finanzamt zu erleben, bietet das Schauspielstudio Frese mit seiner Offenen Bühne. Dabei zeigen Studenten Ausschnitte aus dem Unterricht wie Szenen, Gesangsstücke oder Monologe. Die nächste Offene Bühne gibt es am Donnerstag, 29. November. Beginn ist um 20.30 Uhr, der Eintritt kostet drei Euro.