Hockenheim. Der Ferrari-Pilot startet beim Heimrennen vom letzten Platz und profitiert am Ende vom Wetter und den Fehlern seiner Konkurrenten.

Max Verstappen erlitt einen wahren Lachanfall im Cockpit seines Red Bulls. Der zweite Sieg im dritten Rennen für den Niederländer war nach einem Regen-Drama und fünf Boxenstopps wahrlich kein Selbstläufer. Und allein schon genug Sensation für den Großen Preis von Deutschland. Aber Verstappen war nicht der einzige, der zuletzt lachte. Und diejenigen, die das tun, lachen ja bekanntlich am besten.

Sebastian Vettel gehörte nach dem Ausfall in der Qualifikation auch zu denjenigen, auf die dieses Sprichwort zutrifft. Der 32-Jährige schaffte es von Platz 20, vom letzten Startplatz auf Rang zwei: „Was für ein Rennen“, stöhnte der Heppenheimer nach seiner furiosen Aufholjagd, bei der er in der vorletzten Runde noch den russischen Außenseiter Daniil Kwjat im Toro-Rosso-Honda überholte.

Vettels Aufholjagd ist „gut für die Seele“

Mercedes hingegen erwischte beim 200. Grand-Prix-Einsatz als Werksteam einen rabenschwarzen Tag. Lewis Hamilton wurde von der Poleposition aus nur Elfter, Valtteri Bottas flog kurz vor Schluss aus dem Rennen. So spannend wie gerade war die Formel 1 lange nicht, auch wenn Hamilton weiterhin locker die Gesamtwertung anführt.

Doch den kühlen, klugen Kopf haben gerade andere. „Das war unheimlich hart, ich dachte, das Rennen geht nie zu Ende. Aber auch schön, dass der Nachmittag so lange gedauert hat. Ich bin einfach nur noch happy. Das ist sehr gut für meine Seele“, gab Vettel zu. Von ganz hinten nach vorn – das gab unabhängig der Umstände den dringend nötigen moralischen Auftrieb. „Das war fantastisch von ihm, wichtig für ihn – und für uns“, lobt Ferrari-Teamchef Mattia Binotto.

61.000 Zuschauer feiern die Formel 1 in Hockenheim

Ist dies nun der Moment, in dem die zweite Hälfte der Formel-1-Saison beginnt, ein Omen? Spannender als beim vorerst letzten Großen Preis von Deutschland, dem 61.000 Zuschauer ein volles Haus bescherten, kann es jedoch kaum werden. Die meisten davon waren zwar pitschnass, aber was ist schon so eine Sommergrippe gegen das größte Drama der bisherigen Saison?

Noch am Sonnabend schien schon alles entschieden: Der ausgefallene Ferrari-Turbo brachte Vettel um die mögliche Poleposition, er startete von ganz hinten – mit einem dicken Hals. Denn WM-Spitzenreiter Hamilton hatte sich trotz starker Halsschmerzen den ersten Startplatz gesichert.

Launische Regenwolken sorgen für Reifen-Chaos

Der Deutsche von 20, der Brite von eins. Reine Formsache. Nur: so funktioniert das eben nicht, wenn das badische Wetter seine Finger im Spiel hat. Der Landregen war, wie im Vorjahr, launisch. In Intervallen nahm der Regen zu, und wieder ab. In diesem Rhythmus trocknete die Ideallinie, oder eben nicht. Drei Proberunden hinter dem Safety-Car, erst dann war der elfte WM-Lauf frei – und weil Verstappens Red Bull zu lange den zündenden Funken suchte, war Hamilton auf und davon. Zusammen mit Mercedes-Kollege Bottas. Immer wieder wurde das Rennen nach Ausrutschern neutralisiert, die richtige Reifenwahl war pure Lotterie.

Zusätzliche, ungewollte Spannung stellte sich im Ferrari-Funk ein. Vettel, der es zwischenzeitlich schon bis auf Rang sieben gebracht hatte, musste permanent auf Ingenieursanweisung auf sein Display eintippen. Der Turbo zickte wieder. Vertrauensbildende Maßnahmen, die der Heppenheimer so dringend braucht, sehen anders aus.

