Hamburg. Kopf hoch, Smombies! Rechtsmediziner erleben immer öfter schwerste Traumatisierungen, Amputationen und Todesfälle. Der Crime-Podcast.

Sie laufen vornübergebeugt über die Straße, tippen am Steuer Nachrichten und telefonieren beim Radfahren. Überall sieht man im Straßenverkehr Menschen, die ihre Aufmerksamkeit nicht auf ihre Umgebung richten, sondern auf ihr Smartphone.

Das Phänomen erinnert an den Hanns Guck-in-die-Luft, diesen stets in den Himmel starrenden Jungen aus dem berühmten Kinderbuch „Struwwelpeter“. In die heutige Zeit übertragen müsste der Titel allerdings eher Hanns Guck-in-das-Smartphone lauten. Denn der Hanns von heute blickt nicht nach oben, sondern nach unten. Und der moderne Hanns trägt inzwischen einen Kunstnamen – Smombie, eine Abkürzung für Smartphonezombie.

Smartphonezombies – die gefährliche Spezies

Dabei handelt es sich um eine gefährdete Spezies. Denn mit seiner Unachtsamkeit bringt er sich nicht selten in hochbrisante, mitunter sogar lebensgefährliche Situationen. Kaum jemand weiß das besser als Klaus Püschel, der in seiner Zeit als Direktor der Hamburger Rechtsmedizin häufig mit den Folgen von fatalen Unglücken aufgrund von Smartphones und anderen elektronischen Geräten konfrontiert war.

„Viel zu häufig!“, wie Püschel im Abendblatt-Crime-Podcast „Dem Tod auf der Spur“ mit Gerichtsreporterin Bettina Mittelacher betont. „Das Problem der Ablenkung und auch der geteilten Aufmerksamkeit hat mich in meinem Beruf von Anfang an verfolgt. Aber dass sich Menschen auf so dramatische Weise in Lebensgefahr begeben, hat in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Wir erleben immer häufiger schwerste Traumatisierungen, Amputationen und sogar Todesfälle. Ganz zu schweigen von den Unschuldigen, die da mit hineingezogen werden.“

Junge Frau starrte aufs Smartphone und fiel in die Gleise

Püschel berichtet von einem Fall, der sich an einem kleinen Nahverkehrsbahnhof in Norddeutschland ereignet hat. Eine junge Frau fixiert gebannt das Display ihres Smartphones. Gedankenverloren nähert sie sich der Bahnsteigkante. Ihr nächster Schritt ist ein fataler Fehltritt: Sie stürzt auf die Gleise. Ein herannahender Zug erfasst die Frau. Sie hat dieses Unglück zwar überlebt. Doch sie hat einen hohen Preis dafür gezahlt: Ihre ausgestreckten Unterarme wurden von den Rädern der Bahn abgefahren. „Den einschreitenden Rettungskräften und der Bahnpolizei bot sich ein schreckliches Bild“, erinnert sich Püschel. „Es zeigt auf den Schienen die abgetrennten Hände der Frau mit Teilen der Unterarme — und dazwischen das Smartphone, sogar noch auf Sendung.“

Püschel hatte auch Fälle zu untersuchen, bei denen die Menschen auf dem Obduktionstisch landeten -- weil sie zum Beispiel ein herannahendes Fahrzeug nicht rechtzeitig bemerkt hatten. „Solche Unglücke und Schicksale machen mich dann traurig und wütend“, sagt der Experte. „Diese Unfälle müssen einfach nicht sein.“ Überproportional häufig seien jüngere Menschen betroffen. So wie beispielsweise der 29-Jährige, der wegen lauter Musik aus dem Kopfhörer einen herannahenden Rettungswagen mit Blaulicht und Sirene nicht wahrnahm und überfahren wurde.

Wer beim Radeln die WhatsApp schreibt, gefährdet andere

Die Risiken für Radfahrer sind ähnlich, betont Püschel. Er berichtet von einem Mann, der beim Telefonieren auf dem Fahrrad ein Schlagloch übersah, stürzte und seitdem querschnittsgelähmt ist. Gefahren drohen ebenso den Autofahrern, wenn sie technische Einrichtungen am Steuer nutzen, ergänzt Mittelacher. „Wenn sie beispielsweise während der Fahrt eine WhatsApp schreiben, gefährden sie sich selbst. Und sie gefährden andere.“

„Bei unerklärlichen Verkehrsunfällen frage ich mich immer wieder, wie weit auch die Aufmerksamkeitsleistung des Autofahrers dadurch reduziert war, dass er vielleicht ohne Freisprecheinrichtung mit seinem Handy telefoniert hat, SMS oder WhatsApp geschrieben hat“, erläutert Püschel. „In einzelnen Beispielen konnte man durch Auslesen des Mobiltelefons nachweisen, dass ein Autofahrer das Handy unmittelbar vor einem Unfall bedient hatte.“

Unerklärliche Verkehrsunfälle: Wurde das Handy genutzt?

Die Konsequenz wäre, dass man bei jedem unerklärlichen Verkehrsunfall vonseiten der Polizei überprüfen sollte, inwieweit das Handy oder vielleicht sogar das Notebook genutzt wurde. Verkehrsexperten sagen: Wer rund zwei Sekunden lang bei Tempo 50 auf sein Handy schaut, fährt 28 Meter, ohne auf den Verkehr zu achten.

Und was ist mit dem Fußgänger, der den Weg eines so abgelenkten Autofahrers kreuzt? Oder mit dem Radfahrer? Der wäre dann in Lebensgefahr. Der Rechtsmediziner lobt Aktionen wie die in machen Städten, in denen rote LED-Leuchten entlang des Bordsteins eingebaut wurden, um die Aufmerksamkeit der Verkehrsteilnehmer für die Gefahren zu erhöhen. Grundsätzlich, betont Mittelacher, gelte: „Augen auf im Straßenverkehr!“

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