Hamburg. Der Olympionike von Tokio 2021 gilt als unbequemer Athlet. Nun wehrt er sich gegen seine Ausbootung beim Deutschen Ruderverband.

An diesem Freitag um 9 Uhr hat Stephan Riemekasten einen Termin, der das Ende seiner Leistungssportkarriere markieren könnte. In einem digitalen Meeting mit Chefbundestrainerin Brigitte Bielig, dem für den Skullbereich verantwortlichen Bundestrainer Dirk Brockmann und Mario Woldt, Sportdirektor des Deutschen Ruderverbands (DRV), muss der 29 Jahre alte Topathlet vom Hamburger und Germania RC Argumente liefern, um die Verbandsspitze davon zu überzeugen, den am Ersten Advent verkündeten Rauswurf aus dem Bundeskader zurückzuziehen. Gelingt ihm das nicht, muss er hinter seine Laufbahn als Auswahlruderer einen Haken machen.

„Nach vielen Jahren, in denen ich mich für den Sport, den ich liebe, und den Verband aufgeopfert und viele Entbehrungen auf mich genommen habe, tut das Vorgehen des DRV schon sehr weh“, sagt der gebürtige Berliner. Was war passiert? Bei der Leistungsüberprüfung in Dortmund Ende November, die seit Jahren als Gradmesser für die Kadereinteilung der Folgesaison herangezogen wird, hatte Riemekasten beim 2000-Meter-Ergotest mit einer Zeit von 6:16 Minuten eine Leistung erbracht, die sogar ihn selbst erschreckte. „Die Vorleistungen im Training haben überhaupt nicht darauf schließen lassen, dass er so eine Zeit abliefert“, sagt Brockmann, der den Athleten seit vielen Jahren betreut.

Riemekasten zählt auf dem Ergometer zu den Schwächsten

Die Reaktion des DRV allerdings, Riemekasten zum Jahresende aus dem Bundeskader zu streichen, überraschte Trainer und Sportler noch viel mehr. „Es gab vor Dortmund keinerlei Hinweis darauf, dass eine fixe Norm gefordert ist oder dass diese Leistungsüberprüfung für mich ultimativen Charakter hat“, sagt der Athlet, „hätte man mir im September gesagt, dass ich Ende November eine 6:10 fahren muss, wenn ich nicht rausfliegen will, hätte ich mich ganz anders vorbereitet.“ Seine Schwäche auf dem Ergometer ist seit Jahren ein wiederkehrendes Thema, das auch Brockmann betont. „Körperlich hat Stephan Defizite, er ist auf dem Ergometer einer der Schwächsten, seine Leistungen schwanken dort zu sehr.“

Allerdings könne Riemekasten dank seiner technischen Fertigkeiten ein Boot schneller machen. Im Einer war er in Dortmund Viertschnellster, er war U-19-Weltmeister im Einer, U-23-Weltmeister im Doppelzweier, schaffte es 2021 als Ersatzmann zu den Olympischen Spielen in Tokio. „Vor den Tokio-Spielen habe ich nach einem schwachen Ergotest im Winter ein paar Monate später im nächsten Test die geforderten Werte erreicht. Damit habe ich bewiesen, dass ich in der Lage bin, Vorgaben umzusetzen. Umso mehr bedaure ich, dass man mir diese Chance jetzt nicht einräumen will“, sagt er. Zumal er nach Tokio kein Pausenjahr eingelegt hatte wie andere, die dadurch auch keine Leistungen erbrachten und trotzdem für den Kader nominiert wurden.

Das große Ziel von Stephan Riemekasten ist Olympia 2024 in Paris

Was ein Rauswurf aus dem Bundeskader an Konsequenzen mit sich bringt, kann Riemekasten einleuchtend erklären. „Ich würde sofort 25 Prozent meines Einkommens verlieren, weil ich sowohl aus der Förderung des Teams Hamburg als auch aus der Sporthilfe falle“, sagt er. Zudem würde ihn die Bundeswehr, in der er seit sechs Jahren als Soldat in der Sportfördergruppe dient, nach einer kurzen Karenzzeit nicht mehr für das Training freistellen. „Damit wäre ich der Grundlage beraubt, mich auf meinen Sport zu konzentrieren, und müsste meine Karriere beenden.“ Dabei hatte der Medizinstudent, der mit seiner Frau und zwei Kindern (fünf und drei Jahre alt) in der Gemeinde Barsbüttel lebt, als letztes Karriereziel die Sommerspiele 2024 in Paris angepeilt.

Sportdirektor Woldt weiß um diese Konsequenzen. Dennoch sei im Verband der Glaube daran, mit Riemekasten international erfolgreich sein zu können, nicht mehr vorhanden. Zwar habe es vor Dortmund keine vom DRV vorgegebene Norm gegeben, „es ist aber allen bewusst, dass diese Leistungsüberprüfung maßgeblich für die Vergabe der Kaderplätze ist.

Stephans physische Leistung ist schon länger ein Thema, und sie entwickelt sich leider in eine andere Richtung, als wir alle sie uns erhofft hätten.“ Die Marke von 6:00 Minuten, die für die nächste Leistungsüberprüfung im April in Leipzig gelte, sei nur eine Mindestnorm. „Um international erfolgreich zu sein, braucht es deutlich mehr.“ Diese Leistungssteigerung traue man Riemekasten, dessen Bestwert bei 6:03 Minuten liegt, nicht zu.

Riemekasten hatte den Deutschen Ruderverband hart kritisiert

Das Vorgehen des DRV überrascht insofern nicht, als dass der Verband nach dem Olympiadebakel in Tokio mit nur zwei Silbermedaillen sowie dem noch schlechteren Abschneiden bei der Heim-EM in München im August und der WM in Tschechien im September unter großem Druck steht. „Wir haben leider keinen Ermessensspielraum mehr, wir müssen uns stark verbessern, wenn wir den Anschluss an die Weltspitze schaffen wollen“, sagt Woldt.

Da die Entscheidung über die Kaderplätze vor den Wintertrainingslagern fallen müsse, habe man die Ausbootung Riemekastens beschlossen. Der hält dagegen, dass sein Platz nicht neu besetzt, sondern vakant werde. „Es würden weder dem DRV noch einem Konkurrenten Nachteile dadurch entstehen, wenn man mir noch bis Leipzig die Chance geben würde, mich zu verbessern“, sagt er.

Was Stephan Riemekasten besonders bedauert, ist der Fakt, dass der Trainerrat des DRV, in dem die Bundestrainer aller Disziplinen sitzen, den für ihn zuständigen Coach Brockmann überstimmte. Er befürchtet, dass man im Verband nur einen Vorwand gesucht habe, um ein Zeichen dafür zu setzen, dass man nun hart durchgreife, und einen Athleten wie ihn loszuwerden, der mit seiner kritischen Art, Missstände anzuprangern, schon mehrfach angeeckt ist. Mario Woldt weist das kategorisch zurück. „Stephan ist kritisch, aber auch selbstkritisch, und beides schätzen wir. Die Entscheidung hat ausschließlich Leistungsgründe.“

Rudern: Rückkehr in den Bundeskader noch möglich

Zudem, das betonte der Sportdirektor, sei die Tür nicht komplett geschlossen. „Stephan hat die Chance, individuell weiter zu trainieren und sich im April noch einmal anzubieten, aber aktuell können wir den Kaderplatz nicht an ihn vergeben.“ Stephan Riemekasten wird gewaltige Argumente vorbringen müssen an diesem Freitag, um an der Entscheidung noch zu rütteln. „Aber ich bin ein Kämpfer“, sagt er, „ich gebe nicht auf.“