Multikulturelles Viertel für überzeugte Großstädter - mit Großbrauerei, Musical und drei Bahnhöfen

Wer ein Ortsschild für Altona-Nord erwartet, sucht vergeblich. Die Stadtteilgrenzen sind durchweg nur mit dem Bezirksnamen "Altona" markiert. Obwohl dies den übli-chen Gepflogenheiten widerspricht, kommt es dem Lebensgefühl vieler Bewohner durchaus entgegen. Wer hier lebt, empfindet sich in der Regel als Altonaer. Also als Großstädter, der offen ist, sich gerne auch in den angrenzenden Szenevierteln Schanze und Ottensen oder in Eimsbüttel bewegt - und die Elbnähe liebt.

Altona steht traditionell für Toleranz. Schon im 19. Jahrhundert erhielt der Ort unter dänischer Hoheit viele für die damalige Zeit großzügige Rechte, wie die Freiheit des Glaubens, der Berufsausübung oder der Ansiedlung. So steht das Tor im Stadtwappen Altona bewusst offen. Jeder hatte hier seinen Platz, durfte sein. Bis in die 1920er-Jahre entwickelte sich die Stadt zur europäischen Hauptstadt der Fischverarbeitung. Im heutigen Gebiet Altona-Nord gab es viele Felder zum Gemüseanbau, Fabrikationen und Wohnungen. Es war eine preußische Arbeiterstadt, die 1937 durch das Groß-Hamburg-Gesetz eingemeindet wurde.

Verkehrsreich und gut verbunden

Ein Grund für die fehlende Identifikation der heutigen Bewohner mit dem eigenen Stadtteil liegt wohl auch darin, dass Altona-Nord, das nach dem Krieg von der Verwaltung von Altona-Altstadt abgetrennt wurde, kein Zentrum mehr besitzt. Es fehlt ein historischer Ortskern mit Läden, Cafés und Restaurants. Im Zweiten Weltkrieg wurden 80 Prozent der Gebäude zerstört. Der Stadtteil bietet dennoch eine bunte Mischung aus vielem, was zu einer Metropole gehört - von Schulen, Kultur, Subkultur, Kirchen, Sportklubs, Gastronomie bis hin zu großen Unternehmen.

Viele Wohngebiete sind jedoch von breiten Verkehrsadern zerschnitten - wie der Stresemannstraße, Kieler Straße oder Holstenstraße, über die der Schwerlastverkehr donnert. Zudem durchzieht ein Schienennetz den Stadtteil, über das Tag und Nacht die Fern- und Güterzüge der Bahn und die S-Bahnen rattern. Allein den Bahnhof Altona nutzen täglich rund 100 000 Passagiere, hinzu kommen zwei weitere S-Bahnhöfe. Autolärm und eine latente Unfallgefahr sind für viele Alltag und Ärgernis.

Und dennoch ist Altona-Nord ein begehrter Wohnort. Nicht nur nahe der Max-Brauer-Allee stehen noch prachtvolle Häuser im Jugendstil und aus der Gründerzeit. Auch in anderen Straßenzügen finden sich attraktive Altbauten, moderne Neubauten, Backsteinhäuser der Vor- und Nachkriegszeit - nicht selten in wilder Mischung Wand an Wand.

Viele starke Bürgerinitiativen

Selbst die Bausünden der jüngeren Vergangenheit, wie die Hochhäuser im Plattenbaustil aus den 1970er-Jahren an der Eckernförder Straße, die einst zu den sozialen Brennpunkten der Stadt zählten, wurden verschönert. Ein kleiner Park davor mit Kinderspielplatz, Skater-Rampen und Bänken wirkt einladend, gerade im Sommer, wenn die Kleinen im Sand buddeln und die Großen die Grills anwerfen und sich zum Plausch treffen. "Die Lage hat sich hier sehr entspannt", sagt die Leiterin des Bürgertreffs, Doris Foitzik.

Altona, ehemals "roter" Arbeiterbezirk, zieht auch heute noch viele junge Leute, Studenten und Bürger der Mittelschicht an. Vielleicht weil die Mieten hier noch nicht durch die Decke gegangen sind, obwohl der Stadtteil sehr verkehrsgünstig und stadtnah liegt. Altona-Nord ist bunt und multikulturell, ein Ort, an dem sich Alt und Jung wohlfühlen können. Nur Schickimicki sucht man hier vergeblich.

