Paris im Juli 1900: Ein würdiger älterer Herr mit weißem Haar und dichtem Bart läuft durch die Hallen der Weltausstellung, bleibt immer wieder stehen, betrachtet die Exponate eingehend und macht sich von Zeit zu Zeit Notizen.

Hamburg. Die Mitarbeiter der Weltausstellung kennen diesen Professor Brinckmann längst. Schon seit zwei Monaten streift er fast täglich über das Gelände, der Gründungsdirektor des Hamburger Museums für Kunst und Gewerbe ist auf einer extrem langen Shopping-Tour. Als fortschrittlicher Museumsdirektor möchte er nicht nur Schätze der Vergangenheit ausstellen, sondern auch erstklassiges Kunstgewerbe und innovative Formgestaltungen der Gegenwart. Brinckmann interessierte sich für all das, was wir heute als Design bezeichnen würden. Und dafür war damals Frankreich im Allgemeinen und die Weltausstellung im Speziellen die allererste Adresse. Während man sich in Deutschland noch überwiegend an traditionellen Stilen orientierte, fand Brinckmann in den Pariser Ausstellungshallen Möbel, Gefäße, Lampen und Einrichtungsgegenstände in den ultramodernen Formen einer Epoche, die man in Frankreich Art Nouveau und in Deutschland Jugendstil nannte. Fasziniert betrachtete Brinckmann die fließenden Formen, die an Pflanzen und Blumen orientiert waren und damals atemberaubend neu wirkten.

Vom Hamburger Senat, dessen Mitglieder im Laufe des Sommers per Schnellzug nach Paris reisten, um sich von ihrem Museumsdirektor durch die Ausstellung führen zu lassen, hatte er sich den unglaublichen Betrag von 100 000 Goldmark bewilligen lassen. So kaufte er elegant geschwungene Schränke, Kommoden, Stühle, Sessel und Tische, Raumteiler mit funkelnden Glasscheiben, kostbare Gefäße aus Silber, ein komplett eingerichtetes Erkerzimmer, geheimnisvoll schimmernde Glasschalen und vieles mehr. Das alles wurde nach dem Ende der Weltausstellung per Zug nach Hamburg transportiert und ins Museumsgebäude am Steintorplatz gebracht.

Wenn wir heute im Museum für Kunst und Gewerbe das "Pariser Zimmer" betreten, ist das fast wie eine Zeitreise in das Jahr 1900. Denn Brinckmann hat seinen 100 000-Mark-Deal nicht in die verschiedenen Abteilungen des Hauses integriert, sondern in einem eigenen Raumkunstwerk vereinigt. Könnte Justus Brinckmann nach mehr als einem Jahrhundert sein Pariser Zimmer noch einmal besuchen, wäre er vermutlich sehr zufrieden: Anders als Wien oder Paris ist das konservative und nüchterne Hamburg keine Jugendstil-Hochburg, aber mit dem Pariser Zimmer besitzt die Hansestadt eines der großartigsten Ensembles, die diese faszinierende Kunstepoche hervorgebracht hat.

Kultur

Pariser Zimmer

(Museum für Kunst und Gewerbe), Steintorplatz, 20099 Hamburg

Tel.: 040/42 81 34 27 32

www.mkg-hamburg.de

Öffnungszeiten: Di, Fr, Sa, So 11.00-18.00 Uhr, Mi, Do 11.00-21.00 Uhr

Preise: Eintritt Erwachsene 8 Euro (ermäßigt 5 Euro)

ÖPNV: alle S- und U-Bahnen, Haltestelle Hauptbahnhof

Geeignet für Design-Fans, Sammler und Pariser, die sich in ihrer Hamburger Neubauwohnung nicht wohlfühlen.