Vettel-Kollege Leclerc fehlt die Regen-Erfahrung

Kollege Leclerc, wegen eines Benzinproblems nur als Zehnter gestartet, war mit einer cleveren Boxenstrategie hingegen auf dem Weg zu seinem möglichen ersten Sieg, obwohl er noch nie in einem Regenrennen gefahren war. Die Erfolgshoffnung hielt allerdings nicht lange – dem 21 Jahre alten Monegassen wurde die Auslaufzone bei der Einfahrt auf die Zielgeraden zum Verhängnis. Der Asphalt dort war bei Nässe wie eine Rutschbahn, der rote Rennwagen rumpelte seitlich in die Werbebanden von Mercedes.

Lewis Hamilton rutschte von der nassen Strecke in die Werbebande.
Lewis Hamilton rutschte von der nassen Strecke in die Werbebande. © dpa | Sebastian Gollnow

Über den Funk war nur ein langes „Piiiiiiiep“ der Zensur zu hören und ein noch längeres „Noooooo“. Der pure Frust über seinen Fahrfehler. Kurz darauf wurde auch der Weltmeister selbst unfreiwillig zum Crash-Test-Dummy. Hamilton beschädigte sich den Frontflügel, schaffte es quer über die Piste und den Grünstreifen in die Box. Dort dauerte der Wechsel der kompletten Fahrzeugnase eine Minute, und für die abenteuerliche Rettungsaktion auf der Strecke bekam er am Ende auch noch fünf Strafsekunden.

Hamilton muss in der Box seine Strafe absitzen

Die in Oranje getauchten Tribünenteile bebten währenddessen – denn plötzlich hatte es Max Verstappen nach vorn gespült, und in seiner Gischt auch Nico Hülkenberg. Der deutsche Renault-Pilot hatte noch nie in seinen 167 Grand-Prix-Rennen auf dem Podest gestanden. Aber auch die Hoffnung des Emmerichers endete wenig später in der altbekannten Mercedes-Bande: „Es war wie auf Eis“, bilanzierte der Deutsche zerknirscht. Ein berechtigter Vorwurf an die Veranstalter. Nur die fünf Millionen Euro Zuschuss von Mercedes für die Rettung des Heimrennens hatten sich locker ausgezahlt, so oft, wie die Werbung zu sehen war.

Das letzte Rennviertel war wie die ersten drei: befeuert durch die unterschiedlichen Reifenverhältnisse. Nochmal wurden die Gummis panisch gewechselt, es sollte trocken bleiben. Aber trotzdem sollte dieser Grand Prix nicht normal zu Ende gehen. Vettel überholte Hamilton in der Box, weil der Brite seine Strafe absitzen musste. Und auf den vorderen Plätzen tummelten sich plötzlich die, die sonst eher im Mittelfeld unterwegs sind: Lance Stroll auf Rang zwei im Racing-Point-Mercedes, dicht gefolgt und bald überholt von Daniil Kvjat im Toro-Rosso-Honda.

Und der WM-Spitzenreiter? Der war nur noch Zwölfter, pirouettendrehend. Dass dann nicht einmal Teamkollege Bottas die Jubiläumsfeierlichkeiten zu 125 Jahren Motorsport mit einem Podiumsplatz retten konnte, war einer Rutschpartie in die Reifenstapel geschuldet.

Erst die vorletzte Runde bringt die Entscheidung

Während Hamilton sich an das Ende des Feldes verabschiedete, hatte Vettel fünf Runden vor Schluss die heiß ersehnte Chance aufs Podium und holte sich direkt Rang vier. Da waren es nur noch drei Sekunden bis bis zum Treppchen, was für eine Genugtuung für den Pechvogel. In der 62. Runde ging er dann am Kanadier Stroll vorbei, und im vorletzten Umlauf auch an Kwjat. Der rote Ferrari-Jubel kannte keine Grenzen.

Spätestens jetzt, wo ein reguläres Rennen schon längst beendet wäre, war klar: Der Regen war zur richtigen Zeit gekommen, um sich über die Ferrari-Versäumnisse und die Mercedes-Dominanz zu legen. Vettel bewies, dass er das Fahren doch nicht verlernt hat. Und Dauersieger Hamilton kann tatsächlich mal einen schlechten Tag haben. Eine ganz neue Formel 1? Zumindest eine frischgewaschene.