Küchenchef des Landhauses Scherrer beklagt Nachwuchssorgen, moniert Bildungsniveau und Manieren vieler Lehrstellenbewerber.

Hamburg. Kurz vor dem Abendblatt-Termin gibt es noch ein letztes Problem zu klären. "Soll ich vier oder acht Stubenküken bestellen?", fragt ein Koch. "Acht, aber bitte kleine", antwortet Heinz Otto Wehmann , 57, Küchenchef und Mitinhaber des Landhauses Scherrer an der Elbchaussee. Dann brüht sich der Sternekoch noch einen Kaffee - und nimmt sich eine Stunde Zeit, um über die Ausbildungsnöte eines Mittelständlers zu reden.

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Hamburger Abendblatt: Herr Wehmann, als einer der bekanntesten deutschen Sterneköche dürften Sie sich vor Bewerbungen kaum retten können.
Heinz Otto Wehmann: Die Zeiten sind leider lange vorbei. Für unsere drei Ausbildungsplätze im Landhaus Scherrer kommen zehn, höchstens 15 Bewerbungen. Und darunter sind auch noch einige, die nicht wirklich ernsthaft gemeint sind. Die haben mich vielleicht mal im Fernsehen oder in der Zeitung gesehen, finden das Thema ganz spannend, sind aber nicht wirklich interessiert.

Dabei kann man sich im Fernsehen vor Kochsendungen kaum retten. Eigentlich dürfte Ihr Beruf doch kein Imageproblem haben.
Wehmann: Doch. Leider wirkt unser Beruf, genau wie die meisten anderen Handwerksberufe, auf viele junge Menschen wenig attraktiv. Die meisten wollen heutzutage studieren. Oder einen Job mit sehr geregelten Arbeitszeiten. Ohne Wochenenddienste, gerne Freitag Feierabend schon um 13 Uhr. Damit können wir in der Gastronomie natürlich nicht dienen. Unsere Arbeitszeiten schrecken viele ab.

Ist das Bildungsniveau der Bewerber in den vergangenen Jahren gesunken?
Wehmann: Auf jeden Fall. Vor allem was die Grundrechenarten und die Rechtschreibung angeht. Ich könnte Ihnen Berichtshefte zeigen, da würde Ihnen angesichts der Rechtschreibfehler nicht mehr viel einfallen. Neulich habe ich in der Küche gesagt, mach dieses Rezepte fünffach und guckte in ein fragendes Gesicht. Dann habe ich gesagt, okay, nimm die Zutaten mal zehn und nimm dann die Hälfte. Wir beobachten zudem, dass es am Teamgedanken mangelt. Die Ich-Bezogenheit nimmt immer weiter zu.

Woran machen Sie das fest?
Wehmann: Etwa wenn ein neuer Kollege im Service sagt, ich habe keinen Tisch mehr frei. Es muss doch heißen, wir haben keinen Tisch mehr frei. Wenn irgendwo in der Küche etwas herumliegt, heißt es häufiger, das war ich doch nicht. Statt das einfach schnell wegzuräumen. Mitunter fehlt es auch am gegenseitigen Respekt. Einer meiner Kollegen musste sich neulich anpöbeln lassen: "Du hast mir gar nichts zu sagen." Dabei ist das ja nicht einmal böse gemeint. Manche haben es zu Hause nicht anders gelernt.

Warum bilden Sie dann überhaupt noch aus?
Wehmann: Auch wenn es hochtrabend klingt, aus sozialer Verantwortung. Ich will jungen Leuten helfen. Hinzu kommt, dass wir kaum noch geeignetes Personal finden. Da bilden wir lieber selber aus.

