Hamburg. Die Amerikanerin setzte sich überraschend gegen Favoritin Anett Kontaveit durch. Wer holt am Sonntag den Titel bei den Herren?

Die Tränen der Rührung kamen mit Verzögerung. Als Bernarda Pera ihren Triumph bei den Hamburg European Open ihrem im April mit 41 Jahren an Krebs verstorbenen Ex-Trainer Kristijan Schneider widmete, brach ihre Stimme. Es war der emotionale Höhepunkt eines Damenfinals, das sportlich herausragend war, dem aber die erhoffte Spannung ein wenig gefehlt hatte. Zu deutlich war die Überlegenheit der 27 Jahre alten US-Amerikanerin gewesen. 74 Minuten nur benötigte Pera, um die topgesetzte Estin Anett Kontaveit mit 6:2 und 6:4 zu bezwingen.

Tennis am Rothenbaum: Kontaveit würdigt Siegerin Pera

Wer die Nummer zwei der Welt und wer die Nummer 81 war, hätte wohl jeder der rund 8000 Zuschauer, der es nicht wusste, falsch zugeordnet an diesem Sonnabendnachmittag auf dem Center-Court am Rothenbaum. Bernarda Pera ist keine Spielerin, die durch Variabilität besticht. Aber ihren wuchtigen Grundschlägen, mit denen sie stoisch von weit hinter der Grundlinie das Spieltempo diktierte, hatte Kontaveit trotz ihrer Laufstärke wenig entgegenzusetzen. „Bernarda hat diesen Titel absolut verdient, ich kann ihr zu ihrer Leistung nur gratulieren“, sagte die 26-Jährige fair.

Sie konnte sich damit einreihen in eine illustre Schar an Spielerinnen, die in den vergangenen zwei Wochen chancenlos gewesen waren gegen eine Bernarda Pera, die die wohl beste Phase ihrer Karriere erlebt. In der vergangenen Woche hatte sie in Budapest aus der Qualifikation kommend ihren ersten WTA-Titel gewonnen. In Hamburg gab sie auf dem Weg zum zweiten Triumph keinen Satz ab. „Es ist noch nicht ganz angekommen, aber es fühlt sich sehr, sehr gut an“, sagte die um 26.770 Euro Preisgeld reichere Siegerin.

Pera plagte eine leichte Oberschenkelverletzung

Angesichts einer leichten Verletzung am linken Oberschenkel habe sie bewusst versucht, die Punkte kurz zu halten und so aggressiv wie möglich zu spielen. Der Plan ging auf. „Ich hatte einen harten Kampf erwartet, bin deshalb froh, dass ich so dominieren konnte. Nur als sie bei 5:2 im zweiten Satz auf 5:4 herankam, war ich etwas nervös. Ansonsten bin ich einfach nur glücklich, wie stark ich in diesen zwei Wochen gespielt habe“, sagte die gebürtige Kroatin. Ihr verstorbener Coach habe genau diese Dominanz von ihr sehen wollen, deshalb habe sie ihm den Titel gewidmet.

Anett Kontaveit, die am vorvergangenen Freitag wenige Stunden vor Meldeschluss als Ersatz für die verletzte US-Amerikanerin Danielle Collins (28/Nr. 8) verpflichtet worden war, zeigte sich mit ihrem Hamburg-Debüt trotz der Finalpleite sehr zufrieden. Ursprünglich hatte sie mit ihrem neuen deutschen Coach Torben Beltz (45) auf Hartplatz trainieren und sich für die US-Tour vorbereiten wollen. „Ich bin ohne Vorbereitung hergekommen, aber sehr glücklich, dass ich es gemacht habe“, sagte sie, „es ist ein tolles Turnier in einer wunderschönen Stadt.“ Das man auch im kommenden Jahr noch gewinnen kann, sofern Bernarda Pera dann nicht wieder in Höchstform ist.

Musetti begeisterte und verärgerte das Publikum

Den Durchmarsch eines weiteren Außenseiters zu verhindern wusste im Halbfinale der Herren der Italiener Lorenzo Musetti. Der 20-Jährige besiegte den Argentinier Francisco Cerundolo (23/Nr. 30), der in der vergangenen Woche in Bastad (Schweden) seinen ersten ATP-Titel hatte gewinnen können, mit 6:3 und 7:6 (7:4) und qualifizierte sich damit für sein erstes Endspiel auf der 500er-Serie (500 Weltranglistenpunkte für den Sieger, dritte Kategorie nach Grand Slam und Masters).

Lorenzo Musetti begeisterte das Publikum mit Weltklassestopps, sorgte aber mit einer merkwürdigen Aufschlagtechnik auch für Ärger.
Lorenzo Musetti begeisterte das Publikum mit Weltklassestopps, sorgte aber mit einer merkwürdigen Aufschlagtechnik auch für Ärger. © Witters

Allerdings zog sich der Weltranglisten-62., der dank seines Erfolgs von Montag an erstmals unter den besten 50 der Welt geführt werden wird, den Unmut von Teilen des Publikums zu, weil er Cerundolo mit seinem Aufschlag von unten düpierte.

„Ich wollte ihn auf keinen Fall disrespektieren, wir sind gute Freunde. Dieser Schlag ist unter den Spielern mittlerweile als taktisches Mittel akzeptiert. Aber ich verstehe, wenn einige Zuschauer das nicht mögen“, sagte Musetti, der mit seinem variantenreichen Spiel ein ums andere Mal auch für Begeisterungsstürme sorgte. „Ich war heute sehr aufgeregt und bin sehr glücklich, dass ich meinen Plan durchziehen konnte. Jetzt möchte ich das Finale genießen und diesen Pokal holen“, sagte der Daviscupspieler, der noch keinen ATP-Titel gewinnen konnte.

Alcaraz setzte sich gegen überforderten Gegner durch

Ob ihm seine Wünsche für das Finale am Sonntag (15 Uhr/ServusTV) erfüllt werden, ist allerdings mehr als fraglich.

Carlos Alcaraz steht im Herren-Finale beim Tennisturnier am Rothenbaum.
Carlos Alcaraz steht im Herren-Finale beim Tennisturnier am Rothenbaum. © Witters

Gegner dort ist der spanische Shootingstar Carlos Alcaraz (19), der sich im zweiten Semifinale gegen den am Ende etwas überforderten Slowaken Alex Molcan (24/Nr. 48) mit 7:6 (7:2) und 6:1 behauptete. Mit seinen Weltklassestopps und den peitschenden Grundschlägen unterstrich der Weltranglistensechste einmal mehr, warum er nicht nur in Hamburg als Topfavorit, sondern auch als kommender Dominator des Welttennis gilt.

Dennoch dürfte der Anlauf auf seinen sechsten ATP-Titel kein Durchmarsch werden. „Ich habe gegen Lorenzo schon bei den Junioren oft gespielt und weiß, dass mich ein harter Kampf erwartet“, sagte Alcaraz, der sich auf Deutsch beim Publikum bedankte und versprach, bis zum Finale einen kompletten Satz in der Landessprache zu lernen. Und dass er – zumindest auf dem Tenniscourt – extrem schnell lernt, weiß man mittlerweile.