Eine wichtige Aufgabe fällt den vielen Nachbarschaftsinitiativen zu, die sich an den Bedürfnissen der Bewohner orientieren. So ist der Bürgertreff Altona-Nord mit seinem breiten Kursangebot zum beliebten Treffpunkt gewachsen. Er ist ein Gemischtwarenladen aus Lernen, Feiern und Musizieren, mit eigener Stadtteilzeitung. Im Kuppelsaal treten nicht nur Amateurkünstler auf die Bühne, hier werden auch Hochzeiten zelebriert. Der Bürgertreff organisiert mit der Paulus-Kirchengemeinde und dem Sozialdienst katholischer Frauen auch eine Lebensmittelausgabe für Bedürftige. Das Mehrgenerationenhaus FLAKS wendet sich an Frauen aller Nationalitäten, hilft bei Kinderfragen, beim Sprachenlernen und bringt Mütter zusammen. Ein besonderes Kleinod ist das Nyegaard-Stift, in dem Frauen über 60 in einem schlossähnlichen Komplex ihr gemeinschaftliches Altersmodell gefunden haben. Die benachbarte evangelische Kirche der Stille ist ein sehr besonderer Ort, der überkonfessionell zum Meditieren einlädt. Auch die Mennoniten, die älteste deutsche Freikirche, haben seit 1915 bewusst in Altona-Nord ihren Standort und schätzen seit jeher den liberalen und toleranten Geist des Stadtteils.

+++ Name & Geschichte +++

+++ Die Stadtteil-Patin: Beate Kranz +++

+++ Töchter & Söhne +++

+++ Kurz & knapp +++

+++ Zahlen & Fakten +++

Bunte und junge Kunstszene

Kulturell kann Altona-Nord mit Perlen trumpfen. Mit der Neuen Flora, die 1990 begleitet von Straßenschlachten gegen die "Yuppisierung" des Viertels an den Start ging, beherbergt der Stadtteil eines der bestbesuchten Musicaltheater. Die meisten Besucher kommen allerdings nicht aus Hamburg, sondern zu Hunderten mit Bussen aus ganz Deutschland. Nur wenige Meter entfernt blüht die Subkultur der Musikszene in Bars und Klubs wie Waagenbau oder Fundbüro unter der düsteren Sternbrücke.

Eine junge Kunstszene belebt die ehemalige Viktoria-Kaserne mit neuer Kreativität in einem massiven Backsteinbau aus der wilhelminischen Zeit. Rund 150 Künstler, Designer, Modeschöpfer, Musiker des Vereins Frappant arbeiten hier unter einem Dach, inmitten eines Wohngebiets. Um die Ecke residiert die Galerie St. Gertrude in einer ausgedienten Polizeikaserne. Im Ex-Büro des Präsidenten im Obergeschoss wirkte in den 1990er-Jahren der Hamburger Künstler Horst Janssen in einem Atelier. Sportfreunde finden mit dem SC Teutonia von 1910 und dem SC Union von 1903 Klubs mit Tradition und eigenen Fußballplätzen.

Große und kleine Unternehmen

Die Wirtschaft in Altona-Nord ist vielschichtig und sogar zu riechen. Oft liegt ein süßlicher Geruch nach Maische über dem Viertel. Ein Zeichen, dass in der Holsten-Brauerei gebraut wird - die Carlsberg-Tochter ist die letzte verbliebene Großbrauerei in Hamburg. Zu den großen Arbeitgebern zählen auch die Deutsche Post, die hier ein Briefverteilzentrum betreibt. Metro, Reyher und ThyssenKrupp Plastics sorgen auf den Gewerbegebieten nahe dem S-Bahnhof Diebsteich für weitere Jobs. Hinzu kommen Kleinbetriebe, die in Hinterhöfen werken, sowie Kreative in alten Bahngebäuden an der Harkortstraße.

Spannend ist der Blick in die Zukunft. Auf dem Gelände des stillgelegten Güterbahnhofs soll von 2013 an ein grünes Quartier mit 3500 Wohnungen sowie Gewerbe entstehen, der Fernverkehr der Deutschen Bahn nach Diebsteich verlagert werden. Vielleicht bekommt Altona-Nord damit seinen lange ersehnten Ortskern - und eine echte neue Mitte, sodass dann alle den Stadtteilnamen mit Stolz tragen können.

Die Serie finden Sie auch unter www.abendblatt.de

In der nächsten Folge am 20.6.: Marmstorf