Es gibt doch genügend Köche in Deutschland.
Wehmann: Aber es ist alles eine Frage des Könnens. Das Landhaus Scherrer ist ein Hochleistungsbetrieb. Da muss ich von Jungköchen zumindest die Grundfertigkeiten erwarten. Stattdessen kommt es vor, dass sie noch nicht einmal gelernt haben, wie man eine Schokoladenmousse aufschlägt. Das ist vor allem bitter für kleine Restaurants, die sich auf den Facharbeiterbrief eines Bewerbers verlassen. Große Restaurantketten gehen inzwischen nach Osteuropa, um dort Nachwuchs zu rekrutieren. Das kann es doch nicht sein.

Gibt es in Deutschland eine Null-Bock-Generation?
Wehmann: Nein, im Gegenteil. Wir haben hier viele junge Leute, die ganz viel leisten, mit 22, 23 Jahren schon auf dem Weg zu einem hervorragenden Koch sind. Wir bekommen auch regelmäßig Schülerpraktikanten, die richtig Gas geben. Manche backen uns zum Dank beim Abschied sogar einen Kuchen. Und dann kriege ich oft noch Dankesbriefe der Eltern.

Warum?
Wehmann: Die schreiben mir, dass sie ihr Kind kaum wiedererkennen. Auf einmal räumt es auf und bringt freiwillig den Müll runter. Es ist inzwischen leider so, dass wir eigentlich selbstverständliche Dinge antrainieren müssen. Wie Teller abzuräumen oder einen Tisch abzuwischen. Vielen Jugendlichen wird daheim einfach zu viel abgenommen. Das führt dann auch dazu, dass sie bei Stresssituationen zu schnell aufgeben.

Auch die ganze Ausbildung?
Wehmann: Leider ja. Wir haben Abbrecherquoten zwischen 50 und 60 Prozent. Ich vermisse oft die letzte Leidenschaft, den Willen, sich durchzubeißen. Ich habe mir früher immer gesagt, was der kann, das kann ich irgendwann auch. Heute sind die jungen Leute oft zu schnell frustriert.

Vielleicht verlangen Sie als Ausbilder einfach zu viel.
Wehmann: Ich halte tatsächlich nichts davon, junge Leute in Watte zu packen. Ich möchte nicht, dass mich irgendwann Kollegen fragen, Wehmann, wie hast du den denn ausgebildet? Daher verlange ich viel. Doch ich überfordere niemanden.

Womöglich ist die Bezahlung zu schlecht.
Wehmann: Ein Azubi verdient im ersten Lehrjahr bei mir 540 Euro, später bis zu 690 Euro. Dazu kommt ein ordentlicher Betrag aus der Trinkgeldkasse. Sicher ist das nicht die Welt. Aber Sie dürfen nicht vergessen, dass die Auszubildenden nur 50 Prozent im Betrieb sind. Der Rest sind Schule und Urlaub. Wir beuten hier niemanden aus. Die jungen Kollegen sollen bei mir was lernen. Und nicht den ganzen Tag spülen oder Kräuter zupfen.

Was sollte der Gesetzgeber ändern?
Wehmann: Manche Vorschriften verstehe ich nicht. Zum Beispiel darf ein Azubi unter 18 Jahren selbst unter Aufsicht nicht an der Schneidemaschine arbeiten. Oder die strikte Regelung, dass ich einen unter 18-Jährigen nur bis maximal 22 Uhr beschäftigen darf. Dann endet bei uns gerade das Hauptgeschäft, es wird aufgeräumt. Unser Azubi muss dann sagen, dass er da nicht mehr mitmachen kann. Das ist auch schlecht für den Teamgedanken. Dabei können 17-Jährige sehr wohl den Führerschein machen. Oder die halbe Nacht auf dem Kiez feiern.

Was wünschen Sie sich von der Schule?
Wehmann: Die Schulen sollten viel mehr Selbstbestimmungsrechte haben, um die Kinder dann individueller fördern zu können. Und ihnen dann erklären, dass das Handwerk sehr wohl faszinierende Perspektiven bietet. Du kannst Meister werden, dich selbstständig machen. Und gerade in der Gastronomie hat man alle Chancen.