Jetzt wird im Schanzenviertel auch bei Regen draußen gefeiert, klagen Anwohner. Oder nach Ladenschluss. Ein Ortstermin.

Hamburg. Die vergangenen Tage mit Temperaturen um die 30 Grad haben die Stadt und ihre Bewohner aufgeheizt. Endlich ist Wochenende. Ab in die Schanze, um den vielleicht letzten schönen Sommerabend dieses Jahres zu feiern - natürlich draußen. Was müssen Anwohner hier ertragen? Was bringen die Lärmschutzschirme? Ein Ortstermin am späten Freitag.

21.30 Uhr. Die Bahnstation Sternschanze ist das Einfallstor für die vielen Nachtschwärmer aus Wandsbek, Blankenese oder einem anderen weniger ausgehgeeigneten Stadtteil Hamburgs. Alle fünf Minuten schieben sie sich in Wellen an der Fußgängerampel Schanzenstraße vorbei. Viele von ihnen haben eine geöffnete Flasche in der Hand - das sogenannte Wegbier. Und Wege wird es in dieser Nacht einige zu gehen geben. Rechts hoch geht es in die Susannenstraße in Richtung Schulterblatt.

Ein Großteil der Meute bleibt aber in der Verbindungsstraße hängen. Entweder, um ein neues Bier im Kiosk zu kaufen oder um vor einem der zahlreichen Gastronomiebetriebe Platz zu nehmen. Es gehört schon Glück dazu, einen Platz auf einer der besonders bei diesem Wetter beliebten Bierbänke zu erwischen. Melanie Dethlefsen, 27, und Franziska Ahrens, 30, sitzen schon eine Weile vor der Kneipe Presse. Vor ihnen stehen Weingläser. Sie unterhalten sich leise und diskret. Der dreckweiße quadratische Schirm über ihren Köpfen hat dafür gesorgt, dass sie schon seit ein paar Stunden hier sitzen. "Der ist super bei Regen", sagt Ahrens. Am frühen Abend war ein kurzer Sommerregen auf das Viertel heruntergeprasselt. Dabei handelt es sich bei den Schirmen doch gar nicht um einen schnöden Wetterschutz, sondern um spezielle, um die 3000 Euro teure Lärmschutzschirme, zu deren Anschaffung die Wirte per Verordnung des Bezirks Altona verpflichtet wurden. Die beiden Freundinnen aus dem Nordosten der Stadt haben davon nichts mitbekommen. "Ich habe ja nichts davon", sagt Dethlefsen. "Aber wenn es den Anwohnern was bringt, warum nicht?"

+++ Streitpunkt Schanze +++

+++ Jetzt reden die Anwohner: Lärmschutzschirme sind nutzlos +++

Ein paar der Fenster oberhalb der Restaurants und Kneipen sind geöffnet, in manchen Zimmern brennt Licht. Bekommen die Bewohner wegen des Krachs weiter unten kein Auge zu? "Die Schirme bringen nichts", sagt Alex Drost, 37, der seit acht Jahren hier wohnt. "Es ist in dieser Saison so laut wie immer." Das störe ihn allerdings nicht. Andere schon. "Die Lärmschutzschirme verschärfen das Problem", sagt ein anderer Bewohner, der seinen Namen nicht nennen möchte. Denn nun sei Außengastronomie auch bei Regen möglich. "Der Lärm muss rigoros minimiert werden, sonst kann man hier nicht mehr wohnen."

22.15 Uhr. Auf einer Treppe in einem Haus an der Ecke Rosenhofstraße/Susannenstraße haben es sich Barbara Trost, Alexander Njemz und Sergio Augusto bequem gemacht. Zwischen ihren Füßen stehen Bierflaschen. Einen Schirm oder einen anderen Lärmschutz gibt es über ihren Köpfen nicht. Braucht es ihrer Meinung nach auch nicht. "Ich kenne ein paar nette Wohngebiete in Stellingen", sagt Njemz. "Da ist gar nix los um diese Uhrzeit."

Yalcin Mehmet, 49, Geschäftsführer des Restaurants Pamukkale, war einer der größten Kritiker der kostspieligen Lärmschutzschirme. Noch immer zweifelt er an der Wirkung. "Aber wenn unsere Nachbarn jetzt zufrieden sind, sind wir es auch", sagt er. Rückmeldung dazu - positive oder negative - habe er bisher aber noch keine erhalten. Nur wenige Gäste beschwerten sich bei Sonne über die nur mit viel Aufwand schließbaren Schirme. "Insgesamt bin ich einfach nur froh, dass die Sache vorbei ist." Denn im Nachhinein habe ihm und den anderen Gastronomen die Verbreiterung der Gehwege für die Außenbestuhlung viel gebracht. Die hatte erst die Lärmdiskussion angestoßen.

23 Uhr. An der Susannenstraße werden die Bierbänke zusammengeklappt und auf die zugehörigen Tische gezurrt. Freundlich werden die verbliebenen Gäste darauf hingewiesen, dass es für heute vorbei ist mit der Außengastronomie. Viele Partygänger ziehen einfach ein paar Meter weiter zum Schulterblatt, denn hier darf bis Mitternacht draußen bewirtet werden. Mit jedem Schritt in Richtung Piazza wird es lauter. Kronkorken klirren beim Fall auf die Straße zwischen dem murmelnden Geräuscheteppich. Ein Teil des Lärms hallt in die Susannenstraße. Schall kennt keine Straßengrenzen.

23.30 Uhr. Ein paar Regentropfen scheinen einen Schauer anzukündigen. Kein Problem. Viele Nachtschwärmer haben sich vor einem Kiosk unter dessen noch immer aufgespannten Lärmschutzschirm auf die zusammengestellten Biergarnituren gesetzt. Das Bier ist hier billig. "Es ist schon ein bisschen ruhiger als vor einer Stunde", sagt Studentin Tina Matheis, 23. Aber trotzdem nicht leise. "Der meiste Lärm kommt doch ohnehin von den Leuten, die jetzt hier entlang zum Schulterblatt gehen", sagt Freundin Sarah Brittnacher, 33.

0.40 Uhr. Nun ist auch auf dem Schulterblatt Schluss mit der Außengastronomie. Viele kleine Gruppen bleiben trotzdem auf dem breiten Gehweg stehen. Getränkenachschub gibt es aus dem Kiosk. Martina Lange, 29, und Marco Garling, 27, betreiben Schirm-Hopping - springen von Lärmschutz zu Lärmschutz. "Das mach ich schon seit drei Wochenenden so", sagt Garling. "Auf den hochgestellten Bänken sitzt es sich ganz gut", sagt Lange. "Besonders bei Regen."

Anwohner Alex Drost beschreibt das Problem: "Richtig laut wird es spät in der Nacht, wenn die Leute zu viel getrunken haben und auf der Straße rumstehen."