Essen. Mit ihren Romanen erreicht Charlotte Link ein Millionenpublikum. Ihre Leidenschaft zu schreiben, verbindet sie mit Sehnsuchtsorten.

Dranbleiben, weitermachen, entspannt bleiben, das wäre, wenn es sie geben würde, ihre Devise, denn ein Erfolgsrezept hat sie nicht. Mit mehr als 28,5 Millionen verkauften Büchern ist Charlotte Link (55) allerdings die erfolgreichste Autorin Deutschlands. Auch ihr aktueller Kriminalroman „Die Suche“ ist gleich ganz oben in die Bestsellerlisten eingestiegen. Ein Gespräch über das Schreiben, über Figuren und natürlich über ihren jüngsten Roman, dessen Thema wahrlich kein schönes ist.

Gerade einmal 14 Jahre alte Mädchen verschwinden, Mädchen sterben. Man weiß gar nicht so genau, ob man Ihren neuen Roman Eltern empfehlen sollte?

Charlotte Link: Ich glaube gar nicht, dass dieses Buch notwendig ist, um die Angst, dass ein Kind verschwindet, bei Eltern hervorzurufen. Diese Angst ist einfach manchmal da. Das schlimmste Szenario, das sich Eltern vorstellen können, ist ja, dass ein Kind nicht nach Hause kommt, dass es einfach wegbleibt, und man nicht weiß, was passiert ist. Ein Albtraum, gerade bei heranwachsenden Kindern.

Bei Mädchen könnte die Sorge größer sein als bei Jungs, oder?

Link: Ich glaube auch. Mädchen können im Teenageralter leichter Opfer werden, Jungs eher, wenn sie noch kleiner sind.

Gab es einen konkreten Anlass?

Link: Gott sei Dank nicht, nicht in meiner Familie. Aber dieses Thema steckt immer mal in einem drin. Da kam mir der Gedanke für die erste Szene: Ein Mädchen steigt in einen Zug, und als der Vater es vom Bahnhof abholen will, steigt es nicht aus, es ist verschwunden. Der Vater weiß nicht, was passiert ist. Mehr wusste ich anfangs nicht über das Buch, nur diese eine Szene hatte sich in mir festgebissen.

Gibt es eine Art Muster, nach dem Sie Inhalte suchen?

Link: Ich suche sie ja gar nicht, ich warte immer, dass mir irgendetwas begegnet, das mich quasi anspringt und an dem ich dann festhalte. Es gibt kein Muster, weil die Auslöser für ein Thema völlig verschieden sind. In der Phase, in der ich ein neues Buch beginnen will, ist es wichtig, dass ich mich offen für alles mache. Mich nicht zu früh fokussiere, weil damit Möglichkeiten ausgegrenzt würden.

Wenn Sie ein Thema gefunden haben – beginnen Sie dann gleich zu recherchieren, oder entwickeln Sie Ihre Geschichten ausschließlich im Kopf?

Link: Das hängt dann schon vom Thema ab. Bei meinem Buch „Die Entscheidung“ etwa ging es um Menschenhandel. Da musste ich natürlich zuerst sehr viel zu diesem Thema recherchieren, mich mit der Problematik vertraut machen. Bei „Die Suche“ gab es nicht so viel zu recherchieren, da die Geschichte sehr im Privaten spielt, auch der Täter handelt aus privaten Motiven. Da liegt die Recherche eher in den Örtlichkeiten, zum Beispiel in der Frage, wo und wann die Züge fahren, wo sich eine Bushaltestelle befindet.

Tatsächlich? Ob eine Zugverbindung in England stimmt oder nicht, ist mir als Leser eigentlich egal.

Link: Ja, Ihnen vielleicht, aber es gibt Leser, die so etwas überprüfen und sich sehr aufregen, wenn es nicht stimmt. Aber ich recherchiere diese Dinge vor allem, weil es mir beim Entwickeln eines Stoffs hilft, wenn ich ein paar Rahmenbedingungen habe, eine Art Struktur. Es gibt mir ein Gerüst, wenn ich genau weiß, wann der Zug fährt. Es erdet meine Gedanken.

In Ihrem vorigen Roman, „Die Entscheidung“, haben Sie Ihre Leser mit in die Provence, nach Frankreich, genommen, in „Die Suche“ kehren Sie zurück nach England. Ist England eine Art kriminalistische Heimat für Sie?

Link: England ist überhaupt eine Art von Heimat für mich. Ich mag das Land, fühle mich dort ungeheuer wohl, ich mag die Landschaft, die Sprache, ich mag die Mentalität, vor allem die große Fähigkeit der Engländer zur Selbstironie. Ich fühle mich dort sehr beheimatet.

Die Figuren in Ihren Romanen geraten, was ein wenig an die Filme von Alfred Hitchcock erinnert, eher zufällig in bedrohliche Situationen. Was reizt Sie an diesem dramaturgisch-psychologischen Kniff?

Link: Mich reizt der Einbruch in das normale Leben. Wir alle gehen ja nie davon aus, dass wir plötzlich mit einem Verbrechen konfrontiert sind, tatsächlich aber passiert es gar nicht selten – häufig einfach nur deshalb, weil Menschen zur falschen Zeit am falschen Ort sind. Die Berührung mit einem Verbrechen bedeutet für die meisten Menschen einen totalen Verlust des Vertrauens, das sie zuvor in ihrem Leben hatten. Deshalb finde ich es spannend zu schildern, was das mit den Menschen macht.