Eine Freundin sagte mir als ich schwanger war: “Von dem Moment an, wo du dein Kind in den Armen hältst, bist du nie mehr unbeschwert!“

Hamburg. Eine düstere Prophezeiung brach über mich herein: "Von dem Moment an, wo du dein Kind in den Armen hältst, bist du nie mehr unbeschwert!" Das sagte mir eine erfahrene Freundin, als ich schwanger war und selig lächelnd alle an meinem Glück teilhaben lassen wollte. Papperlapapp, so etwas Negatives wollte ich natürlich nicht hören. Leider sollte sich diese Prophezeiung bewahrheiten, wie sich schnell herausstellte. Mein Sohn war knapp auf der Welt, als meine Gedanken, wohl instinktiv gesteuert, in bislang unbekannte Richtungen gingen. Unglaublich, welche Metamorphose man durchläuft, wenn man von der Frau zur "Mama" wird. Mein Beschützerinstinkt war von der ersten Sekunde an voll aktiviert, und an meinen Löwenkrallen wäre jeder gescheitert, der meinem Kleinen etwas zuleide hätte tun wollen. Noch auf der Geburtsstation war es für mich kaum zu ertragen, dass dem Lütten aus der Ferse Blut abgenommen wurde - zur U2, wie es so schön heißt, einfach die normale Neugeborenen-Untersuchung. Tim weinte los, und mein Mutterherz überschlug sich fast.

Zugegeben, ich neige vielleicht etwas extremer als andere Mamas zu Emotionalität. Während der Papa entspannt am Elbwanderweg seinen Zwerg auf der Steinmauer balancieren sieht, greift "das Mutti" schon beherzt zu, wenn noch gar nichts los ist. Aber es könnte ja sein! Wie oft habe ich mit dem Kindesvater gestritten, weil er es völlig normal fand, dass der Kleine sich ausprobiert, während in meiner Fantasie höchste Gefahren hinter dem Vergnügen lauerten.

Wie soll man sich bloß gegen Gedanken wehren? Sie sind ungefragt einfach da. Quälgeister, die einen ganz verrückt machen. Formulierungen wie "könnte", "hätte" und "wenn" sollten nach der Meinung vieler Väter aus dem aktiven Wortschatz einer Mutter gestrichen werden. "Mama, kann ich mit den anderen ins Schwimmbad?" - "Ja, aber nicht mit dem Fahrrad, das ist viel zu gefährlich!" - "Lass den Jungen doch mit seinen Freunden mit dem Fahrrad zum Schwimmbad fahren, er ist doch schon acht Jahre alt!" - "Ja eben, er ist erst acht, viel zu klein!" (klar, wer da was sagt), und dann setzen Gedankengänge ein wie: "Wenn er den Helm nicht auflässt, weil das uncool ist ...", "Er könnte durch irgendwas abgelenkt werden auf dem Weg dorthin und stürzen, und dann überfährt ihn ein Auto ...", und am Ende würde ich denken: "Hätte ich ihn doch nicht allein fahren lassen ..."

Wie oft ich mir diese Gedanken regelrecht selbst verboten habe, kann ich nicht mehr zählen. Doch Gedanken sind frei, sie kommen einfach ungebeten wieder zurück. Wie ein lästiger Gast, dem man niemals eine Einladung zu seiner Geburtstagsparty geschickt hätte. Wenn meine Fantasien gar zu grausig waren, die Bilder, die sich vor meinem inneren Auge abspielten, zu furchtbar, zwang ich mich, an weiße Pferde auf einer grünen Wiese zu denken, um mich abzulenken. Weiße Pferde ...

Auf keinen Fall möchte man seine Kinder zu Angsthasen erziehen, sie sollten genügend Freiraum haben, um ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten zu entwickeln. Selbstbewusst sollen sie ja auch später einmal Herausforderungen bestehen und Gefahren erkennen sowie eigene Abwägungen und Entscheidungen treffen. Und darin liegt der mütterliche Spagat. Loslassen ist die schwerste Übung für Mütter überhaupt. Kleine Kinder, kleine Sorgen - große Kinder, große Sorgen! Dieser alte Volksspruch hat so viel Wahres.

+++ Teil 1 der Serie: Ein gutes Bauchgefühl - jetzt wird alles anders +++

+++ Teil 2 der Serie: Manchmal kommt es anders - Born in the UKE +++

+++ Teil 3 der Serie: Das erste Babyjahr - Mamas neue Lehrstelle +++

+++ Teil 4 der Serie: Wenn Schlaf unter Müttern zum Neidfaktor wird +++

+++ Teil 5 der Serie: Die richtige Ernährung - Es gibt Milch, Baby +++

+++ Teil 6 der Serie: Waldkindergarten: Nass, kalt, aber glücklich +++

+++ Teil 7 der Serie: Medizin: Die Kunst der Befruchtung +++

+++ Teil 8 der Serie: Freizeit & Events: Wetterfrösche sind uns egal +++

+++ Teil 9 der Serie: Recht & Verwaltung - Vor dem Gesetz +++

+++ Teil 10 der Serie: Spielen und Spielzeug - Lasst die Puppen tanzen +++

+++ Teil 11 der Serie: Einkaufen - Ach du dickes Schoko-Ei +++

+++ Teil 12 der Serie: Schule - Mach doch mal eine Pause +++

+++ Teil 13 der Serie: Reisen & Ausflüge - Dem Himmel gern nah +++

Ich bin mit solchen Weisheiten großgezogen worden, meine Mutter und auch die Oma waren da höchst aktiv. Sie klangen mir alle in den Ohren, doch je älter Timmi wurde, umso mehr wurde mir die Wahrheit, die in diesen Sprüchen liegt, bewusst. Loslassen ... ja klar, man öffnet die Finger, öffnet die Faust und schon hat man etwas losgelassen. Dass die Dinge aber auch immer so kompliziert werden müssen, wenn man älter wird ...

Die Krönung leistete ich mir, als ich einmal zu Tim sagte: "Hör zu, du musst unbedingt den Fahrradhelm auflassen, unbedingt! Du musst immer hinter jedem Baum, an jeder Straßenecke mit mir rechnen, ich kontrolliere das, bis ich mir ganz sicher sein kann, dass du heil den Weg zum Schwimmbad schaffst." Tatsächlich fuhr der Filius ordnungsgemäß (mit Helm ausgerüstet) an den Zebrastreifen an der Elbchaussee heran, hielt seinen Arm vorschriftsmäßig nach vorne raus, um die Autos zum Anhalten zu bringen, und riss dann staunend die Augen auf, weil seine Mama im ersten Pkw saß und ihn erleichtert über die Straße winkte. Mein Herz schlug mir bis zum Halse, ich war kurz vorm Hyperventilieren. Geschafft! Gott sei Dank, die ersten 500 Meter hatte er heil überstanden. Nur noch drei Kilometer, für mich eine angstvolle Tortur. Fürs Kind wahrscheinlich auch, musste es doch wirklich hinter jedem Busch seine Mama vermuten. Aber - und das dürfte mein Hauptargument für die Kontrollen gewesen sein - ich weiß schließlich, wie ich als Kind war und was ich alles angestellt habe, um cool zu wirken oder aber etwas zu machen, was meine Eltern sonst strikt verboten hätten. Meine Mutter sagte damals immer: "Das kriegst du eines Tages alles mal zurück von deinem eigenen Kind, und dann weißt du, was ich durchmache!"

Ja, man hat seine Sorgen und Ängste. Ja, man muss jeden Tag neu lernen, mit dem steigenden Erlebnisdrang der Kinder fertig zu werden. Und dennoch kann ich mir nichts Schöneres auf der ganzen Welt vorstellen, als eine Unbeschwertheit aufzugeben und mit einem sorgenvolleren Leben zu tauschen für mein Kind. Für eine unverbrüchliche Liebe, für etwas ganz Wunderbares - für meinen Sohn Tim.